Eine Zeit lang sagte ich, wenn ich nach Feierabend in der Auguststraße verabredet war, ich ginge jetzt noch nach Mitte, was oft für Fragezeichen sorgte, denn der Hegelplatz und unsere Redaktion liegen ja auch in diesem Bezirk. Irgendwann sagte ich stattdessen Mitte-Mitte, und jeder verstand, wohin ich ging.
Die Kunst-Werke liegen im Hinterhof der Auguststraße 69, mehr Mitte-Mitte geht nicht, das ist die erste Hypothek dieses Hauses, das den Beinamen Institute for Contemporary Art trägt. Mitte-Mitte ist schon lange nicht mehr das Experimentierfeld, das es im Gründungsjahr 1991 war, laboriert wird hier eher am perfekten Tee-Kaltaufguss als an neuen künstlerischen Positionen. Die zweite ist Klaus Biesenbach, der als 23-Jähriger diesen Ort mit Kommilitonen aus den Ruinen einer Margarinefabrik erschuf, heute ist er Chefkurator am New Yorker MoMA, Direktor des MoMA PS1, Bundesverdienstkreuzträger und Erdkundelehrer der Zeitschrift Monopol. Man kann hier als Direktor nicht nur gute Ausstellungen zeigen, der Ort muss sich auch als Ort behaupten.
Schwer vorstellbar
Zuletzt hatte beides nicht mehr gut geklappt, auch deshalb kann man gespannt sein, was am 14. Mai diesen Jahres in den Kunst-Werken geschehen wird. Bisher gibt es nur eine schlichte Einladungskarte des Künstlers Ian Wilson, auf der dieses Datum steht und eine Art Werktitel: „The Pure Awareness of the Absolute / A Discussion“. Teilnehmen sollen die früheren Direktorinnen und Direktoren, Kuratorinnen und Kuratoren der KW. Und natürlich auch der Neue: Krist Gruijthuijsen, Jahrgang 1980, der vergangenen Donnerstag das Haus nach der Renovierung wieder eröffnet hat. Ian Wilson, der 1940 in Südafrika geboren wurde, produziert seit 1968 keine materiellen Werke mehr, sieht man von solchen Einladungskarten und anschließenden Teilnahmezertifikaten einmal ab. Wilson ist gewissermaßen der Anker von Gruijthuijsens Direktion. Und die Direktorenrunde am 14. Mai wird der Schlussakkord seiner ersten Ausstellung sein.
Für die hat Gruijthuijsen die Räume im Erdgeschoss und den großen Ausstellungssaal ordentlich ausgenüchtert. Die flüssigen Zeiten der Post-Internet-Art scheinen fürs Erste vorbei zu sein. Kein Tablet, keine Leinwand, noch nicht einmal ein 3-D-Print. In einer Vitrine sind frühere Einladungskarten und Zertifikate von Wilson zu sehen, in einer anderen Zeugnisse des Markenbewusstseins des Künstlers: eine Ausgabe der New York Times von Sonntag, dem 16. Juni 1968, in der er eine Annonce geschaltet hat, die nur aus seinem Namen besteht, daneben ein Brief, in dem er ankündigt, sein einziger Beitrag für eine Ausstellung solle im Abdruck seines Namens im Katalog bestehen. Im ansonsten leeren Nebenraum hängt ein gerahmtes Blatt Papier, auf das Wilson 1982 schrieb, das Werk manifestiere sich, sobald das Wort „time“ gesprochen werde. So weit, so Fluxus.
Er sei Purist, sagte Krist Gruijthuijsen, als ich ihn ein paar Wochen vor der Eröffnung traf: „Die digitale Welt interessiert mich wirklich nicht so sehr.“ Mit ihr ist alles Grelle und Schnelle aus den Kunst-Werken verschwunden. Dass dies keine Generationenfrage ist, zeigt Gruijthuijsen, indem er die 32-jährige Hanne Lippard auf Ian Wilsons Werk reagieren lässt. Die große Halle im Untergeschoss hat sie leer gelassen, bis auf eine spiralförmige, beige Treppe, die unters Dach führt, wo zwischen den Oberlichtern ein niedriger Raum entstanden ist, der unangenehm an eine Sauna erinnert. Lippards eigentliches Medium ist das gesprochene Wort, gut zwölf Minuten dauert ihre Soundinstallation Flesh: „Describe what you do in five lines.“ „How to get rich in one day.“ „Remember, it was okay if the only thing you did today was breathe.“ Die Zeit selbst scheint sich hier im Kreis zu drehen.
Am Fuß der Treppe stehen am Eröffnungsabend Hunderte in dem leeren Raum Schlange. Ein Occupy-Zeltlager oder die digitalen Trashwelten eines Ryan Trecartin sind hier unter Gruijthuijsen schwer vorstellbar. Er sei nicht die Sorte Kurator, die auf politische Ereignisse reagiere, sagte er bei unserem Treffen. „Wenn hier drinnen dasselbe zu sehen ist wie draußen – what’s the point?“ Es gibt ein Theaterstück von Sibylle Berg, das den schönen Titel trägt: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen. Im schlimmsten Fall wird Gruijthuijsens Post-post-Internet-Programm einen Dialog erzeugen, der über diese Räume nicht hinaus wirken wird.
Es verhält sich mit der neuen kompositorischen Strenge im Haus ein wenig wie mit dem Bellini, der an diesem Abend unten in Bob’s Pogo Bar ausgeschenkt wird. Dass die Kunst-Werke wieder eine Bar haben, ist eine gute Nachricht, nicht nur für Mitte-Mitte. Sie wird allerdings ein Members’ Club sein, Zugang haben exklusiv Inhaber einer Jahreskarte. Geöffnet ist donnerstags, das Programm und den Drink des Abends legen eine Künstlerin oder ein Künstler fest. Den Bellini hat die Performancekünstlerin Nora Turato ausgewählt. Ein Schluck, und man denkt, man wolle nie wieder etwas anderes bestellen. Ein halbes Glas, und man schaut auf das Bier, das sich der Stehnachbar mitgebracht hat.
Info
Ian Wilson KW Institute for Contemporary Art Berlin, bis 14. Mai
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