Vom Badischen Bahnhof kommend, fühlt sich Basel für einen Moment wie die Documenta-Stadt Kassel an, deren Fußgängerzone tapfer die alte BRD konserviert. Auch die Basler Rosentalstraße, die zur Messe führt, scheint den Sprung ins 21. Jahrhundert noch zu überdenken. Umso jetziger wirken die Messehallen, die in diesem Jahr in taubengraues Tuch gehüllt sind und mit der weißen Netz-Installation der Architekten PanteraPantera wie ein Luxusliner auf dem Weg zu neuen Polen wirken. Oder zumindest wie einer, der ausreichend Champagner für einen kurzweiligen Trip geladen hat.
285 Galerien stellen auf der Art Basel aus, wo man da anfangen soll, muss man nicht lange überlegen, gleich nach dem Eingang kommt die Koje von David Zwirner, neben Larry Gag
Larry Gagosian der wichtigste Galerist der Welt. Dort schaut man einem Schwimmtier in die Augen, Jeff Koons’ Dolphin, natürlich aus Edelstahl. Und natürlich hat auch Gagosian einen Koons, eine Hulk-Figur mit Blumenkarre. Daneben steht ein Mitarbeiter der Sicherheitsfirma Securitas. Die Frauen und Männer mit den soldatischen Baretten markieren zuverlässig, wo die teuersten Werke stehen. Ob unfreiwillig oder mit Kalkül, liefert Gagosians Koje so das schrillste Bild der Messe: Hulk, der bullige, grüne Superheld, steht dort mit seinem Bodyguard, und hinter ihm hängt ein Foto, das die damals 13-jährige Brooke Shields stark geschminkt und in aufreizender Pose nackt in einer Badewanne zeigt. Die Brüste und der Unterleib sind verpixelt. Der Blumen-Hulk nun aber ist das Fotomotiv der Stunde, und so posieren ständig adrett ausstaffierten Mädchen für die Kameras der Eltern unter der nackten Jungschauspielerin.32 Millionen für WarholNur einen Schritt von dieser Referenzhölle entfernt steht Gagosians zweiter Bewacher neben einem Calder-Mobile. Alexander Calder, sagt eine Galerie-Assistentin, sei ein „recession-proof artist“, ein krisensicherer Künstler. Den Preis will sie nicht nennen. Anders ist es bei Helly Nahmad, wo gleich zehn Calder-Mobiles stehen und hängen: „This one is 1,5 Million Dollars, this one is 1,7“, ein Mitarbeiter zeigt gelassen auf die filigranen Konstruktionen. Verkauft sei seit dem ersten Tag das größte hängende Mobile in rot, gelb und schwarz. 2,8 Million Dollars.Calder begegnet einem auf der Messe aber auch bei Galerien, die ganz auf zeitgenössische Kunst festgelegt sind. Bei der Genfer Galerie Blondeau & Cie hängt eine Fotografie der Künstlerin Louise Lawler, die kürzlich im Museum Ludwig in Köln eine große Einzelschau hatte. Lawler fotografiert unter anderem Kunst im Kontext des Ausstellungsbetriebs, am bekanntesten ist wohl ihre Fotografie, die Gerhard Richters Ema (Akt auf einer Treppe) auf der Seite liegend beim Ausstellungsaufbau im MoMA zeigt. Auf The Desert and a Bit of Mountain II ist ein weißes Calder-Mobile zu sehen. Wem die Omnipräsenz Calders auf der Messe nicht ausreichend Beweis seiner Zeitlosigkeit ist, der findet ihn hier. Und auch den ebenfalls krisensicheren Warhol, von dem von der Blume bis zum elektrischen Stuhl so ziemlich alles angeboten wird, gibt es als Lawler-Variation: Bei Sprüth Magers hängt ihre Fotografie seines Cow Wallpaper, auf das er in Museen seine Bilder hing. Warhols Selbstporträt Fright Wig wird auf der Messe übrigens für 32 Millionen Dollar verkauft.Bei Luhring Augustine stehen unterdessen drei junge Männer um einen Schlitten mit Taschenlampe und Fettklumpen und lachen sich schlapp. Ein Beuys-Zitat? Nein, ein Original von 1969. Überhaupt gibt es in der Halle 2.0 viele solcher Museumsstücke, wie es ein Sammler nennt. Ein Frauenporträt des Malers Christian Schad zum Beispiel, von dem die Hamburger Kunsthalle ein verwegenes Bild des Reporters Egon Erwin Kisch von 1928 besitzt, das wohl jeder Journalist gern über dem Schreibtisch hätte. Die Pianistin Anna Gabbioneta (1927) ist mit ihrem sensationellen Schlafzimmerblick nicht weniger verführerisch und soll 1,9 Millionen Euro kosten. Im vergangenen Jahr noch war das Bild bei Christie’s für knapp 600.000 Euro an einen anonymen Bieter versteigert worden.„Bello, bello, bello!“„Investment? Collecting? Speculations?“ ist denn auch ein Thema des die Messe flankierenden Salons. Josh Baer, Kunstberater und Herausgeber des Branchennewsletters The Baer Faxt, der den Talk moderiert, stellt gleich zu Anfang klar, dass das was hier besprochen wird, das breite Publikum nichts angeht. „Wer von Ihnen ist Künstler? Wer Sammler? Wer aus der Kunstbranche? Okay. Und der Rest hat sich verlaufen, oder was machen Sie hier?“ Sein Gast ist der New Yorker Sammler David Mugrabi, dessen Vater Jose das Wallstreet Journal vor ein paar Jahren „den Mann mit den 800 Warhols“ nannte. Die Mugrabi-Familie hat durch ihre Einkäufe und Verkäufe, vorsichtig formuliert, ihren Anteil daran, dass ein Warhol heute einen zweistelligen Millionenbetrag einbringen kann. Mugrabi ist sehr darum bemüht, sich von den Art Flippers zu distanzieren, wie man Käufer nennt, die investieren, um gewinnbringend weiterzuverkaufen. Fest steht für beide: Kunst ist heute eine feste Anlageklasse wie Aktien, Immobilien und Rohstoffe. Eine Standardfrage sei: Ich möchte zehn Prozent meines Portfolios auf Kunst verwenden. Was soll ich kaufen? 50 Prozent etablierte Künstler, sagt Mugrabi, empfehle er, und zehn, 15 oder noch besser 20 aufstrebende Namen: „Ein paar könnten aufgehen.“ Andere säen nach diesem Prinzip Radieschen. Als ein schwedischer Kunstkritiker nach der Blase fragt, die mit dem vielen neuen Geld aufgepumpt wird, und eines Tages wohl platzt, wird die Frage als irrelevant abmoderiert: „Das interessiert nur Journalisten und Ökonomen.“ Keine beruhigende Auskunft.Neu ist in diesem Jahr auf der Art Basel mit den 14 Rooms eine eigene Sektion für Performancekunst. Nach 750.000 Besuchern in Marina Abramovićs Performance The Arist ist Present 2010 im MoMA ist diese vorsichtige Ausweitung der Warenzone der logische nächste Schritt. Wer mehr über die Regeln erfahren will, wird im Raum von Tino Sehgal schlauer, der im vergangenen Jahr auf der Biennale in Venedig als bester Künstler den Goldenen Löwen bekam. This is Competition heißt seine kluge Performance, bei der ein Mitarbeiter seiner New Yorker und eine Mitarbeiterin seiner Brüsseler Galerie darum wetteifern, Werke von Tino Sehgal zu verkaufen.Aufstrebende Namen findet man in Halle 2.1 im ersten Stock. Und es ist natürlich Zufall, aber ein sehr schöner, dass man, sofern man die richtige Rolltreppe nimmt, oben bei Sadie Coles aus London schon wieder von einem Mobile empfangen wird. Rot ist es und aus Plexiglas und darauf kleben Fotografien von Sarah Lucas, die in einem Sessel fläzt. Lucas entstammt wie Damien Hirst und Tracey Emin der Gruppe der Young British Artists. Die Fotos sind aus den frühen 90ern, der Frühphase also, das Mobile Bucket of Tea ist neu. 2015 wird Sarah Lucas den britischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielen. Für die Wertsteigerung ist das sicher gut.Euros, Dollars, Franken – das Raunen ist der Grundsound der Art Basel. Wenn es nicht um Gemälde, Fotografien, Installationen oder ein Video geht, dann um den Preis der Hotelzimmer. „Sixteenhundred a night? Mine is eight fifty.“ Aber es gibt auch Werke, vor denen der Hörsinn aussetzt und man wie besoffen dasteht und nur noch schaut. Zum Beispiel auf Jeppe Heins Candle Box, eine so raffinierte wie minimalistische Lichtinstallation aus einer Kerze, pulverbeschichtetem Aluminium und Stahl und Spiegelglas. „Bello, bello, bello!“, seufzt ein italienischer Sammler. Aber die Box ist für 30.000 Euro bereits weg. Jeff Koons’ Dolphin übrigens wurde schließlich für 3,5 Millionen Dollar verkauft. Ob er an einen Art Flipper ging oder aus Liebe gekauft wurde, bleibt ungewiss.
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