Schüler gegen den Waffentod

Parkland, Florida Die haushohe moralische Überlegenheit der Teenager, die sich nach dem Amoklauf für strengere Gesetze einsetzen, wird für Trump und die NRA zum Problem
Ausgabe 08/2018
Die 18-jährige Emma Gonzales hielt zwei Tage nach dem Amoklauf eine beeindruckende elfminütige Rede
Die 18-jährige Emma Gonzales hielt zwei Tage nach dem Amoklauf eine beeindruckende elfminütige Rede

Foto: Rhona Wise/AFP/Getty Images

Als vergangene Woche ein 19-Jähriger 17 Menschen an seiner alten Schule in Parkland, Florida, niederschoss, da sah es für einen Moment so aus, als setze danach die übliche traurige Routine ein: Kerzen werden angezündet, Kuscheltiere abgelegt, der Präsident sagt, er schließe die Opfer, Angehörigen und Überlebenden in seine Gedanken und Gebete ein. Aber etwas ist dieses Mal anders: Die Teenager, die vor die Kameras der Sender treten, fügen sich nicht in die Rolle, die ihnen in dieser Tragödie vom psychisch kranken Einzeltäter zugedacht ist.

Man muss sich die Videos dieser Kurzinterviews mit Fox News und CNN ansehen. Sie stammeln nicht herum, sie sagen: Kinder sterben, weil Politiker Spenden der National Rifle Association annehmen. Lasst endlich nicht mehr zu, dass wir mit Waffen niedergemäht werden. Und die Reporter behandeln die Neunt- bis Elftklässler nicht wie Schulkinder, die getröstet werden müssen, sie sprechen sie als Experten an, die um Rat ersucht werden. Fast klingen diese Teenager selbst schon wie Politiker, aber sie entschuldigen sich für jeden Fehler und gehen auf Kritik ein. Die 16-jährige Sarah Chadwick, die am Morgen nach dem Amoklauf an die Adresse des US-Präsidenten twitterte: „Ich will Ihre Beileidsbekundungen nicht, Sie Stück Scheiße“, schob noch am selben Tag einen Tweet hinterher, in dem sie sich für den „vulgären Ausdruck“ und ihren „schrillen Ton“ entschuldigte. Sie schloss mit den Worten: „Ich entschuldige mich für meinen Kommentar, aber nicht für meine Wut.“ Es gibt fünfeinhalbtausend Antworten auf ihren Tweet, viele merken das Offensichtliche an: dass Trump diese Größe nie hatte.

Die 18-jährige Emma Gonzales hielt zwei Tage nach dem Amoklauf auf einer Kundgebung eine elfminütige Rede, die CNN in voller Länge online gestellt hat. Die meiste Zeit spricht sie unter Tränen, sie sagt: Wenn der Präsident kommen und mir ins Gesicht sagen will, das Ganze sei eine schreckliche Tragödie und man könnte nichts tun, um das zu verhindern, dann würde ich ihn gerne fragen, wie viel Geld er von der NRA bekommen hat. Aber wisst ihr was: Ich weiß es schon. 30 Millionen Dollar. Schande über alle Politiker, die Geld von der NRA nehmen. Wenn sie sagen, schärfere Waffengesetze werden Waffengewalt nicht verhindern, dann rufen wir: BS (kurz für „bullshit“).

In dem scheinbar aussichtslosen Kampf für eine Verschärfung der Waffengesetze in den USA wird die haushohe moralische Überlegenheit der Schüler für die Gegenseite zu einem echten Problem. Der Präsident denkt jetzt lauf darüber nachdenkt, Schnellfeuerkolben an halbautomatischen Waffen verbieten zu lassen. Der Vorstoß ist lächerlich, die sogenannten „Bump Stocks“ sind ein Miniaspekt des Problems. Doch er zeigt, wie sehr die Politik unter Zugzwang ist. Seit gestern kursiert das Video eines 50-Jährigen Waffenbesitzers aus Ohio im Netz, der seine AR-15 mit einer Flex zerlegt, um ein Zeichen zu setzen. Auf Facebook wurde das Video 21 Millionen Mal angesehen. Unter dem Hashtag #Oneless posten inzwischen immer mehr Waffenbesitzer Fotos ihrer zerlegten Gewehre.

Ein Schüler sagte vor den Kameras: „Dies ist keine Debatte. Dies ist eine Diskussion.“ Selbst den Vorwurf, es sei pietätlos, jetzt politische Forderungen zu stellen, greifen sie auf. Anstatt einfach „BS“ zu brüllen, sagen sie: „Respektieren wir. Und wir wissen auch schon, wann der richtige Zeitpunkt ist: Am 24. März.“ Für diesen Tag werden landesweite Demonstrationen unter dem Motto ‚March for our Lives‘ organisiert. Prominente wie George Clooney, Steven Spielberg und Dreamworks-Präsident Jeffrey Katzenberg haben den Schülern für dieses Vorhaben bereits je 500.000 Dollar gespendet.

Von einem kommenden Aufstand zu sprechen, wäre BS. Aber etwas kommt gerade in Bewegung.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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