Ein Café am Kanalufer in Berlin-Kreuzberg. Numan Acar sitzt mit dem Rücken zum Fenster. Durch die Scheibe ist erst mal nur eine Parkakapuze mit Fell zu sehen. Kurze Irritation: Ihm gegenüber sitzt ein Mann. Er hat nicht ernsthaft seinen Manager zum Gespräch mitgebracht? Hat er nicht. Es ist der Wirt, ein Freund, der lieber bei ihm am Tisch sitzt, als hinter dem Tresen zu stehen. Ist nicht viel los an diesem Montagmorgen.
Kurz vor Jahresende hatte sich herumgesprochen, dass Numan Acar, ein bisher unbekannter türkischstämmiger Schauspieler aus Berlin, in der vierten Staffel der gefeierten US-Serie Homeland mitspielt. Nicht etwa eine Nebenrolle, wie die sehr viel bekanntere Schauspielerin Nina Hoss, sondern die des neuen Hauptbösewichts Haissam Haqqani. Der erste Großfiesling, Abu Nazir, war in der zweiten Staffel erschossen und mit einer Seebestattung aus der Serie verabschiedet worden.
Homeland seziert und füttert zugleich, wie keine andere TV-Serie, die US-amerikanische Angst vor islamistischen Anschlägen. Es geht um das Leben nach 9/11, den sogenannten Kampf gegen den Terror und in den ersten zwei Staffeln um den Feind aus den eigenen Reihen, den das System übersieht, weil es ihn auf die Rolle des Helden abonniert hat. Die erste Staffel lief 2011, seither werden jedes Jahr zwölf neue Folgen ausgestrahlt. Claire Danes spielt die bipolare CIA-Agentin Carrie Mathison, die als Einzige ahnt, dass der im Irakkrieg verschleppte und nach acht Jahren befreite Marineoffizier Nicholas Brody ein Schläfer geworden ist, der in Washington einen Anschlag verüben soll. Sie spielt diese Figur so unheimlich gut, dass man selbst gern so eine bipolare Störung hätte, wenn man ihr bei den Ermittlungen zusieht. Auch Barack Obama ist bekennender Homeland-Fan.
Unser Mann in Islamabad
Numan Acar wurde 1974 in Kozoglu, einem kleinen Ort im Nordosten der Türkei geboren. Als er acht Jahre alt war, zog die Familie nach Wiesbaden. Acar studierte Bauingenieurswesen, in seiner Freizeit kickte er in der Hessenliga für den FV Biebrich 02. Mit Anfang 20 nahm er in Istanbul am Auswahlcamp eines Erstligavereins teil. Für viele dort, sagt Acar rückblickend, „war es ein Kampf auf Leben und Tod. Ich merkte, ich wollte diesen Kampf nicht führen, um dann zehn Jahre lang Fußball zu spielen.“ Er schloss sein Studium ab, um als Projektplaner zu ar-beiten. Ein Angebot in Nigeria schlug er jedoch aus und verwarf auch diese potenzielle Karriere zugunsten der Schauspielerei.
Seit zehn Jahren ist Numan Acar in deutschen und türkischen Filmen und TV-Produktionen in kleineren Rollen zu sehen, zuletzt in Fatih Akins The Cut und dem Oldenburg-„Tatort“ Die Feigheit des Löwen mit Wotan Wilke Möhring. An die erste Fernsehserie, die er in der Türkei sah, erinnert Acar sich gut: „Wenn wir Kinder böse waren, war die schlimmste Strafe: ‚Du darft nicht Dallas schauen.‘“ Die vierte Homeland-Staffel wurde in den USA Ende 2014 ausgestrahlt. In Deutschland ist sie mit Untertiteln auf Portalen wie iTunes, Maxload und Videodome zu sehen.
Numan Acar lebt seit drei Jahren in Berlin. Fußball spielt er nur noch in Hobbymannschaften. Hartnäckig halten sich in der Freitag-Redaktion Gerüchte, er habe den Anzeigenleiter dieser Zeitung einmal böse gefoult.
Numan Acar kannte bis vor kurzem kaum jemand. Wie kommt er in diese Serie? Das Erste, was auffällt, wenn man ihm am Tisch gegenübersitzt: So anders als Haqqani auf dem Bildschirm sieht er gar nicht aus. Der Bart ist derselbe, das Haar auch. Trotzdem würde ihn hier keiner für einen Terroristen halten. Eher für einen Kreativarbeiter, der seinen Schreibtisch ins Café verlegt hat. In den kommenden drei Stunden wird kaum ein Gast an unserem Tisch vorbeigehen, ohne mindestens zu grüßen oder sich auf ein, zwei Cappuccinolängen dazuzusetzen. Noch ist es ruhig, nur Lionel Ritchie singt.
In diesem Café, erzählt Numan Acar, habe er auch gesessen, als die erste Reaktion auf sein Castingvideo kam. Draußen im Garten, es war Anfang Juni. „Es ist exzellent. Wir gehen vorwärts“, stand etwas kryptisch in der Nachricht, die ihm sein Manager weiterleitete. Vier Tage später kam die Zusage. Am 27. Juni 2014 flog er nach Kapstadt, um dort die ersten Straßenszenen zu drehen, die in Islamabad spielen. Von den vielen Produzenten, Autoren und Regisseuren der Serie – fast jede Folge dreht ein anderes Team – hatte ihn bis dahin keiner persönlich gesehen. Was hatte er also eingeschickt? Die Vorgabe, erzählt er, habe nur gelautet: Er ist ein General. Er ist rücksichtslos. „Ich habe versucht, einen sehr menschlichen Bösewicht zu spielen. Ich wollte keinen Bad Guy darstellen, der aus jeder Pore Hass verströmt“.
Ins Café tritt nun Kida Ramadan, ein befreundeter Schauspieler, mit dem er zig Filme gedreht hat. „Guten Morgen, Herr Ramadan“, sagt Acar. „Guten Morgen, Digger“, erwidert der, schiebt sich an ihm vorbei auf einen Stuhl und beginnt ungerührt zu telefonieren. Einer der ersten Filme, in dem sie beide vor der Kamera standen, war Kebab Connection. Numan Acar spielte darin einen finsteren Typen mit einem Schwert. Wenn man sich seine Filmografie ansieht, ist schwer zu übersehen, dass eigentlich alle seine Figuren irgendein krummes Ding am Laufen haben. In Till Schweigers Kokowääh spielt er einen Typen vom Gewerbehof, der Autos verschiebt. Nervt es, als gebürtiger Türke immer den Kriminellen zu spielen? „Das Witzige ist, ich dachte, in der Türkei wäre das anders. Weil dort alle so aussehen wie ich.“ Zwischen 2005 und 2009 drehte Acar in seinem Geburtsland mehrere Filme und Serien. Dort sah man das anders als er. „Während ich in Deutschland der Türke bin, war ich dort der Kurde und Alevit. Also spielte ich wieder den Bösewicht. Es gibt immer Gründe, weshalb ich wegen meines Aussehens als anders wahrgenommen werde.“
Selbst das Instrument
Im Prinzip ist das so, seit er mit der Schauspielerei anfing. Umgekehrt könnte man auch sagen, dass seine ganze Karriere darauf gründet. Ursprünglich hatte Acar vor, Bauingenieur zu werden, er hat das in Wiesbaden studiert und das Diplom gemacht. Nach Wiesbaden war seine Familie aus einem kleinen Ort im Nordosten der Türkei gezogen, als er acht Jahre alt war. Während des Studiums jobbte er als Maurer auf einer Baustelle, der Weg dorthin führte an einem kleinen Amateurtheater vorbei. Einmal brannte Licht, er ging hinein und hörte wie drei Menschen hinter dem Vorhang darüber sprachen, dass der Schauspieler ausfiel, der den Schwarzen in John Steinbecks Von Mäusen und Menschen spielen sollte. Acar stellte sich vor, und aus dem schwarzen Farmarbeiter wurde kurzerhand ein Indio gemacht. So kam er zu seiner ersten Rolle. Das Gefühl, er würde eigentlich lieber etwas machen, bei dem er „selbst das Instrument ist“, habe ihn da schon eine Weile begleitet, sagt er.
Nun also der Taliban Haissam Haqqani. Wie spielt man einen Topterroristen? „Ich habe ihn nie als Terrorist gesehen“, sagt Numan Acar. „Ich habe ihn als Staatshelden betrachtet, der für die Freiheit seines Landes kämpft. Nelson Mandela wurde früher auch als Terrorist bezeichnet.“
An dieser Stelle, liebe Leserinnen und Leser, müssen sich unsere Wege unter Umständen für einen Moment trennen. Falls Sie die vierte Homeland-Staffel noch nicht gesehen haben, sollten Sie die zwei folgenden Absätze überspringen.
Bei aller Sympathie für Haqqani, sage ich, er knallt eiskalt seinen Neffen ab und erdolcht eine CIA-Mitarbeiterin. Von Nelson Mandela ist das echt weit weg. Der Mord an dieser Frau ist feige. Acar nickt energisch: „Das habe ich den Drehbuchautoren auch gesagt. Nennt mich nicht mehr den Helden, der Typ ist eine feige Sau.“ Dass er sie erdolchen muss, sei ein Kompromiss gewesen: „Eigentlich sollte sie geköpft werden. Ich habe gesagt, das mache ich nicht. Die Enthauptungsvideos des IS waren da gerade im Netz.“
Wirklich zufrieden ist Numan Acar aber auch mit dem Kompromiss nicht. „Sie zu töten, war nicht notwendig. Sie hätte nicht sterben müssen.“ Die Schauspieler kennen jeweils nur die Folgen, die sie gerade drehen. Das Buch für die kommende Episode erhalten sie erst zwei Tage vor der Drehpause. Als Acar die elfte Folge las, verstand er schon eher, warum er so abstoßend handeln musste: Von seinen Anhängern wird Haqqani dort wie ein Popstar gefeiert. Da musste die Fallhöhe stimmen. Und weil er ein unschuldiges Mädchen getötet hatte, hat die andere Seite nun ein echtes Motiv, ihn weiter zu jagen. Unter welchen Umständen Haqqani am Ende davonkommt, ist eine der großen Überraschungen der vierten Staffel.
Türke oder Kurde?
Das Geheimnis der Serie, sagt Acar, sei, dass durch die vielen Autoren nichts übersehen werde und die Motivation der Figuren immer begründet sei. Noch nie habe er so gute Drehbücher gelesen. Und noch nie habe er so schnell Dialoge gelernt, weil klar ist, was eine Figur als Nächstes sagt. Anders als in vielen deutschen Produktionen, werde nichts Überflüssiges erzählt. „Meine Theorie ist, dass die Autoren ein Drehbuch für 90 Minuten schreiben und es dann auf 45 Minuten verdichten.“
Kida Ramadan beendet endlich sein Telefonat. Es ging um die Gästeliste für die Premiere seines neuen Films, die er überstrapaziert hat. 3 Türken und ein Baby ist ein Remake der französischen Komödie 3 Männer und ein Baby. Eigentlich, erzählt Ramadan, sollte Numan Acar eine Minirolle in dem Film spielen, einen Juwelier. Aber dann kam Homeland. „Stell dir vor, du hättest Homeland dafür abgesagt, Digger“, sagt Ramadan und boxt ihn in die Seite. Den Juwelier spielt jetzt jedenfalls ein anderer Kumpel.
Und noch etwas war wegen Homeland anders als sonst. Das Jahresende, sagt Numan Acar, halte er sich eigentlich immer frei. Seit vier Jahren geht das so. Er arbeitet selbst auch als Produzent und schreibt Drehbücher. Seit vier Jahren hat er das Skript für einen Film fertig, eine muslimische Weihnachtskomödie. Jedes Jahr also denkt er wieder, er werde diesen Film nun drehen. Ursprünglich sollte er in Berlin spielen. Aber sein Antrag auf Filmförderung ist dort abgelehnt worden. Es geht um eine deutsche und eine türkische Familie. Die Leute von der Filmförderung bemängelten, einige Szenen seien nicht authentisch. „Ich habe das aber eins zu eins so erlebt. Oder gut recherchiert.“
Ein Strang handelt von einem sechsjährigen Jungen, der gern Weihnachten feiern möchte. „Die Oma seines deutschen Freunds nimmt ihn mit in die Kirche und lässt ihn konvertieren.“ Das geht? „Mir ist klar, dass eine Konvertierung ein längerer Prozess ist. Aber der Punkt ist, ob das möglich ist. Ich habe einen Pfarrer gefragt, der sagte: ‚Ja, das ist eine Beziehung zwischen dem Kind und Gott, das geht die Eltern nichts an.‘ Aber überall heißt es, ich könne das nicht machen. Warum? Es ist ein Film!“
Acar fächert den Zeitungsstapel auf, der auf dem Cafétisch liegt. Auf allen Titeln ist dasselbe Bild: die große Solidaritätsdemo in Paris nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo. „Alle haben jetzt etwas zum Islam zu sagen“, sagt Acar. „Da sind Leute dabei, die hatten das in den vergangenen zehn Jahren nie auf der Agenda. Ich setze mich seit 30 Jahren damit auseinander. Und ich möchte diesen Film machen, der sich auf charmante, witzige und respektvolle Art mit einem Thema auseinandersetzt, das seit Jahren brisant ist.“ Eigentlich, sagt er, ginge es in seiner Komödie um Werte, um christliche und islamische.
Ist er selbst denn religiös? „Nein, aber der Islam gehört zu meiner Kultur. Wenn sich zwei türkischstämmige Leute treffen, lautet die erste Frage: ‚Wie heißt du?‘ Und die zweite ‚Wo kommst du her?‘ Gemeint ist: Bist du Türke oder Kurde, Alevit oder Sunnit? Damit bin ich ständig konfrontiert.“ Als sie Kinder waren und noch in der Türkei lebten, habe seine Mutter ihm und seinen Geschwistern bewusst kein Kurdisch beigebracht. „Damit wir in der Schule keinen Ärger bekamen.“ In Deutschland behielten die Eltern das bei, nun aus Sorge, die Teenager könnten sich für die PKK interessieren. „Aus ganz verschiedenen Gründen wurde das immer verneint. Da beginnt man automatisch, sich mit seiner Tradition zu beschäftigen.“
Der Film, den er drehen will, biete auch die Chance, zu schauen, wie die Leute aussehen, die mit Kopftuch nach Hause gehen. Worüber lachen die? Woran erfreuen die sich? Haben sie nicht ähnliche Sorgen? „Die denken auch: ‚Fuck, wie kriege ich es hin, dass mein Kind nicht auf der Straße rumhängt.‘“ Er müsse sich entschuldigen, dass er aufbrausender sei als sonst, sagt Acar. Aber es ärgere ihn, dass keiner sieht, dass mit dem Film eine Diskussion beginnen könnte. „Wie kann man nur so blind sein?“
Das Jahresende hält Numan Acar sich aber auch 2015 wieder frei, um die erste muslimische Weihnachtskomödie der Welt zu drehen. Ob er in der fünften Homeland-Staffel noch dabei ist, die auch in Berlin gedreht werden soll, wird er frühestens im April erfahren. Wird er langsam nervös, ob der Anruf für Season five kommt? „Ach, gar nicht.“ Sicher, Digger. Und Carrie Mathison ist die Mutter Teresa der CIA.
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