Millionäre hinter den Barrikaden

Wandel Die Bewegungsstiftung lädt Vermögende zum Wochenendseminar. Sie sollen ihr Geld für soziale Gerechtigkeit und Energiewende geben
Ausgabe 48/2015

Christina Hansen und ihre Mutter sitzen in Reihe drei und stricken an einem Gemeinschaftsprojekt. Sie waren sich noch einig, als der Sozialpsychologe Harald Welzer, der Ökonom Uwe Schneidewind und Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung über das Engagement der Bevölkerung für Flüchtlinge und die Lage nach den Anschlägen von Paris sprachen. Jetzt ist die erste Pause und sie müssen entscheiden, wie sie weitermachen. „Sechs rechts, sechs links“, die Mutter hat sich schon festgelegt. Christina Hansen schaut zweifelnd. Die Mutter sagt: „So ist es origineller.“ Das Argument zieht. Beide nehmen den bunt melierten Faden wieder auf. Wenn sie zurück zu Hause am Bodensee sind, soll eine Decke daraus werden.

Christina Hansen ist 26 Jahre alt, sie sagt von sich selbst, dass sie mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen ist und sich ihren Wohlstand nicht selbst erarbeitet hat. Ihre Großeltern gründeten in den 1960er Jahren bei Stuttgart eine Fabrik, die Plastikverpackungen herstellt, das Sortiment reicht inzwischen von Müllbeuteln bis zur Abfüllung von biologischen Impfstoffen. „Wie Sie mich erkennen? Langer, blonder Zopf und vermutlich mit Abstand die Jüngste“, hatte Christina Hansen gesagt, als wir vor der Tagung telefonierten. Es soll an diesen drei Tagen auf der Halbinsel Schwanenwerder im Wannsee bei Berlin um Philanthropie und Transformation gehen. Um die Frage also, wie Vermögende wie Christina Hansen und ihre Mutter den ökologischen und sozialen Wandel beschleunigen können. Denn dass der ökologische ohne den sozialen Wandel nicht möglich ist, steht für die Hansens außer Frage.

Kapitalismus und Gewalt

Für Außenstehende mag das paradox klingen, sind Vermögende wie sie doch Begünstigte des kapitalistischen Systems. Christina Hansen sieht das anders. Sie sagt, sie habe sich schon als Teenager verpflichtet gefühlt, ihr Geld sinnvoll einzusetzen, „sonst könnte ich nicht ruhig schlafen“. Und sie versteht ihr Engagement auch als Selbstschutz: „Irgendwann nehmen die vom System Benachteiligten das nicht mehr hin. Dann schlägt das in Gewalt um.“

Wie die meisten der rund 50 Vermögenden, die zur Tagung nach Schwanenwerder gekommen sind, gibt Christina Hansen Geld an die Bewegungsstiftung. Die Stiftung wurde 2002 gegründet, sie hat die Anfangsphase von Lobbycontrol in Berlin unterstützt und Castor-Blockaden von X-tausendmal quer im Wendland ermöglicht. Aktuell fördert die Stiftung 19 Gruppen, und um zu verstehen, wie breit ihr Engagement ist, müsste man eigentlich alle nennen. Die Themen reichen von Bundeswehrwerbung im Klassenzimmer über den Kohleausstieg bis zum Schutz von Frauen auf der Flucht. Das Aussteigerprogramm für Geheimdienstarbeiter des Künstlerkollektivs Peng! erhält ebenso Unterstützung wie ein transnationales Netzwerk gegen Landraub in Mali. Die Stifter, die wie die Hansens nach Schwanenwerder gekommen sind, wirken dagegen vergleichsweise homogen. Sie treten bescheiden auf und sind sehr höflich im Umgang. Auf Schmuck und ähnliche Insignien des Wohlstands scheint niemand Wert zu legen, den lautesten Applaus erntet Harald Welzers Forderung, man müsse SUVs verbieten. Eine Woche nach den Anschlägen in Paris und eine Woche vor dem dortigen Klimagipfel verbindet sie das Gefühl, dass ihnen womöglich die Zeit davonläuft. Sie fragen sich, ob sie nicht radikaler sein müssten. Und hoffen auf noch mehr Input.

Die gewaltigen Bäume vor den Fenstern verschwinden als schwarze Skelette in der Dunkelheit, als Annie Leonard, die US-Direktorin von Greenpeace, per Skype zugeschaltet wird. Annie sagt, sie sei superhappy, hier zu sprechen, und wird im Folgenden alle nur noch „you guys“ nennen. Sie spricht sehr schnell und sehr begeistert über verschiedene Kampagnenformen, und ein Punkt, der bei allen hängen bleiben wird, ist ihr supernachdrückliches Plädoyer dafür, dass man auch scheitern muss, wenn man weiterkommen will. Sie vergleicht das mit ihrer Erfahrung im Wintersport. Erst als sie riskierte zu stürzen, wurde sie von einer mittelmäßigen zu einer guten Skifahrerin. Als rhetorisch noch geschliffener erweist sich danach die supersmarte Clara Vondrich von Divest-Invest Philanthropy, die ihre Initiative vorstellt: Sie hat in den USA dafür gesorgt, dass Anleger, die insgesamt Aktien im Wert von 2,6 Billionen Dollar halten, Kohle-Wertpapiere rausgeworfen und gegen solche aus der Branche der Erneuerbaren eingetauscht haben. Vondrich erklärt im Tonfall einer Rede zur Lage der Nation, wie sie ihrem Kritiker Bill Gates vorrechnen konnten, dass seiner Stiftung in den vergangenen drei Jahren 1,9 Milliarden Dollar Rendite durch die Lappen gegangen sind, weil er nicht auf Erneuerbare umgestiegen ist. Zu den aktiven Divest-Investern gehören die Rockefeller Foundation und der Schauspieler Leonardo DiCaprio. Dass sich in Deutschland keine prominente Stiftung gefunden hat, die öffentlich nachziehen würde, ist sicher ein Grund, weshalb Divest-Invest in Deutschland noch keine Rolle spielt. Hapert es hierzulande also an der Supersmartness?

Christina Hansen ist erst mal supermüde. Sie hat um 5.20 Uhr den Zug nach Berlin genommen. Vondrichs Vortrag hat sie beeindruckt, aber sie ist auch skeptisch. Ob so viele wohl dabei wären, wenn die Renditen nicht so gut wären? Und was, wenn das Wachstum der Branche den Zenit überschritten hat?

Einer, der heftig genickt hat, als Annie Leonard mehr Mut zum Scheitern forderte, ist Hermann Daß. Der 57-Jährige ist Arzt, und auch er hat geerbt. Daß – graue Haare, silberne Brille, kariertes Hemd – sagt von sich selbst, was wohl die wenigsten Menschen so über sich sagen würden: Er sei mittelmäßig. Mittelmäßig gebildet, mittelmäßig reich, und so weiter. Es gebe Stifter, erzählt er, die liefen grundsätzlich nur barfuß herum und in einem alten T-Shirt: „Die treiben diesen Minimalismus auf die Spitze.“ Das ist nicht sein Ding. In der Bewegungsstiftung gehört er allerdings zu denen, die überdurchschnittlich engagiert sind. Auch er glaubt, dass eine Transformation des Systems notwendig ist: „Weil es an Grenzen kommt, die das Überleben aller gefährden.“ Als junger Arzt arbeitete Daß drei Jahre in Westafrika. Er hat dort erfahren, wie es ist, von weniger als einem Dollar am Tag zu leben. Und er muss feststellen, dass er hier in seiner Hausarztpraxis zu über 50 Prozent Krankheiten behandelt, die sich aus dem Wohlstand ergeben: Bluthochdruck, Übergewicht, Schlaganfälle. „Ich habe beides im Kopf, die Probleme aus dem Überfluss, und die Gefahren für die Leute auf der anderen Seite der Reichtumsschere.“ Frage an Hermann Daß: Gibt es auch Projekte, die in der Stiftung umstritten sind? Schwarze Pisten, auf die nicht jeder seine Skier lenken will? Daß fällt da sofort eines ein. 2011 förderte die Stiftung „Adopt a Revolution“, die in Syrien den Widerstand der Zivilgesellschaft gegen Assad unterstützten. Als in Syrien dann bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschten, beendete die Stiftung ihr Engagement, aus Angst, militante Aktionen zu unterstützen. Daß sagt, ihn habe kürzlich sehr berührt, was Navid Kermani bei seiner Rede in der Paulskirche sagte: „Wahrscheinlich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun. Aber den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer europäischen Haustür tun.“ Möglich, dass sie die Menschen in Syrien im Stich gelassen haben, denkt Hermann Daß.

Jo Andrews, die am folgenden Nachmittag auf dem Panel sitzt, ist aus London gekommen. Sie ist Direktorin des Netzwerks Ariadne, das auf europäischer Ebene den Austausch zwischen Vermögenden fördert, die sich als „progressive Stifter“ verstehen.

Kohle im Rentenfonds?

Zwischenruf aus dem Publikum: Was heißt denn eigentlich progressiv? Worauf sich alle spontan einigen können: für mehr soziale Gerechtigkeit, gegen Korruption, für Geschlechtergleichheit und erneuerbare Energien. Aber reicht das aus? Ariadne jedenfalls vergibt einmal im Jahr im Rahmen eines Dinners die Goldene Zitrone für das Projekt, das am grandiosesten gescheitert ist. Auch in London setzt man auf Mut zum Risiko. Im Zweifel ist das Geld futsch.

Christina Hansen macht diese Vorstellung wenig Angst: „Ich gebe mein Geld ja nicht in die Stiftung, damit es dort liegt und von mir gestreichelt werden kann. Man kann Geld in Kapital umwandeln oder in Treibstoff. Mir geht es darum, dass mein Geld etwas bewegt.“

Was sie als Erstes machen wird, wenn sie zurück am Bodensee ist, weiß sie auch schon: ihren Anlageberater anrufen. Der soll mal prüfen, ob in ihrem Rentenfonds noch Beteiligungen an Kohlefirmen stecken.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin Kultur

Christine Käppeler

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