Patriarchat zum Frühstück

Satire Ob Pay Gap oder Vergewaltigung: Kein Thema ist für das feministische Magazin „Reductress“ tabu. Nicht mal der Feminismus
Ausgabe 10/2018
„Irgendwann fiel uns auf, dass sich bestimmte Ideen nie durchsetzten, weil Männer sie schlichtweg nicht verstanden“
„Irgendwann fiel uns auf, dass sich bestimmte Ideen nie durchsetzten, weil Männer sie schlichtweg nicht verstanden“

Foto: Photocase/Imago

„Diese Frau ist CEO eines großen Finanzdienstleisters. Trotzdem trägt sie noch immer die falsche BH-Größe.“ „Ein echter Verbündeter? Dieser Feminist gibt ausschließlich die Ideen männlicher Kollegen als seine eigenen aus.“ „Wow. Dieser Frau ist es mit 89 Jahren gelungen, endlich einen Haarschnitt zu finden, der zu ihrer Gesichtsform passt.“

Diese Schlagzeilen stammen von der Webseite des feministischen Satiremagazins Reductress. Gegründet wurde es 2013 in New York, inzwischen hat es fünf feste Mitarbeiterinnen. Die Chefredakteurinnen Sarah Pappalardo und Beth Newell schrieben zuvor für andere Satiremagazine und entwickelten Bühnenprogramme für Stand-up-Comedy. Wie männlich dominiert ihre Branche ist, fiel ihnen in den Schreibwerkstätten auf. „Die meisten bestanden zu 90 Prozent aus Männern und zu zehn Prozent aus Frauen“, erzählt Pappalardo am Telefon. „Irgendwann fiel uns auf, dass sich bestimmte Ideen nie durchsetzten. Nicht weil die Männer sie aktiv blockierten, sondern weil sie schlichtweg nicht verstanden, wovon wir sprachen.“ Mit maskulinem oder femininem Humor habe das nichts zu tun gehabt, sondern mit unterschiedlichen Alltagserfahrungen. Was ihre Kollegen nicht kapierten? „Grob gesagt alles, was mit dem Körper einer Frau zu tun hatte oder ihren Erfahrungen beim Sex.“

100 Jahre Frauenwahlrecht

1918, vor einhundert Jahren, durften in Deutschland Frauen das erste Mal an die Wahlurne treten. Grund genug für die Freitag-Redaktion, zum Internationalen Frauentag die Hälfte dieser Ausgabe der Hälfte der Menschheit zu widmen: Frauen. Eine Ausgabe, die das Jubiläum von 100 Jahren Frauenwahlrecht zum Anlass nimmt, um sowohl an den Kampf von Frauen- und Wahlrechtlerinnen in Deutschland, England und der Schweiz zu erinnern als auch den Blick über die Historie hinaus zu weiten. Wir rücken den Druck, dem Frauen heute ausgesetzt sind, in den Fokus:

Wie sie es auch anstellen, irgendetwas daran ist immer falsch. Warum? Weil es kein eindeutiges Frauenbild gibt, so wie noch vor einigen Jahrzehnten? Dafür gibt es jede Menge vorherrschende, meist eindimensionale Zuschreibungen: Weibchen mit Kernkompetenz für Kinder, Küche, Vorgarten. Oder machthungrige Karrierefrauen, denen feminine Eigenschaften abhandengekommen sind.

Haben Frauen eine andere Wahl? Dürfen sie einfach so sein, wie sie nun mal sind: stark, schwach, Mutter, kinderlos, Chefin, Hausfrau? So unterschiedlich also wie das Leben selbst? Und eine Wahl jenseits der fakultativ-obligatorischen Möglichkeit, über den Bundestag, ein Kommunal- oder Landesparlament mitzuentscheiden?

Lesen Sie selbst!

Wer Realsatire zu diesen Themen sucht, wird am Kiosk fündig. Frauenmagazine von Cosmopolitan bis Für Sie leben von dem Widerspruch, ihren Leserinnen zu raten: „Seien Sie einfach Sie selbst!“, nur um zwei Seiten weiter locker-flockig anzuordnen: „Fünf Dinge, die Sie jetzt tun müssen für … perfektes Haar / perfekten Teint / perfekten Sex / den perfekten Beachbody / blütenweiße Blusen ohne Deoflecke.“ Selbst die ambitionierteste Multitaskerin muss daran scheitern, und so bleibt sie andauernd beratungsbedüftig.

Neue Sprache für Probleme

Pappalardo und Newell entschieden sich, dieses Format für ihre Satire zu nutzen. Entsprechend viele Texte auf der Seite handeln von Kosmetik, Kleidern („So tragen Sie Vichy-Karo, ohne mit einem Picknick-Tisch verwechselt zu werden.“), Fitness und Sex („So viel Sex pro Woche empfiehlt die Polizei.“). Eine weitere Quelle für Humor ist die kommerzielle Ausschlachtung feministischer Forderungen. Ursächlich sieht Pappalardo hier den Erfolg der Kampagnen von Dove, das Models mit unterschiedlichen Körpermaßen castete oder Frauen mithilfe eines forensischen Zeichners zeigte, dass sie schöner sind, als sie sich wahrnehmen. „Worum es eigentlich ging, war: Kauf dir eine Lotion, damit dein Körper besser aussieht. Seither nehmen Unternehmen sich auf immer absurdere Art aller möglichen Anliegen an.“ Bei Reductress klingt das dann so: „Fünf feministische Buchläden, in denen Sie Ihre Hochzeit feiern können.“ Herrlich albern ist auch der Text über drei Fruchtunternehmer, denen es gelungen ist, eine weniger phallische Banane zu züchten, damit „Frauen in Zukunft ihr Frühstück genießen könne, ohne das Patriarchat in den Mund zu nehmen.“

Überhaupt reißen die Autorinnen ständig Witze über Feministinnen und Feministen. Etwa über die Frau, die stolz auf ihren feministischen Partner ist, „der so lange nicht mehr arbeiten geht, bis Männer und Frauen den gleichen Lohn bekommen“. Oder sie wählen die schönsten Feministinnen des Jahres. „Wir wollen auch über uns selbst lachen“, sagt Pappalardo dazu trocken.

Wie jede gute Satire entstellen ihre Texte Alltagsprobleme zur Kenntlichkeit. Insbesondere gilt das für das Themenfeld Arbeitsplatz. Da ist zum Beispiel die Frau, die auf der horizontalen Karriereleiter Sprosse um Sprosse erklimmt, indem sie häufig den Arbeitgeber wechselt, aber streng darauf achtet, nie in eine bessere Position zu kommen. „Womanspiration“ heißt das entsprechende Ressort. „Wir stellen diese Sachen nicht online, weil wir hoffen, die Welt damit zu verbessern“, sagt Pappalardo. „Im besten Fall geben wir Leserinnen eine andere Sprache, um über Probleme zu reden.“ Im Sommer 2016 drehten sich einen Tag lang alle Artikel auf der Seite um Vergewaltigung. Und obwohl sie selten aktuelle politische Themen aufgreifen, gab es kürzlich auch einen ziemlich guten #metoo-Witz: Schauspielstudent Trent Westin ist ein Meister der Stanislawski-Methode. Doch trotz tagelanger Konzentration will es ihm nicht gelingen, sich in eine sexuell belästigte Frau hineinversetzen.

Tabu ist für die Macherinnen nur eines: „We don’t punch down.“ Niemals nach unten treten.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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