Je oller, desto doller

Joko & Klaas In der Arte-Reihe "Durch die Nacht mit…" kam es zu vielen legendären Begegnungen. In der 100. Jubiläumsfolge im XXL-Format muss nun aber alles anders sein
Die aktuelle Allzweck-Wunderwaffe Joko & Klaas moderiert die Jubiläums-Fahrt
Die aktuelle Allzweck-Wunderwaffe Joko & Klaas moderiert die Jubiläums-Fahrt

Foto: Jule Roehr/ ZDF

Am Ende muss noch einmal Michel Friedman ran, mit dem zwar nicht alles angefangen hat, dessen Streifzug mit Christoph Schlingensief durch Frankfurt 2003 aber ohne Zweifel der Urknall des Formats war. Seit nunmehr zehn Jahren schickt Arte in der Reihe Durch die Nacht mit … zwei Prominente, zumeist Künstler, in einer Limousine durch eine Stadt, ziemlich häufig durch Berlin oder Paris, aber auch durch entlegenere Orte wie Dubai, Nashville oder Münster.

Es gibt keinen Moderator, keine Regieanweisungen und bestenfalls geschieht dann das, was Tocotronic einmal über einen Abend im Rotary Club sangen: „Man aß und trank und unterhielt sich / die Wertschätzung war gegenseitig / Und es herrschte ein Vertrauen/ Es war mir selbst ein wenig unheimlich“. Eben dies ist die Währung der Sendung: Der Zuschauer hofft, Zeuge ehrlicher, intimer Momente zu werden, die sich in einer klassischen Interviewsituation so nicht ergeben würden. Und natürlich war auch Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow einmal Gast des Formats, sein Berliner Abend mit dem Theaterregisseur René Pollesch – Folge 82 – zählt zu den leisen Höhepunkten der Reihe, eben weil sich im Laufe dieser Nacht ohne großes Remmidemmi vermittelte, was beide interessiert und umtreibt.

Für die 100. Folge hat Arte entschieden, ein einziges Mal alles anders zu machen: Ein eingespieltes Moderatorenteam – die aktuelle Allzweck-Wunderwaffe Joko & Klaas, die auch Pro Sieben, ZDF Neo, die Sparkasse und die Bundeszentrale für Bildung einsetzen – wird zwei Tage lang in einem Tourbus auf eine Schnitzeljagd D‘Europe durch Berlin, Hamburg, Gent, London und Paris geschickt, in deren Verlauf sie alte Protagonisten treffen. Als erste klettert die Musikerin Peaches in den Bus (Folge 16: Mit Heike Makatsch in Berlin), der nichts Originelleres einfällt, als Klaas Heufer-Umlauf mit grünen Trauben zu bewerfen. Zwischenstop in einem Boxclub, wo Ralph Herforth zu erzählen weiß, dass sein Begleiter Dolph Lundgren „gar nicht wie in seinen Filmen so ein dummer, sondern ein ganz kluger Mann“ ist. Musste wohl gesagt werden, und in diesem Binsenmodus geht es weiter. Dabei hat die Gäste-Auswahl Potenzial: Bis Hamburg steigen unter anderem Lars Eidinger (Folge 70: Mit Oda Jaune in Sofia) und die als Überraschung angekündigte Nina Hagen (Folge 8: Mit Katharina Thalbach auf Ibiza) zu, dort angekommen sagt man Heinz Strunk Hallo (Folge 53 : Mit H.P. Baxxter eben dort), und in Gent zeigt der Künstler Wim Delvoye (Folge 39: Mit Ai Weiwei in Kassel) seine Sammlung. Dass Delvoye auf Heufer-Umlaufs Frage, warum Kunst so teuer geworden sei, nichts Sinnfälliges zu antworten weiß, ist ihm schwer zu verdenken, und auch dass Oda Jaune für Eidinger die zweitschönste Frau neben seiner eigenen ist, hätte man sich nach dem Einspieler ohne Moderatorennachfrage gedacht. So macht sich bei diesen Best-Of-Zusammenschnitten die blöde Nostalgie breit, die durch das Allzweckwaffen-Schnitzeljagd-Manöver wohl hätte vermieden werden sollen.

Und Michel Friedman? Der sitzt am hellen Nachmittag mit Joko und Klaas in einem der Uhrzeit entsprechend leeren Pariser Edelrestaurant und sagt mit dem Gestus des Elder Statesman sein „non, je ne regrette rien“ auf. Wie ein großkotziger Macker habe Friedman sich in der Schlingensief-Folge benommen, tadelt ihn Heufer-Umlauf. Wenn ich so drauf war, dann war es so, antwortet Friedman mit einem überlegenen Lächeln: „Lieber bizarr als Mainstream“. Sein Wort in den Ohren der Programmchefs.

Durch die Nacht mit … XXL 100 min., 6. Oktober 23.05 Uhr auf Arte

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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