„Kunst irritiert“

Interview Der Künstler Christian Jankowski glaubt, dass man die Polarisierung der Gesellschaft nicht stoppt, indem man Kontroverses unterbindet. Im Gegenteil
Ausgabe 39/2020

Es ist kurz vor Ende des heute-journals, die Sendeminuten, in denen die harten Nachrichten verhandelt sind und die ersten Zuschauer langsam wegdämmern. Claus Kleber spricht über den 450. Geburtstag der Staatskapelle Berlin, als hinter ihm ein Mann in voller Schutzmontur auftaucht, beschwörend mit den Armen gestikuliert und sich eine zweite Tonschiene über die Anmoderation schiebt. Nach 30 Sekunden ist der Spuk vorbei. Später klärt das ZDF darüber auf, dass es sich um eine Aktion des Künstlers Christian Jankowski handelte und der Mann im Schutzanzug ein Busfahrer war, den Jankowski als Vertreter der „systemrelevanten Berufe“, wie sie jetzt heißen, auftreten und über seine Nöte sprechen ließ. Jankowski hat eine ganze Reihe solcher Auftritte in TV-Sendungen und Spielfilmen inszeniert, Pflegerinnen, Ärztinnen und Essenslieferanten sind dabei. „Engel“ nennt er sie auch. Seine aktuelle Ausstellung in Berlin, in der die Filme zu sehen sind, heißt Sender and Receiver, da liegt es nahe, nachzufragen, was er zu den Reaktionen sagt.

der Freitag: Herr Jankowski, nach der Aktion im „heute-journal“ gab es neben Lob in den sozialen Medien auch viel Kritik. So etwas verstärke die Vorurteile derer, die überall Fake News wittern und sei nicht angebracht angesichts der Polarisierung der Gesellschaft.

Christian Jankowski: Eine Polarisierung der Gesellschaft wird man nicht stoppen, indem man polarisierende Kunst unterbindet. Ich denke, das würde eher das Gegenteil bewirken. Die Kunst ist schließlich ein Anlass, sich mitzuteilen und einander zuzuhören. Es wäre ja eine arme Gesellschaft, wenn sich wegen möglicher Kritik keiner mehr was traut. Ich glaube, die Bedenken spiegeln die Unsicherheit wider, in der wir uns befinden. Man wird erst historisch sehen, ob dieses Werk Relevanz hat, etwas widerspiegelt von dem Zustand, den wir haben. Ich verstehe, dass Menschen irritiert sind, aber ich finde das für ein Kunstwerk legitim.

Gerade wenn es um die Öffentlich-Rechtlichen geht, ist die Toleranz für Sachen, die aus dem Rahmen fallen, gering. Das sah man zuletzt beim Streit über die „Umweltsau“-Satire des Kinderchors im WDR, die eine Entschuldigung des Intendanten nach sich zog.

Intendanten müssen so tun, als ob sie es allen recht machen wollen, Politiker auch. Aber es sollte eine Art von Diskussionskultur, vielleicht sogar Streitkultur geben. Das muss eine Gesellschaft können, andere Entwürfe sehen und abtasten. Wenn keiner sich schuldig machen will, dann platzt die gesamte Oberflächlichkeit irgendwann.

Das Erscheinen des Busfahrers im „heute-journal“ hat deutlich mehr Resonanz erzeugt als das einer Pflegerin bei Bild-TV.

Bei Bild-TV wurde es ja auch nicht live gesendet, vor 3,4 Millionen Zuschauern. Wir haben das mit Jens Spahn zwei Minuten vor seinem Live-Auftritt gedreht. Die Alltagshelferin ist nur in meinem Kunstwerk zu sehen. Wie tief die anderen sich einlassen, überlasse ich immer auch ihnen. Mir geht es darum, ein Bild zu erzeugen. Ich kann verstehen, dass der Gesundheitsminister den Schritt nicht gehen wollte, live ein Bild mit dem Engel zu machen. In einer idealen Kunstwelt, die nach meiner Pfeife tanzt, würde ich mir zwar wünschen, dass die Auftritte alle gesendet werden, aber wir müssen uns diese Welt zum Glück ja auch teilen, und darum habe ich Kompromisse, Verhandlungen und Überzeugungsgespräche zu einem integralen Teil meiner Kunst gemacht. Das Kapern hat ja auch einen Bezug zu einem Virus, das sich andockt, sich eine Struktur aneignet und darin was Eigenes schafft. Insofern verstehe ich aber auch, dass es da Abwehrkörper gibt. Am liebsten ist mir allerdings die Symbiose.

Für das Bild, das entsteht, mag es egal sein. Aber es ist doch ein gewaltiger Unterschied, wer sich das dann ansieht. Das „heute-journal“ erreicht ein ganz anderes Publikum als eine Ausstellung zur Art Week in einem Kunstraum.

Klar, ich finde es aber auch toll, die unterschiedlichen Facetten dieses Tanzes zwischen Kunst und Medien zu sehen. In den Medien klang es jetzt so, als ginge es mir nur darum, die Systemrelevanten in den Vordergrund zu stellen. Es geht aber nicht allein um eine Sache. Es geht gleichzeitig auch um die Medien selbst, um die Überschneidung von Aussagen: multiple Autorenschaft. Der Busfahrer aus Mainz sagt ja: Man muss deeskalierend wirken, man muss es erst mal auf die ruhige Schiene versuchen. Meistens kommt das Problem aus dem Nichts. Und dann sagt er, geht es auch wieder bergauf. Wenn Leute ein Aggressionspotenzial haben, ist er verantwortlich für alle im Bus, er muss gucken, dass er das hinkriegt. Und sicher muss auch ein Claus Kleber auf die ganze Gesellschaft deeskalierend wirken. Da sehe ich schon Parallelen.

Zur Person

Christian Jankowski, 52, war Teilnehmer der Venedig-Biennale und Kurator der Manifesta. Rollenerwartungen und Rollenwechsel sind zwei seiner großen Themen, sowie die Rolle der Medien und das Spiel mit ihnen. Er lebt und arbeitet in Berlin

Ihr Projekt verfolgen Sie gleichzeitig auch für die Kunst-Biennale in Bangkok.

Eigentlich ist es ein Duett. Hier wird gesungen und da drüben wird ein bisschen weitergesungen und plötzlich spielt das zusammen. Das finde ich gut, weil es auf dieses globale, allumfassende Virus anspielt und zwei sehr unterschiedliche Kulturen zusammenführt. Eine Filmsequenz greift in das neue Video der Tilly Birds, einer bekannten Band aus Bangkok ein. Darin geht es um ein Liebespaar, das sich noch einmal umarmt, es geht ums Sich-Verlassen. Unsere Wahrnehmung auf zwischenmenschliche Nähe und Berührung hat sich in den letzten Monaten komplett verändert, und wenn dann daneben ein vermummter Engel auftritt, der eigentlich Essenslieferant ist, wird das zu einer Art Totentanz. Zwei Liebende, eine Trennung, vielleicht nimmt der Vermummte den einen aber auch mit. Das erinnert an Darstellungen in Zeiten der Pest, wo man das Skelett plötzlich überall in der bildenden Kunst sieht, weil die Gegenwärtigkeit des Todes und die Schicksalhaftigkeit, dass es jeden treffen kann, das große Thema gewesen ist. Die Kunst war auch Teil davon, diesen Zustand zu verarbeiten.

In der Ausstellung in Dahlem steht eine Waschmaschine, in der jeder seine Arbeitskleidung waschen und zum Trocknen aufhängen kann. Arbeitskleidung tragen eher die schlecht bezahlten Berufe. Supermarktmitarbeiter, Paketboten.

Generäle.

Stimmt.

Die Halbgötter in Weiß. Ich könnte mir als Möchtegern-Staatskünstler aber auch Merkels Kostüm über meinem Selbstporträt als Wäscheständer vorstellen. Sie als Journalistin könnten auch alles in die Waschmaschine stecken, was sie jetzt gerade anhaben. So würde sich ein weiteres Berufsbild in die Arbeit einschreiben.

Selbst wenn ich die Sachen auch privat trage?

Das ist egal, das zeigt ein zeitgemäßes Berufsbild.

Neu ist, dass es jetzt ein über die Berufsgrenzen hinweg identisches Stück Arbeitskleidung gibt. Die Masken, die man, sofern es nicht die Einwegmodelle sind, bei 60 Grad waschen muss.

Das Werk heißt „Alltagsaufgaben – Sphären der Götter“. Zwar entstand es letztes Jahr, vor Corona, aber selbst unser heute allgegenwärtiger Mundschutz trocknet hervorragend darauf.

Das hat zu der neuen Arbeit mit den Systemrelevanten gepasst. Die Hygiene mit der Waschmaschine, das kam zuerst. Aber das ist ja ganz oft so bei Kunstwerken, dass bestimmte Neubewertungen stattfinden durch den Fortlauf der Geschichte. Das ist das Gute, dass es auch ohne Worte geht, über Dinge, die man sieht, zu kommunizieren. Vorher wurde das Werk nur in Italien gezeigt, in Deutschland habe ich es nun ins Zentrum der Ausstellung gerückt. Den Mut, den es erfordert, mitzumachen, wollte ich in den Mittelpunkt stellen. Sonst schaut man in der Ausstellung ja immer auf andere, die beim Entstehen meiner Kunst mitwirken. Die Frage ist, wer teilt sich mit wem die Waschmaschine – faktisch und symbolisch.

Wie wichtig ist Humor für Ihre Arbeiten?

Ich stelle fest, dass meine Kunst öfter dazu verleitet, dass Journalisten die Konzepte wie Pointen nacherzählen. In vielen Artikeln über meine Kunst wird eine Pointe nach der anderen erzählt, und irgendwann fühlt man sich wie auf dem Kölner Karneval. Aber der Unterhaltungswert ist nicht das Ziel, es geht eher darum, eine Klimaveränderung festzuhalten. Ich mag in der Kunst den Verunsicherungszustand, wenn alles einmal durchgeschüttelt wird, der Staub fällt und man hinterher gucken und interpretieren kann, was da eigentlich gefallen ist und was da eigentlich steht: Das Gucken bleibt der kreativste Akt.

Info

Sender and Receiver – Christian Jankowski Fluentum, Berlin, bis 9. Dezember

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler studierte Germanistik, Amerikanistik und Theaterwissenschaften in Mainz und arbeitete nebenbei als Autorin für Spex. Das Magazin für Popkultur. Im Anschluss führte sie das Journalismusstudium an der Hamburg Media School zum Freitag, wo sie ab 2010 als Onlineredakteurin arbeitete. 2012 wechselte sie ins Kulturressort, das sie seit 2018 leitet. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Kunst und den damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten.

Christine Käppeler

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