A
Angela Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Song, den der Hamburger Musiker, Clubbesitzer und Telefonstreichexperte Rocko Schamoni vergangenes Jahr über unsere Bundeskanzlerin geschrieben hat. Angeela, singt Rocko Schamoni, und wenn dieses gedehnte, freundlich-fragende Angeela einem Song von Jarvis Cocker ähnelt, dann rein musikalisch Help the Aged vom Album This is Hardcore, das er 1998 mit seiner Band ➝ Pulp veröffentlichte, als Merkel gerade Generalsekretärin der CDU wurde.
Jarvis Cockers Angela hingegen ist ein echter Smasher, ein Mitklatsch- und Mithüpfsong, und die Frau, um die es geht, ist 22 Jahre alt und verdient 4 Pfund 50 die Stunde. In seiner Tribute-Sendung für David Bowie (➝ Sunday Service) erzählte der Radio-DJ, der Jarvis Cocker jeden Sonntag ist, wie er als Club-DJ einmal Bowies The Jean Genie auflegte und den Plattenspieler in der Hand halten musste, weil das Hüpfen der Menschen im Saal die Nadel springen ließ. Mit Angela könnte das auch passieren. Cockers bester Song ist es nicht (➝ Running the World).
B
Bidault-Waddington, Camille Die Ex. Wegen ihr zog Jarvis Cocker 2002 nach ➝ Paris. Die Liebling, eine sehr schöne Mode- und Zeitgeistzeitung, die seit 2008 leider nicht mehr regelmäßig erscheint, besuchte Camille Bidault-Waddington _ _ _ _ in ihrer sehr schönen Wohnung im Stadtteil _ _ _ _ und sprach mit ihr über _ _ _ _. Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nur noch, dass der Artikel damit begann, dass sie nebenbei für das Kind, dessen Eltern sie und Jarvis Cocker sind, Makkaroni mit Käse kochte, was Mitte der nuller Jahre noch als ordentliche Kindermahlzeit durchging. Mich ärgert die Gedächtnislücke, denn ich weiß, dass mich das Interview damals beeindruckte. Camille Bidault-Waddington ist Stylistin, unter anderem hat sie für die französische Vogue gearbeitet. Sie hat perfektioniert, wie man Stücke aus neuen Kollektionen mit Teilen aus Secondhandläden kombiniert. Womöglich sehen alte Cordanzüge (➝ Mode) an Jarvis Cocker deshalb besser als an seinen Fans aus.
C
Chateau Marmont Room 29 ist Jarvis Cockers jüngstes Werk, ein Bühnenstück, das er zusammen mit dem Pianisten Chilly Gonzales komponiert hat. Es handelt von Menschen im Hotel, von der Schauspielerin Jean Harlow, dem Filmproduzenten Howard Hughes und Mark Twains Tochter Clara. Vor allem handelt es von dem Zimmer, in dem sie alle im legendären Hotel Chateau Marmont in Los Angeles wohnten, dessen Pool Sofia Coppola in ihrem Film Somewhere (2010) ein Denkmal gesetzt hat. Um Filme, Pools und Wasserballette in Filmpools geht es in Room 29 nebenbei auch.
Am Wochenende hatte das Stück in Hamburg auf Kampnagel Premiere. Die Musiker hatten es so nachdrücklich als Work in Progress angegkündigt und alle Interviews abgesagt (➝ Stalker), dass der Verdacht nahelag, in ihren Hotelaufenthalt sei mehr Energie geflossen als in die Entwicklung des Kammerstücks. Es war dann aber ein magisch-schöner Abend, der damit begann, dass jeder Besucher einen Zimmerschlüssel bekam und beim Roomservice ein Streichquartett bestellt wurde. Sein nächstes Wunschprojekt stellte Jarvis Cocker auch direkt vor: Einen Hochglanzband im Taschen-Verlag: Bademäntel weltweit (➝ Mode).
Common People „She came from Greece she had a thirst for knowledge/ She studied sculpture at Saint Martins College/ That’s where I cought her eye“, so beginnt die bekannteste Single von ➝ Pulp. Ob es sich bei der wissensdurstigen Kunststudentin mit dem reichen Papa um Danae Stratou handelt, die Ehefrau von Yanis Varoufakis, lässt sich leider nicht so einfach verifizieren wie der ausgestreckte Mittelfinger ihres Manns. Die Zeitung Athens Voice hatte das Gerücht vergangenen Februar in die Welt gesetzt, da Stratou zeitgleich mit Jarvis Cocker die Kunsthochschule besuchte (➝ Zahlen). Cocker und Stratou sind Gentleman und Gentlewoman genug, um sich auszuschweigen, nur Varoufakis verlautbarte, seine Frau müsse die Besungene sein. Wenn es stimmt, hat sich Jarvis Cocker von ihr Ende der 80er in London einen Cuba Libre ausgeben lassen.
M
Mode Dieser Beitrag könnte ebensogut unter B wie Brille, C wie Cord oder T wie Tweed stehen. In einem Interview sagte Jarvis Cocker einmal: „Ich versuche, wie ein leicht exzentrischer Erdkundelehrer auszusehen. So, wie Erdkundelehrer aussahen, als ich noch zur Schule ging (➝ Zahlen). Cordhosen, vernünftige Schuhe und Brille.“ In Hamburg (➝ Chateau Marmont) trug Cocker am Wochenende ein blaues Jacket mit ausgebeulten Taschen zu dunkelbraunen Cordhosen, und als er während der Vorstellung zu einem hölzernen Zeigestock griff, da war die Erdkundelehrerillusion für einen Moment perfekt. Er deutete damit dann aber nicht auf eine Landkarte, sondern auf die Projektion eines Hotelbademantels, in dessen Armbeuge ein Paar Hotelslipper kunstvoll eingefaltet waren. That’s the difference.
My Secret Europe Eigentlich ist My Secret Europe ein Song von Phantom/Ghost. Aber wenn Dirk von Lowtzow von dem Hemd aus Turin und der Zeitung aus Barcelona in seinem französischen Lederkoffer singt, dann habe ich nicht Dirk von Lowtzow vor Augen, sondern Jarvis Cocker, weil der nun mal der Inbegriff des kosmopolitischen europäischen Dandys ist (➝ Paris).
P
Paris Jarvis Cockers Zweitwohnsitz (➝ My Secret Europe). Nach den Anschlägen widmete er Paris seine nächste Radioshow (➝ Sunday Service) und den Spoken-Word-Track Friday 13th 2015, der auf sehr berührende Art von den üblichen Nebensächlichkeiten erzählt, die er an jenem Tag in der Stadt erlebt hatte. Die Sendung begann mit Françoise Hardys Autumn Rendevouz und endete mit Randy Newmans You’ve Got a Friend in Me.
Pulp Die Band (➝ Zahlen). Während Oasis und Blur in den 90ern öffentlichkeitswirksam ihren Arbeiterjungs- vs. Mittelschichtskids-Zoff austrugen, hielten Pulp sich vornehm (➝ Mode) aus dem Britpopgedönse raus. Ihr Album Different Class mit der Single ➝ „Common People“ gelangte 1995 dennoch auf Platz eins der britischen Albumcharts und wurde mit Vierfach-Platin ausgezeichnet. Pulp waren immer auch ein Gesamtkunstwerk, das Cover ihres sechsten Albums This Is Hardcore (1998) mit dem Bild des Malers John Currin stellen Plattenläden heute fast 20 Jahre später immer noch gerne ins Fenster.
R
Running the World Die Bonus-Single von Jarvis Cockers erstem Soloalbum Jarvis (2006) ist der Protestsong für das 21. Jahrhundert. Aufgrund ihres getragenen Tempos werden manche sie vielleicht nicht unbedingt für Demo-geeignet halten – die Debatte über die Musikauswahl bei Straßenprotesten muss allerdings auch jenseits bierseliger Runden auf dem Balkon der Freitag-Redaktion dringend einmal geführt werden.
„Cunts are still Running the World“, wie die Zeile in voller Länge lautet, ist der Song für die Momente im Leben, in denen man die Faust in der Tasche des Tweedmantels (➝ Mode) ballt. Wer den Refrain des Songs für resignativ hält, hat die Rechnung ohne C-Dur, d-Moll und F-Dur gemacht. Wer denkt, der Song sei sexistisch, geht zurück auf Los beziehungsweise ➝ Angela.
Relaxed Muscle Jarvis Cockers erstes Projekt neben Pulp mit dem Musiker Jason Buckle, das vor allem durch das Wildwest-Video zur Single Billy Jack in Erinnerung geblieben ist, in welchem Jarvis Cocker sich perfekt tarnt, indem er keine Brille, keine Cordhose und kein Tweedjacket trägt (➝ Mode), sondern eine Lederweste, Bluejeans und ein Johnny-Depp-Dead-Man-Gedächtnis-Makeup. Sein Pseudonym Darren Spooner flog trotzdem auf, er hätte schon einen Vocoder benutzen müssen, um nicht erkannt zu werden.
S
Stalker Eine der schönsten Pop-Reportagen überhaupt haben die ehemaligen Intro-Chefredakteure Thomas Venker und Linus Volkmann 2001 geschrieben, als Jarvis Cocker ihnen ein Interview verweigerte und sie dann eben selbst nach London fuhren. Sie machten Fotos vom Haus des ➝ Pulp-Gitarristen Mark Webber, was damals, als noch niemand ein Smartphone besaß, unendlich peinlich war und schlugen schließlich ungefragt auf Jarvis Cockers 38. Geburtstag (➝ Zahlen) auf. Als der dann endlich mit beschlagener Brille (➝ Mode) auf der Tanzfläche erschien … ach, lesen Sie die Reportage doch selbst, man findet sie im Netz. Außerdem haben Venker und Volkmann eine Anleitung zum Selbermachen mit allen Schauplätzen eingestellt. Spieldauer: ein Dreivierteljahr.
Sunday Service Seit 2010 moderiert Jarvis Cocker diese Radioshow für die BBC. Nur 2014 hat er pausiert, wobei nicht auszuschließen ist, dass es das Jahr 2014 ohnehin nicht gab, ich erinnere mich jedenfalls an kein herausragendes Album. Jeden Sonntag um 16 Uhr Greenwich Mean Time läuft also die Show, 30 Tage kann man sie danach auch außerhalb Großbritanniens im Internet abrufen. Ich würde mir Jarvis Cockers Musikauswahl niemals als Mixtape anhören, denn er arbeitet eher wie ein Archivar, der mitunter auch Kuriositäten ins Fenster stellt, die vielleicht nur einen besonders hübschen Einband haben. Aber es geht um das, was er beisteuert, um die Geschichten, die seine Songauswahl motivieren. Seine Tribute-Sendung für David Bowie (➝ Angela) ist noch 19 Tage zu hören und enthält unter anderem eine sehr schöne Demo-Version von Lady Stardust.
T
Travis Locker Mag sein, dass Maschinen intelligent sind. Sie komponieren Kammermusik wie der spanische Superrechner Iamus oder übernehmen Opernrollen wie unlängst an der Komischen Oper in Berlin – alles schon gehört oder gesehen. Popkulturell sind sie allerdings vollkommen unterbelichtet, wie dieser Fall von Autokorrektur beweist, den das Programm Mail einem Redakteur des Freitag beim Versenden des aktuellen Wochenplans unterjubelte.
Fragt man die Suchmaschine Google nach Travis Locker, so wird man auf zwei Facebookprofile verwiesen. Der eine Travis Locker scheint sich besonders für Waffen, der andere vor allem für Haargel zu interessieren.
Z
Zahlen Jarvis Branson Cocker soll 1,88 Meter groß sein. Er wurde am 19. September 1963 (➝ Stalker) in Sheffield geboren. Gründung der Band ➝ Pulp mit 15, 1981 folgte die erste von vier Sessions mit Radio-DJ John Peel. 1988 pausierte Cocker drei Jahre, um an der Kunsthochschule Central Saint Martins (➝ Common People) zu studieren. 1995 erschien ihr erstes Nummer-eins-Album Different Class, das 1.200.000 Briten kauften. 1998 folgte This is Hardcore, 2001 We Love Life, 2002 ein kollektives Sabbatical, das die Band 2011 für 22 Konzerte unterbrach. Cocker veröffentlichte zwischenzeitlich zwei Soloalben (➝ Running the World, ➝ Angela) und ein Duo-Album (➝ Relaxed Muscle). Er hat ein Pseudonym (➝ Relaxed Muscle). Auf Twitter folgen dem Fake-Account @reallyjcocker 33.000 Menschen.
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