Marx in Amerika

Lesereise Wie gelangt ein schmaler Band über den Kommunismus aus der deutschen Provinz zu „Breitbart“? Die erstaunliche Karriere von Bini Adamczaks Buch in zehn Stationen
Ausgabe 18/2017
Die kommunistische Reise führt von Münster bis New York
Die kommunistische Reise führt von Münster bis New York

Illustration: Jonas Hasselmann für der Freitag; Foto: Ben Rose, Courtesy Archive Zamp Kelp

Frankfurt/Main Bini Adamczak
Die Selbstbeschreibung unserer Autorin lautet: „Unstetes Bündnis zänkischer Gespenster (bspw. dekonstruktivistischer Feminismen und orthodoxer Wertkritik), unerwünschter Erbschaften und nächtlicher Reproduktionsläufe.“ 2004 schreibt sie Kommunismus. Kleine Geschichte, wie es endlich anders wird. Da ist sie 25 Jahre alt.

Münster Unrast
2004 veröffentlicht dieser kleine linke Verlag in Münster unser Buch, ergänzt durch Zeichnungen der Autorin. In kindgerechter Sprache wird darin beschrieben, wie der Weg zum Kommunismus aussehen könnte. Zehn Jahre und 10.000 Exemplare später erscheint es zum Jubiläum noch einmal als Hardcover, die Zeichnungen gibt es jetzt auch als Postkarten.

Berlin und Manchester Die Übersetzer
Jacob Blumenfeld, Doktorand der New Yorker New School, kauft 2013 unser Buch auf der Oranienstraße in Kreuzberg. Er vereinbart mit Adamczak, es zu übersetzen. Kurz darauf meldet sich bei ihr die Geografiestudentin Sophie Lewis aus Manchester mit derselben Idee. Blumenfeld und Lewis übersetzen es daraufhin gemeinsam.

New York Der Vorabdruck
2014 veröffentlicht das New Yorker Magazin New Inquiry Teile der Übersetzung. Einen Verlag hat man da noch nicht. National Review, ein Flaggschiff des US-Konservatismus, zählt unsere Autorin zur Gruppe von Neomarxisten, die wie ein Geist über der Occupy-Bewegung schweben, unter ihnen der Philosoph Slavoj Žižek und Benjamin Kunkel vom Magazin N+1.

Cambridge, Massachusetts MIT Press
MIT Press ist einer der wichtigsten Universitätsverlage der USA. Nachdem Lektor Marc Lowenthal die Übersetzung gelesen hat, weiß er gleich, dass er das Buch veröffentlichen will. Lowenthal, der selbst bei einem Kleinverlag angefangen hat, hat eine Vorliebe für ungewöhnliche Bücher wie unseres, die in keine Schublade passen.

Los Angeles, Kalifornien Rachel Kushner
MIT Press schickt das Buch der Bestsellerautorin Rachel Kushner (Flammenwerfer). Kushner findet es intelligent und einzigartig. Für den Klappentext schreibt sie: „Der globale Kapitalismus ist nicht die Bestimmung des Menschen. Mit Hilfe von Adamczaks Grundlagenbuch über ihn hinaus zu denken, ist ein erster Schritt zur Freiheit, zumindest der Freiheit, sich andere Welten vorstellen zu können.“

Durham, North Carolina Fredric Jameson
Auch Jameson, ein Urgestein des akademischen Marxismus in den USA, bekommt Post vom Verlag. Der Knut-Schmidt-Nielsen-Professor of Comparative Literature an der Duke University findet unser Buch „entzückend“ und meint, dass es vielleicht dabei helfen könnte, zu zeigen, dass es andere Arten des Lebens gibt als dasjenige, das wir momentan führen.

Seattle, Washington Amazon
Der weltgrößte Versandhändler verkauft auch Bücher. Ziemlich weit oben steht unser Buch auf der Liste der Bestseller in der Rubrik Children’s Government Books, also etwa Regierungskunst für Kinder. Auf der Liste Communism & Socialism belegt es Platz 9. Die durchschnittliche Kundenbewertung: Zwei von fünf möglichen Sternen.

Los Angeles, Kalifornien Breitbart
Am 17. April 2017 empört sich der Autor Colin Madine auf Breitbart über das Buch. Madine ist ein Vertrauter des rechten Hetzers Milo Yiannopoulos. Im August 2016 übernimmt er die Verwaltung von dessen Stiftung „The Privilege Grant“, die Universitätsstipendien exklusiv für weiße Männer vergibt. Beide verabscheuen außerdem Gewerkschaften.

Berlin Neues Deutschland
Am 24. April 2017 führt die Reise zurück nach Deutschland. Unter dem Titel „Bini Adamczak treibt Breitbart in den Wahnsinn“ erscheint im Neuen Deutschland ein Text über die Aufregung in den USA. Auch die Zeit aus Hamburg berichtet. Als Nächstes steigen Frank Plasberg („Communism for Kids – wie gefährlich ist Bini Adamczak im Kinderzimmer?“) oder ein AfD-Ortsverband ein.

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Geschrieben von

Von Mladen Gladić und Christine Käppeler | Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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