Space is the place

Kunstbesuch Um Ängste zu entlarven, reicht oft ein schlichtes Bild. Lektionen der Berliner Art Week
Ausgabe 38/2016

Vielleicht erinnern Sie sich an ein Porträt, das im Frühjahr im Freitag erschien. Das Aufmacherfoto zeigte einen jungen Mann mit kräftigem Haar und buschigem Schnauzbart in einer Kosmonautenuniform. Muhammed Faris war 1987 als erster Syrer ins Weltall geflogen, in seiner Heimat feierte man ihn als Volkshelden. 2016 musste die Reporterin Rosie Garthwaite ihn in Istanbul treffen. Faris lebt dort im Exil, weil er sich gegen das Assad-Regime gestellt hat.

Das Foto des Kosmonauten begegnete mir vergangene Woche im Neuen Berliner Kunstverein wieder, als Ölgemälde, von blauen LEDs gerahmt. Es ist Teil einer Schau des türkischen Künstlers Halil Altındere. Er nimmt Muhammed Faris’ Schicksal als Ausgangspunkt für ein Szenario: Ließen sich die syrischen Flüchtlinge nicht einfach auf den Mars aussiedeln?

Die drei Räume sind im Stil eines naturkundlichen Museums gehalten, in einem Gesteinshaufen steht ein Mars-Rover, der hier nicht Curiosity sondern Palmyra heißt, auf einem Podest werden Raumfahrtanzüge für eine geflüchtete Kleinfamilie vorgestellt. Die Heldenbilder von einst in Öl bilden zusammen mit großformatig nachgedruckten sowjetischen Ehrenbriefmarken von 1987 die historische Folie. Altındere gelingt es, das Thema Flucht und Vertreibung zu verpoppen, ja konsumierbar zu machen, ohne damit die Brutalität dessen wegzuwischen, was in Syrien, auf den Fluchtrouten und im Exil geschieht. Sein Kinderraumfahrtanzug mit dem kleinen Sauerstoffgerät und den fragilen Röhren verbildlicht unbarmherzig, was es bedeuten würde, ein Kind wissentlich in ein so lebensfeindliches Umfeld zu schicken. Es verweist aber auch darauf zurück, wie es um das reale Umfeld der Kinder in Syrien bestellt ist.

In Altınderes Space Refugee steckt noch ein anderer guter Gedanke. Dass nämlich die, die heute zur Flucht gezwungen sind, einmal die Avantgarde sein könnten, weil sie über die Skills für ein solches Projekt verfügen. Wer alles Fremde ablehnt, wird auf dem Mars eher keine Zukunft haben.

Er wird auch kaum über die Postkarten von Aya Haidar lachen können, die parallel bei der Kunstmesse abc zu sehen waren. Die libanesische Künstlerin, die in London und Chicago Kunst und Social Policy and Development studiert hat, nimmt sich etwas angestaubte Postkarten aus europäischen Ferienregionen mit Nadel und Stickgarn vor. Wo immer ein See oder auch nur ein Freibad abgebildet ist, haben die Menschen nun leuchtend rote Schwimmwesten an, zwei Männer auf einem altertümlichen Automobil tragen Tschador, und einer Kirche an der Algarve wurde ein Halbmond aufs Dach gestickt. Die Postkarten sind der wohl entwaffnendste Kommentar, den es bisher auf die viel diskutierten Ängste des Westens gab.

Ein-Personen-Bunker

Überhaupt hatten viele Werke dieser abc etwas Befreiendes. Das Video L’air du temps des Kollektivs GCC, dem auch die kuwaitische Künstlerin Fatima Al Qadiri angehört, beamt mittels Digitaltechnik Gebrauchsgegenstände der arabischen Oberschicht in ein Pariser Hôtel particulier (eine Art Stadtschloss aus dem 18. Jahrhundert). Die Kamera streift durch die historischen Räume, wir sehen Kristalllüster und schwere Kommoden, auf einem Flachbildschirm läuft eine arabische Kochshow, ein Fitnessstepper und ein High-End-Kinderwagen stehen herum, an einer Wand hängt ein arabischer Schriftzug, auf dem schweren Sekretär steht ein iMac. So also sieht sie aus, die Überfremdung, gegen die Rechtskonservative mobilmachen.

Ein Gegenbild zu diesen bunten, hellen Fiktionen stand übrigens im Zentrum der Messe: ein drei Tonnen schwerer Ein-Personen-Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der sich zuvor im Braunschweiger Hafen befand. Wer sich darin verschanzt, kann nichts weiter tun, als durch die Sehschlitze kritisch seine Umwelt zu beäugen.

Info

Space Refugee Halil Altındere Neuer Berliner Kunstverein, bis 6. November. L’air du temps von GCC wird für die Sammlung der Neuen Nationalgalerie angekauft

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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