Jetzt geht wieder alles von vorne los

Ausstellung Die Documenta zeigt derzeit Wael Shawkys Reinszenierung der Kreuzzüge mit Marionetten. Nun ist sie auch in Berlin zu sehen - mit einer neuen Videoarbeit des Ägypters

Ein Mann steigt mit einer Lampe in der Hand in einen Kellerraum hinunter. Kein Mann, erkennt man rasch, sondern ein Junge, der mit einem Schnurrbart maskiert ist. Ringsum sitzen Jungen wie er, einer steht auf und beginnt im Boden zu graben, die anderen heben mit den dunklen, sonoren Stimmen von Erwachsenen zu erzählen an. Al Araba Al Madfuna ist die jüngste Videoarbeit des ägyptischen Medienkünstlers Wael Shawky, er hat sie speziell für die große Halle in den Kunstwerken in Berlin konzipiert. Die Wände sind taubenblau gestrichen, der Boden ist mit Sand bedeckt, ein Fundament aus Granitsteinen ersetzt die Zuschauerbank. Der Raum ist nach den Monaten, in denen hier Vertreter der Occupy-Bewegung auf Einladung der Berlin Biennale campiert haben, wieder angenehm ausgenüchtert.

Al Araba Al Madfuna ist eine reale Stadt in Oberägypten. Ihre Bewohner graben nachts unter den Häusern nach Tempelschätzen und setzen auf spirituellen Beistand. Shawky verbindet dies in seiner Arbeit mit einer Geschichte des ägyptischen Autors Mohamed Mustageb. Reihum erzählen die Kindmänner die Geschichte vom Großen Dschabir, der einen Stamm mit schlechten Ratschlägen ruiniert. Das Zeitalter des Kamels, das er einläutet, bringt keinen Fortschritt, sondern führt zu moralischer Verderbtheit. Wie Shawky hier eine orale Tradtion medial verarbeitet und durch die Wahl seiner Darsteller ironisiert, macht die Geschichte von Innovationsversprechen und Rückschritt auch für weniger spirituell veranlagte Besucher höchst anschlussfähig – gerade auch hier in Berlin.

Keramikköpfe rollen klackernd

Kamel oder Mensch, diese Frage stellt sich auch im Obergeschoss, wo Shawky das zweite Kapitel seiner Marionetten-Saga Cabaret Crusades zeigt, die auf Amin Maaloufs Buch Der Heilige Krieg der Barbaren. Die Kreuzzüge aus Sicht der Araber basiert. Auf der Documenta in Kassel ist die Arbeit derzeit im Keller der Neuen Galerie zu sehen. Anders als hier werden dort allerdings die wenigsten Besucher die Ruhe haben, sich die ganzen 61 Minuten anzusehen.

The Path to Cairo beginnt 1099 im zerstörten Jerusalem. Die Orte führt Shawky durch Pappkulissen ein, die Fäden der Marionetten sind stets erkennbar. Freunde der Augsburger Puppenkiste werden an die Drachenstadt von Frau Mahlzahn denken, aus der Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer geklaute Kinder befreien. Ähnlich finster sind die Ereignisse, die Shawky re-inszeniert, doch wo bei Jim Knopf der Drache überwältigt und resozialisiert werden kann, rollen hier klackernd Keramikköpfe, der Vater mordet den Schwiegersohn und brennt die Stadt der Tochter ab, die Mutter ersticht den Sohn und heiratet dessen Ex-Komplizen, und ständig geht wieder alles von vorne los. Shakespeares Dänen-Clan ist eine schrecklich nette Familie dagegen. Damaskus, Tripolis, Homs – dass die eingeblendeten Städtenamen uns seit Beginn des Arabischen Frühlings so nahe gerückt sind, macht einen Reiz dieser Arbeit aus, was dort schon damals geschah, ihren Schrecken.

Fünf Arbeiten von Wael Shawky sind in den Kunstwerken zu sehen, darunter eine Vitrine, in der die wichtigsten Marionetten hängen. Der Übergang zwischen Mensch und Kamel, sieht man hier, ist in Shawkys Geschichts-Theater ziemlich übergangslos.

Wael Shawky. Al Araba Al Madfuna Kunstpreis der Schering Stiftung Kunstwerke Institute for Contemporary Art, Berlin. Bis 21. Oktober 2012

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

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