Rentner meckern

Kunst Wie sich eine Kino-Dokumentation über die Documenta redlich bemüht
Ausgabe 28/2014

Ich erinnere mich gut an einen Abend während der Documenta 13, als wir auf dem Dach des Parkhauses saßen, in dem wir schliefen. Zu dem temporären Hotel gehörte eine Bar, sie war voll, und so teilten wir den Tisch mit drei jungen Männern, die sich, noch bevor sie richtig saßen, als gebürtige Kasseler vorstellten. Wir hörten in der kommenden Stunde sehr viel über das Leben in Kassel mit und ohne Documenta. Später gingen wir zu einem temporären Club an den Bahnschienen, wo Schüler und Studenten und Frauen tanzten, die alle ein wenig wie die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev aussahen. Wir dachten, dass wir uns das Kassel ohne Documenta unbedingt einmal ansehen müssten. Natürlich fuhren wir seither nicht wieder hin.

Art’s Home is my Kassel heißt ein Dokumentarfilm, der jetzt ins Kino kommt. Die Regisseurinnen Katrin und Susanne Heinz sind Mitte der 70er in Kassel geboren. Im Begleitheft zum Film schreiben sie, wie es war, an der Hand ihres Vaters Joseph Beuys zu begegnen, und von Onkel Heinz aus Paris, der ohne Documenta sicher nie zu Besuch gekommen wäre. Dass sie Jan Hoets Documenta liebten, „weil da richtig viel los war“, und die von Catherine David hassten, „weil sie Kassel mit einem Sockenladen verglich“.

Von der Abscheu gegen oder auch der Liebe der Kasseler zur Kunstschau bleiben im Film, der die Documenta des Jahrs 2012 von der ersten Pressekonferenz bis zum Abbau begleitet, viele Gemeinplätze. Ein Rentner mit Hund sagt in der Karlsaue, wo unter anderem Sam Durants Schafott-Installation steht: „Manche Dinge übersteigen meinen kulturellen Horizont.“ Oder wieder Rentner, vor Song Dongs Doing Nothing Garden, als der noch im Aufbau und nichts weiter als ein Dreckhügel ist: „Kunst ist was Anderes. Das ist Natur.“ Die Ironie ist, dass es im Fall des Dreckhügels absolut stimmt. Aber mit diesen feinen Unterschieden weiß der Film wenig anzufangen. Rentner mäkeln, Klappe zu.

Es gibt einige Szenen, die ließen sich verwandeln, etwa die mit der 87-jährigen Künstlerin Etel Adnan im Taxi einer Ur-Kasselerin. Nach einer donnernden Begrüßung auf Deutsch smalltalked die Libanesin auf Englisch gegen die Stille im Wagen an, wie schön es sicher sein müsse, in Kassel zu leben, sofern man die Sprache beherrsche, weshalb dieses Vergnügen für sie nun leider keine Option sei. Der Film ist aber streberhaft darauf bedacht, alles abzuhaken, Kunstwerke, Handwerker, pädagogisches Rahmenprogramm, sodass die Kunst, die Menschen und vor allem die Stadt keine Chance haben zu leuchten.

Kunst und Mensch tun das allenfalls nachts, wenn eine Restauratorin begleitet wird, die Tacita Deans Kreidebild Fatigues von den Spuren befreit, die Besucherhände trotz Verbotstafel hinterlassen haben. Da wird spürbar, was im Spannungsfeld zwischen Werk, abwesendem Künstler und erlebnishungrigem Besucher geschehen kann. Was fehlt, ist der Mut, Naheliegendes zu ignorieren. 180 Kasseler wurden bekanntlich vor der Kunstschau als „Worldly Companions“ geschult, um Besuchern dann ihre Documenta vorzustellen. Der Film ist so redlich, eine Kasseler Kunststudentin dabei zu begleiten, aber Redlichkeit ist das Gegenteil von Kunst – die Szenen sind so interessant, wie abgefilmte Museumspädagogik eben ist.

Und Kassel? Die Welt jenseits des Documenta-Geländes ist vom Taxi aus zu sehen. Von den Schülern und Studenten, die wir an jenem Abend mit den Carolyn Christov-Bakargievs tanzen sahen, weiß der Film nichts.

Art’s Home is my Kassel Katrin und Susanne Heinz D 2014, 86 Minuten

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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