Rainald Goetz gibt ein Lese-Exemplar aus

Eventkritik Im September wird Rainald Goetz' neuer Roman "Johann Holtrop" erscheinen. "Das Buch ist kein Event", sagt er. Und macht eines aus der Ausgabe der Leseexemplare

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Der Suhrkamp-Verlag lud am Mittwochnachmittag auf vier Uhr in sein Verlagsgebäude, um Johann Holtrop, den lange erwarteten neuen Roman von Rainald Goetz, von diesem persönlich entgegen zu nehmen. Der Aufwand, der für alle Seiten mit diesem Akt der Übergabe verbunden ist, mag im Vorfeld A) übertrieben erschienen sein und deshalb B) den Verdacht genährt haben, dass hier auf besonders perfide Weise der Journalist seiner kritischen Distanz zum Gegenstand seiner Berichterstattung beraubt werden soll. Sollte Goetz etwa dort im Verlagsgebäude wie ein Buchmesseständler hinter einem Büchertisch sitzen und Rezensionsexemplare (womöglich mit einem persönlichen Grußwort für jeden und seiner Signatur versehen) in Journalistenhände legen?

"Rainald Goetz ist da drin" erfährt man vor Ort vor dem Büro der Leiterin der Presseabteilung. Auf einem Stehtisch liegen in der Tat in kleinen Stapeln die leuchtend blauen Leseexemplare, drumherum stehen vielleicht drei Dutzend sommerlich gekleidete Journalisten (Journalisten vor allem, die Journalistinnen sind an eineinhalb Händen abzuzählen) und auf einem kleinen Röhrenfernseher läuft die Harald-Schmidt-Show. Das Auge muss sich einen Moment an das Licht, das leuchtende Blau und an die hellen Hemden gewöhnen, um auszumachen, wo Rainald Goetz denn nun ist: Unter einer schwarzen Kunstfelldecke, auf einem Stuhl in der hintersten Ecke hinter dem Schreibtisch der Pressechefin.

Während man sich noch fragt, ob er dort nun einfach sitzen bleiben wird, bis der letzte Journalist mit seinem Leseexemplar zurück an den Schreibtisch oder an den Badesee gefahren ist, wirft er mit einer Sprungbewegung die Decke ab, landet wie eine 1 auf den Füßen, komplimentiert einen Journalisten aus seinem Gestikulier-Radius hinaus und spricht sodann: Darüber, warum es eigentlich dieses Leseexemplar gibt, wo man doch ebensogut ein paar Dateien hätte verschicken können (hätte man eben nicht, sagt er, denn erst dies, das gebundene, gedruckte, was wir nun in Händen halten, sei Johann Holtrop, sein Roman). Er lobt das Papier, das weder zu weiß noch zu gelb, und die Druckerschwärze, die genau richtig sei, sowie die Seiten, die in dem perfekten Maße durchscheinend seien und den guten Geruch, und dann kommt er auf den Roman selbst zu sprechen.

Der Schriftsteller Thomas Hettsche, sagt er, habe einmal die These aufgestellt, man erkenne einen Roman an seinem Werkcharakter. Klar, dass einer wie Goetz das ziemlich bescheiden finden muss. Das wichtigste am Roman, sagt er, seien die Menschen. Die Seele und ihre Unerkennbarkeit. "Es gibt kein Kriterium dafür, wie man Romane schreibt", sagt Goetz, und seine Augen glühen noch mehr, so dass man zu spüren meint, wie diese Kriterienlosigkeit ihn an- und umgetrieben hat beim Schreiben.

Doch Rainald Goetz ist nicht nur hier in diesem Verlagsbüro um über den Roman zu sprechen – auch wenn er in diesen 7 Minuten womöglich mehr über den Roman gesprochen hat als in seinem ganzen Schreibseminar an der FU – sondern es geht ihm um das, was wir nun anfangen werden, mit diesem Leseexemplar, das so (nämlich brochiert) nie erscheinen wird (sondern als Hardcover). Am Schluss, sagt er, dürfe es nur eine Frage geben: Was taugt das Buch. Weshalb er sich auch diese ewigen Porträts verbitte, bei denen der Autor wieder einmal über seiner Suppe sitzt und die immerselben Dinge erzählt. Dabei gehe es doch um das Buch, und darum: Was ist neu? Was wiederum nicht mit einer Neuigkeit zu verwechseln sei, denn ein Buch, das sei vor allem eines nicht: Eine Nachricht. Und schon garnicht ein Event. Ein Buch verschwinde nicht einfach wieder, weshalb es keinen Grund auf der Welt gebe, die Deadline, die groß hintendrinnen in dem Leseexemplar steht – bitte keine Rezensionen vor dem 8. September 2012 – nicht einzuhalten.

Nun mag man an der Sache mit dem Event natürlich gehörig zweifeln, wie man Goetz sich hier mit dem Buch in der Hand, gestikulierend, die Haare raufend vor sich stehen hat. Wie er etwas von der Unkenntlichkeit der eben erst Vergangenheit geworden Gegenwart erzählt und auf den Fernseher mit den alten Schmidt-Show-Folgen verweist (wo Schmidt und Andrack soeben auf zwei Kleiderständern Blusen mit Fleckenmittel einsprühen, und einen vermutlich wirklich eben erst Vergangenheit gewordenen aber niemals wirklich verständlich gewesenen Werbespot imitieren). Viel mehr Event um einen Roman geht nicht (es sei denn man gehört zu jener Kategorie Autor, die neue Bücher vor ihrem Erscheinen in Fernseh-Talkshows in Fernsehkameras hält). Die Deadline aber sei ihm unbenommen. Kein Wort über Johann Holtrop an dieser Stelle außer: Das Papier riecht wirklich gut.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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