Isabella Bortolozzi hat Erfahrung darin, anderen die Schau zu stehlen. Vor drei Jahren hielt in ihrer Stammgalerie die Performancekünstlerin Wu Tsang eine Art Séance für das digitale Zeitalter ab. Drinnen troff die Phosphorfarbe, draußen säumten die Zuspätgekommenen das Schöneberger Ufer. In diesem Jahr nun lud Bortolozzi am Vorabend des Gallery Weekends in den ersten Stock über ihrer Zweitgalerie Eden Eden zu einer Modenschau. Die Mode bedient sich ja schon lange bei der Kunst, bereits in den 1960ern gab es Yves Saint Laurents Robe Mondrian. Umgekehrt landet Mode meist in Kunstgewerbemuseen, öffnen sich ihr Häuser für zeitgenössische Kunst, wie zuletzt das Frankfurter MMK, wird sie bewusst museal inszeniert. Ohne theoretischen
retischen Überbau oder historische Relevanz kommt Mode eher nicht ins Museum.Die Mode, die Isabella Bortolozzi vorführen lässt, ist neu. Haute Militaire heißt die Kollektion des Londoner Duos Anthony Symonds und Alex Pearmain. Ein streng dreinblickender junger Mann steht mit einem iPad in der Hand zwischen Wohnung und Straße, wer auf seiner Liste steht, darf hoch und wird in die beiden Zimmer gelotst, die durch eine Flügeltür verbunden sind. Der Boden ist mit Pappe ausgelegt, ein roter Filzläufer markiert die Laufbahn, ringsum und dazwischen wird das Publikum platziert. Es geht dann alles sehr schnell, die Gitarrenriffs von Ram Jams Black Betty spülen die Models in den Raum, ihre bleistiftdünnen Mörderabsätze zerlöchern die Pappen, sie tragen Jumpsuits aus Breitcord mit Aussparungen an empfindlichen Körperstellen und Schlüpfer, auf die Cord- und Fellstücke appliziert sind. Die Show ist vor allem ein Spiel mit den Elementen einer klassischen Modenschau, der Shop, der unten in die Galerie einzieht, ist eine reine Schaufensterpräsentation, die Tür bleibt verschlossen. Imagemäßig profitieren trotzdem beide voreinander: Die Galerie vom Schauwert der Mode, die Mode von der Einbettung in die Kunstszene.Placeholder image-1Isabella Bortolozzi ist nicht die Einzige, die in diesem Jahr auf einen hohen Erlebniswert setzt. Wie kann man noch auffallen, wenn 47 Galerien gleichzeitig in der Stadt eröffnen? Von Johann Königs Galerie in der ehemaligen Kirche St. Agnes können geladene Gäste Freitagabend mit einem Shuttlebus direkt ins Berghain fahren, wo neben der dritten Tanzfläche des Clubs ein neues Werk von Norbert Bisky enthüllt und eingefeiert wird.Die LeibhaftigeAls Kunstkathedrale unter den Berliner Galerien wird St. Agnes dafür in diesem Jahr von den gigantischen Räumen von Blain Southern an der Potsdamer Straße abgelöst, wo die Besucher ungläubig auf Jonas Burgerts 22 Meter langes und sechs Meter hohes Tafelbild Zeitlaich schauen. Von dort zieht die Karawane weiter nach nebenan in den Laden von Andreas Murkudis, wo das Shoppersonal milde irritiert zusieht, wie ein tadellos gekleideter Kunde die Parfüms und Taschen mit dem Smartphone abfilmt. Mode und Kunst gehen hier ihre eigene Symbiose ein.Der Galerist Michael Fuchs hat in seine Räume in Mitte dafür die Leibhaftige eingeladen. Isabelle Huppert erscheint Freitagnachmittag um 14 Uhr und setzt sich zwischen die 100 Porträtfotografien, die die Künstlerin Roni Horn 2005 von ihr aufgenommen hat. Sie plaudert ein wenig mit Oda Jaune, die Hupperts Gesicht und Körper gemalt hat, und mit Marco Brambilla, der 35 Huppert-Monologe aus ihren Filmen gegeneinandergeschnitten hat. Humoristisch gebrochen wird diese Huppert-Hagiografie von Schwarzweiß-Zeichnungen, die Christian Jankowski bei Touristenmalern am Montmartre in Paris in Auftrag gegeben hat. Leider verweisen sie auf nicht viel mehr als die altbekannte Talentlosigkeit dieser Maler.Man muss dann zu KOW in der Brunnenstraße gehen, wo Filme von Candice Breitz zu sehen sind, die Südafrika in diesem Jahr auf der Biennale in Venedig vertreten wird. Breitz hat Interviews mit Schutzsuchenden geführt, die aus sehr unterschiedlichen Gründen aus ihren Heimatländern geflohen sind. Im Untergeschoss der Galerie sind die Videos auf sechs Monitoren zu sehen, jedes dauert um die drei Stunden. Ausschnitte daraus hat Breitz den Schauspielern Julianne Moore und Alec Baldwin gegeben, das Ergebnis ist auf einer Großleinwand im Zwischengeschoss zu sehen: Moore und Baldwin erzählen in derselben Kameraeinstellung die Geschichten der Menschen aus dem Untergeschoss in kleinen Happen. Sie machen sie konsumierbar, sie geben ihnen ein Gesicht, das wir kennen. Trotzdem kommt so nur ein kleiner Teil der Geschichten zu Sprache, manches berührt, anderes wirkt grotesk. Love Story ist vor allem auch ein Lehrstück über die Fragen, was geschieht, wenn wir für andere sprechen, und wem wir aus welchen Gründen zuhören.Letzte Frage also: Wie viele wären an diesem selten sonnigen Aprilsonntag ohne Julianne Moore und Alec Baldwin hier, um ein Werk von Candice Breitz zu sehen (und wie viele ohne deren Status als Biennale-Künstlerin 2017)?Placeholder infobox-1