Porträt Ute Mahler und Werner Mahler sind seit über 40 Jahren ein Paar und arbeiten genauso lange als Fotografen. Ein Gespräch über verschiedene Blickwinkel und gemeinsame Ziele
Ute und Werner Mahler: „Wir sind immer an fremdem Leben interessiert“
Foto: Enver Hirsch für der Freitag
Der Freitag: Das bekannteste deutsche Fotografenpaar heißt Bernd und Hilla Becher. Ihre Werkschau trägt den Titel „Ute Mahler und Werner Mahler“. Das scheint mir bewusst gewählt.
Werner Mahler: Ja, ganz bewusst. Man hat doch einen Vor- und Nachnamen. Wenn man den Nachnamen weg lässt, habe ich immer das Gefühl, der Eine ist das Anhängsel des Anderen.
Ute Mahler: Bei Bechers ist das aber etwas anderes. Sie haben ja, so wirkt es zumindest, von Anfang an zusammengearbeitet. Aber wir haben beide 40 Jahre unabhängig voneinander fotografiert.
Haben Sie sich mitunter als Konkurrenten empfunden?
Ute Mahler: Nein. Aber es gibt schon Themen, die ich auch gern gemacht hätte. Werners Arbeiter im Steinkohlebergwerk hätte ich sehr gern fotografiert.
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Ute Mahler: Nein. Aber es gibt schon Themen, die ich auch gern gemacht hätte. Werners Arbeiter im Steinkohlebergwerk hätte ich sehr gern fotografiert.Werner Mahler: Da wärst Du aber nicht reingekommen.Weil die Bergmänner wegen der Hitze nackt arbeiteten?Werner Mahler: Nicht wegen der nackten Männer. Unter Tage durften in den Siebzigern einfach keine Frauen arbeiten.Ute Mahler: Ich hätte es auch nicht wegen der Nacktheit machen wollen, sondern weil die Fotos etwas sehr Ursprüngliches zeigen, Arbeit pur. Es ist selten, dass ein Thema etwas so Universelles hat.Werner Mahler: Ich hätte dafür gern ein paar deiner Reisethemen für den Stern gemacht.Macht es einen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau hinter der Kamera steht?Werner Mahler: In der Porträtfotografie ist es oft sehr entscheidend, welche Geschlechter sich gegenübersitzen. Wenn Ute eine Frau porträtiert, ist da sicher eine andere Nähe und ein anderes Verständnis. Generell muss die Chemie beim Fotografieren stimmen.Ute Mahler: Ein Porträt zu fotografieren, ist wie ein Gespräch. Da entsteht für kurze Zeit eine unglaubliche Nähe und Intensität.Für die Schweizer Zeitschrift „Das Magazin“ haben Sie 1993 den Neonazi Bomber porträtiert. Wie geht man da mit Nähe um?Ute Mahler: Das war ein Wagnis. Ich wollte ja erfahren, was treibt den um, was treibt den an, was ist da los. Man muss sich einlassen. Man muss aber im Vorfeld wissen, ob man das aushält.Kann man das vorher wissen?Ute Mahler: Bei Bomber hatte ich mir eine Hintertür offen gehalten. Ich habe gesagt, ich kann das nicht machen, wenn Sie in drei Wochen die Fotos erwarten. Sie müssen mir die Zeit geben, die ich brauche. Und ich muss sagen können, ich schaffe es nicht.Gab es einen Moment, in dem Sie abbrechen wollten?Ute Mahler: Die Geschichte war eine Qual, wegen der Schulungsvideos und der Musik, die den ganzen Tag über liefen, aber auch, weil es so langweilig war. Er hatte gesagt, keine Kameradentreffen, keine Übungen im Bunker oder im Wald, nur er als Privatperson. Ich saß also alle paar Tage acht bis zehn Stunden bei ihm im Wohnzimmer und habe gewartet. Ich dachte, ich kriege nie ein Bild.Hat er verstanden, was Sie da wollten?Ute Mahler: Nein. Aber er fand es ganz angenehm, dass ich da war. Er war arbeitslos und hatte nichts zu tun. Seine Bedingungen, nur im privaten Bereich zu fotografieren, empfand ich als einschränkend. Dann habe ich gesehen, dass die Fotos durch die Kinder eine ganz andere Dimension bekommen.Es sind keine Klischeebilder.Ute Mahler: Ich habe auch eine scheinbar normale Familie am Kaffeetisch fotografiert, zum Beispiel beim Geburtstag des Sohnes. Dadurch bekam es etwas Allgemeines und wurde viel intensiver. Eine biedere Familie wie viele andere.Sie, Herr Mahler, fotografieren eine Abiturklasse seit 1977. In regelmäßigen Abständen besuchen Sie die Schüler von damals.Werner Mahler: Ich will dokumentieren, wie sich diese Menschen entwickeln. Ihre Physiognomie, ihre Kleidung, wie richten sie sich zu Hause ein. Was das Leben mit ihnen macht.Ihre Serie spiegelt auch den Lauf der Geschichte. Nach der Wende treten erste Lücken auf.Werner Mahler: Die ersten drei Fotos habe ich von allen 14. Bis 1990 verläuft die Serie kontinuierlich. Dann haben sich zwei verweigert, sie kamen vermutlich mit den neuen politischen Verhältnissen nicht klar und haben die Öffentlichkeit gescheut. Zwei Weitere sind mir abhanden gekommen. Dann gibt es einen, von dem ich vier Fotos habe. 1990 wurde er arbeitslos, danach hat er zu Hause gesessen und viele soziale Kontakte abgebrochen. Er wollte nicht mehr, dass das dokumentiert wird. Inzwischen sind zwei gestorben.Manche werden Sie womöglich überleben. Sie sind immerhin zehn Jahre älter.Werner Mahler: Ich will zeigen, wie sich ein Mensch vom 18. Lebensjahr bis zum Alter entwickelt. Besser wäre es, wenn ich der Jüngere wäre.Ute Mahler: Aber Du willst ja 95 werden, Werner.Werner Mahler: Ich sage zu ihnen immer: Solange ich sehen und den Auslöser betätigen kann, werde ich euch weiter aufsuchen.Vom 9. November 89 gibt es nur zwei Fotos in der Schau, die von Ihnen stammen, Herr Mahler.Ute Mahler: Als wir gehört haben, dass Schabowski diesen Zettel rausholte, sind wir losgefahren und standen sofort im Stau. Einer musste das Auto fahren. Wir haben spontan entschieden, dass ich das mache und Werner fotografiert.Werner Mahler: Ich bin dann losgelaufen. Nachts um zwei wollten wir uns am Kudamm treffen.Ute Mahler: … und haben uns natürlich verloren.Werner Mahler: Ich bin also vom Kudamm zum Brandenburger Tor und habe dort diese beiden Fotos gemacht. Auf dem Film sind sie exakt hintereinander. Das sind für mich Schlüsselbilder.War es für Sie schmerzhaft nicht zu fotografieren, Frau Mahler?Ute Mahler: Nein. Wenn ich fotografiere, ist das eine absolute Konzentration, da fällt manchmal das Erleben weg. Dieser 9. November war so ein Tag, an dem ich dachte, dass kein Foto widerspiegeln kann, was wir erleben. Ich habe einige wichtige Bilder in meinem Leben nicht gemacht, weil die Situation für mich emotional so stark war. Ganz große Freude und ganz großes Leid – das schafft kein Bild.Im Katalog erinnert sich die Journalistin Birgit Lahann, mit der Sie lange gearbeitet haben, wie Sie in Auschwitz einen wunderschönen Sonnenuntergang sahen. „So darf man Auschwitz nicht fotografieren“, sollen Sie gesagt haben.Ute Mahler: Das wiederum ist eine moralische Entscheidung. Diese Grenze, die muss sich jeder Fotograf selbst setzen.Sie haben eine Professur in Hamburg, Frau Mahler. Und Sie beide unterrichten an der Ostkreuzschule. Gibt es Dinge, die Ihre Studenten anders machen als Sie?Ute Mahler: Die Befangenheit nimmt zu, Fremde zu fotografieren. Da gibt es eine Ängstlichkeit, jemandem zu nahe zu kommen, vielleicht ist auch die Neugier nicht groß genug. In meiner Fotografengeneration war das nicht so.Da scheint heute ein großer Widerspruch zu bestehen. Viele stellen ja ständig private Fotos von sich ins Netz.Ute Mahler: Auch die jungen Fotografen beschäftigen sich heute mehr mit sich selbst.Werner Mahler: Wer bin ich. Wo komme ich her.Ute Mahler: Als wir angefangen haben, war man mehr an fremdem Leben interessiert.Werner Mahler: Sie glauben gar nicht, wie viele Foto-Serien es inzwischen zur eigenen Familie gibt.Haben Ihre Studenten es heute als Fotografen schwerer?Beide: Viel schwerer.Ute Mahler: Es gibt viel weniger Platz in den Magazinen, um zu zeigen, dass sie gute Fotografen sind.Werner Mahler: Jeder Beamte bekommt pro Jahr drei Prozent mehr. Bei Fotografen gehen die Honorare im Gegenteil nach unten.In welcher Größenordnung?Werner Mahler: Mitte der Achtziger hat ein freier Fotograf beim Stern zwischen 250 und 300 DM Tagessatz bekommen, heute kriegt man 300 Euro. Aber 1985 konnte man für 300 DM wesentlich mehr kaufen als heute für 300 Euro.Ute Mahler: Und dazu glaubt jeder, fotografieren zu können, seit die Technik keine Hürde mehr ist.Wie haben Sie selbst den Medienwandel erlebt?Werner Mahler: Das kann ich ganz einfach beantworten: Wir haben ihn nie gemacht. Mich interessiert Technik per se sehr. Wir waren mit die Ersten, die sich die beste Digitalkamera angeschafft haben. Aber wir haben sie kaum benutzt. Ute hatte das Glück, dass ihre Auftraggeber immer gesagt haben: Frau Mahler darf mit Mittelformat fotografieren, wir bezahlen das.Sie haben bis in die Neunziger fast nur schwarz-weiß gearbeitet.Ute Mahler: Das hatte hauptsächlich technische Gründe. Das Farbmaterial in der DDR war ziemlich abenteuerlich. Farbfotografie war überwiegend in der Werbung zu finden, bei sozialen Themen kaum akzeptiert.Die Ausstellung „Farbe für die Republik“, die im Deutschen Historischen Museum in Berlin läuft, zeigt ein anderes Bild der DDR.Werner Mahler: Das ist die reinste Form der Propagandafotografie. Jedes Bild ist hundertprozentig arrangiert und vorbereitet, in einer Eindeutigkeit, die unglaublich ist.Wurden Sie nie gefragt, das auch zu machen?Ute Mahler: Wir wurden vom FDJ-Zentralrat gefragt, ob wir für sie arbeiten wollen. Wir hätten eine super Karriere machen können.Werner Mahler: Ohne Frage.Ute Mahler: Aber man konnte nein sagen. Das haben wir auch getan. Dann konnte man aber eben nicht zu den damaligen Brennpunkten nach Vietnam oder Chile reisen, um dort zu fotografieren.Da waren Sie sich immer einig?Ute Mahler: Ja.Werner Mahler: Ein Großteil unserer Fotografie ist entstanden, weil wir dem offiziellen Bild unsere Sicht entgegensetzen wollten.Sie haben vergangenes Jahr Ihre Stasi-Akte angefordert, Frau Mahler. Warum erst jetzt?Ute Mahler: Man hat Angst vor Enttäuschungen, dass Leute dabei sind, die man mag, die einem wichtig sind, die einen aber verraten haben. Der andere Punkt ist, dass es schwierig ist, wenn man charakterlich eingeschätzt wird. Selbst mit dem Wissen, dass das tendenziös ist, kann man sicher verletzt sein. Ich denke seit 25 Jahre darüber nach. Vor einem Jahr habe ich gesagt, jetzt mache ich es.Und Sie, Herr Mahler?Werner Mahler: Ich habe mich dagegen entschieden. Von ein paar Leuten weiß ich es, mit denen haben wir nichts mehr zu tun. Mich interessiert es nicht mehr. Mir wurde auch kein Leid zugefügt. Wenn ich eingesperrt oder erpresst worden wäre, dann wäre es etwas anderes. Wir wussten beide, dass wir eine Akte haben. Aber es interessiert mich nicht mehr.
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