Hundert Jahre nach seiner Gründung in Weimar ist das Bauhaus zu einer Marke geronnen, die für alle anschlussfähig ist. Der Architekt und Publizist Philipp Oswalt fragt sich: Wie kann das sein, wo die Schule von Anfang an polarisierte? Oswalt interessieren die Konflikte und Irrwege des Bauhauses – und weniger bekannte Figuren wie der Schweizer Architekt Hannes Meyer, der nach Walter Gropius und vor Ludwig Mies van der Rohe von 1928 bis 1930 die Schule in Dessau leitete. Meyer gab als Direktor das Motto „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ aus, 1930 wurde er wegen „kommunistischer Machenschaften“ entlassen. Zwei Jahre später wurde das Bauhaus auf Betreiben der NSDAP aufgelöst. Während Gropius heute idealisiert wird, ist Meyer in Vergessenheit geraten. Wie auch viele der fragwürdigeren Lehren des Bauhauses.
der Freitag: Herr Oswalt, Sie waren bei dem Festakt, mit dem das Jubiläumsjahr eröffnet wurde. Wie fanden Sie die Veranstaltung?
Philipp Oswalt: In mehrfacher Hinsicht sehr enttäuschend. Es war ein Staatsakt, das heißt, es sprachen nur Funktionäre, es gab keinen Gestalter oder Künstler, der aus einem inhaltlichen Antrieb heraus gesprochen hätte. Frank-Walter Steinmeier hat dann das Bauhaus in seiner Rede im Wesentlichen in einer Kalter-Krieg-Rhetorik präsentiert. Das Bauhaus als Projekt der Demokratie, aber über das Soziale sprach er nicht. Stattdessen fing er an, rumzuschwurbeln: Wir brauchen Rekonstruktion, wir brauchen Heimat. Ich würde sagen, dass sich die ganze Problemlage der Sozialdemokratie in dieser Rede widerspiegelt. Das Soziale schwimmt weg, dafür versucht man, auch den Konservativen gerecht zu werden. Dem Erbe des Bauhauses wird das nicht gerecht.
Spiegelt sich darin auch der Umgang insgesamt mit dem Bauhaus in diesem Jubiläumsjahr?
Zumindest was den politisch-institutionellen Umgang betrifft. Als 2015 im Bundestag der Beschluss gefasst wurde, das Bauhaus-Jubiläum zu feiern, sagten in der Debatte von der CDU bis zur Linken alle mit den gleichen Floskeln dasselbe: Das Bauhaus war so toll, das Bauhaus war so sozial, das Bauhaus war so demokratisch, und es hat in die Gesellschaft hineingewirkt. Das ist schon sehr fragwürdig, weil die gesellschaftlichen Zielsetzungen von CDU, Linken, Grünen und SPD ja durchaus abweichen. Wie kann es dann sein, dass etwas gesellschaftlich Wirksames von ihnen mit den gleichen Worten und im Konsens beschworen wird?
Zur Person
Philipp Oswalt, 54, lehrt an der Universität Kassel und arbeitet als selbstständiger Architekt in Berlin. Er ist Autor mehrerer Bücher zu Fragen der Stadtentwicklung und über das Bauhaus. Von 2009 bis 2014 war er Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau.
Welche Erklärung haben Sie dafür?
Es zeigt, wie floskelhaft und oberflächlich der Umgang mit dem Bauhaus ist. Am historischen Bauhaus gab es natürlich nicht dieses eine Verständnis von Gesellschaft, es gab sehr unterschiedliche, konfliktreiche Konzeptionen. Wir haben es mit lebensreformerischen Strömungen zu tun, die antimodernistisch waren, wenn Sie etwa an Johannes Itten denken und die Mazdaznan-Bewegung. Es gibt das Elitenverständnis von Walter Gropius, der die Gesellschaft in einer Art Expertokratie von den besten Künstlern, Wissenschaftlern und Ingenieuren geformt sehen wollte. Sie finden das auch bei László Moholy-Nagy, der in seinem letzten Buch, das 1947 postum erschien, von einer Weltregierung spricht, die von einem solchen Team beraten und gestaltet wird. Dann haben Sie jemanden wie Hannes Meyer, der aus der Schweizer Genossenschaftsbewegung kommt und so eine Art Bottom-up-Sozialismus propagiert, die verwandt ist mit der Kibbuz-Bewegung zu dieser Zeit in Palästina. Und schließlich Ludwig Mies van der Rohe, der sagt, wir machen gute Architektur, das hat mit gesellschaftlicher Veränderung gar nichts zu tun. Wenn sie also sagen, das Bauhaus wirkt so toll in die Gesellschaft hinein, dann ist die Frage: Welches Bauhaus meinen sie denn von diesen?
Die meisten denken beim Stichwort „Bauhaus“ an schachtelförmige Häuser, Beton, Glas und Stahlrohrsessel.
Das liegt auch daran, dass die Rezeptionsgeschichte im Nachgang sehr stark von Gropius mit einer Reihe von Ausstellungen geprägt wurde. Angefangen 1930 in Paris, dann 1938 am MoMA in New York und schließlich die große Ausstellung 1968 in Stuttgart, an der er selber nicht direkt beteiligt war, die aber in seinem Geist von seiner Peergroup gemacht wurde. Er hat aus dem Bauhaus eine Marke geformt, die unhistorisch ist, die keine Widersprüche in sich trägt, die ein geschlossenes Bild abgibt. Dafür hat er Hannes Meyer ebenso ausgespart wie das frühe Bauhaus und hat seine Ära zwischen 1924 und 1928 in den Vordergrund gestellt, was in der Architektur Glas, Stahl, Beton und weiße Kuben bedeutet und im Möbelbau dann das Stahlrohrmöbel.
Von Hannes Meyer ist überliefert, dass er sagte, der Bauhaus-Stil müsse bekämpft werden. Woher rührte diese Vehemenz?
Stilbildung steht immer potenziell im Konflikt mit Gebrauchsfragen. Meyer hat versucht, mit den Akteuren und Ressourcen vor Ort zu arbeiten, das war gewissermaßen ein protoökologischer Ansatz. Beim Wettbewerb für die Bundesschule in Bernau war er von den eingeladenen Modernisten der einzige, der nicht eine monumentale, sehr geometrische Form in dieses Waldgrundstück setzen wollte, die sagt: Ich bin ein Objekt. Ihm ging es nicht um die große Geste, er hat das Gebäude mit seinem Partner Hans Wittwer in die Landschaft eingebettet. Es ist aus Ziegeln gebaut, also dem, was in der Mark Brandenburg vorhanden ist. Es gab keine fixe Gestaltidee, die durchdekliniert wurde, sondern er hat versucht, aus den Gegebenheiten etwas zu entwickeln. Hannes Meyer hat in seiner Suche nach architektonischen Antworten auf die gesellschaftlichen Herausforderungen immer wieder neue Architekturkonzeptionen entwickelt, die seiner Zeit sehr voraus waren und heute noch interessant sind. Nach üblichen Kriterien war Gropius nach 1930 extrem erfolgreich und Hannes Meyers Karriere gescheitert. Inhaltlich-konzeptuell verhält es sich aber genau umgekehrt. Gropius brachte nach 1930 nicht mehr etwas Relevantes, substanziell Neues zustande.
„Kein Beitrag zur Wohnungsfrage“ lautete der etwas provokante Titel Ihres Impulsvortrags bei der Konferenz „Wie politisch ist das Bauhaus?“ am Wochenende im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Hat das Bauhaus diesbezüglich wirklich nichts zu bieten?
Es ist ein totales Missverständnis, wenn wir die Innovation des sozialen Wohnungsbaus in der Weimarer Republik als ein architekturgeschichtliches Phänomen betrachten. Das Entscheidende war eine komplette Veränderung der Finanzierung und der Trägerschaft im Gegensatz zum spekulativen Wohnungsbau der Gründerzeit. Die Architekten hätten ohne gesellschaftliche Partner nichts zustande gebracht, das waren vor allem die sozialdemokratisch regierten Kommunen, ob das jetzt in Berlin, Frankfurt, Amsterdam, Rotterdam oder Wien war. Nur aus dieser Liaison ist überhaupt dieses ganze Programm der klassischen Moderne möglich geworden. Es gab neue Finanzierungsformen, es gab die Hauszinssteuer, es gab die Genossenschaften als Bauherren, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, und die haben das Programm umgesetzt. Es ist kein Zufall, dass Hannes Meyer mit genau diesen Trägerschaften in Deutschland und der Schweiz agieren konnte. Aber er hat kaum Wohnungsbau gemacht. Gropius wiederum hat in seiner Bauhaus-Zeit größtenteils für das Großbürgertum gebaut. Deshalb ist es etwas seltsam, wenn alle jetzt die Erwartung haben, mit dem Bauhaus-Erbe im Rücken könnte man die Wohnungsfrage adressieren.
Was ist mit den Wohnsiedlungen, die in Dessau entstanden?
Gropius’ Häuser in Törten waren entgegen seinen Versprechungen teurer als der herkömmliche Wohnungsbau und zudem schlecht konzipiert. Interessanter ist das Konzept, das Ludwig Hilberseimer, den Meyer als Städtebaulehrer ans Bauhaus holte, für die Erweiterung von Törten erarbeitet hat. Eine Mischbauweise zwischen Geschoss- und Flachbauten, die nicht das Elend der Einfamilienhaus-Gebiete vorwegnimmt, wie wir sie heute kennen, sondern urban wird, durch die Mischung mit dem Hochbau. Die Flachbauten sollten als Holzbauten realisiert werden auf Grundstücken, die nur 180 Quadratmeter groß sind. Das sind Sachen, die man heute ernsthaft diskutieren sollte.
Im Jubiläumsjahr wird das Nachwirken des Bauhauses in aller Welt beleuchtet, von Chicago bis Tel Aviv. Viele Bauhaus-Lehrer und -Schüler mussten in der NS-Zeit emigrieren oder kamen in Haft, einige wurden ermordet. Weniger bekannt ist der Weg von Meyers Schüler Fritz Ertl, der in Auschwitz Baumeister wurde.
Wie kommt es dazu? Die widerstreitenden Ideen habe ich schon geschildert. Es gibt von Johannes Itten von 1923 einen Text über Kunstentwicklung und Rassenlehre, der extrem rassistisch ist. Er beschreibt darin die weiße Rasse als Krönung der Schöpfung, in einer Bauhaus-Mappe findet sich die Lithografie Haus des weißen Mannes, das ist so rassistisch gemeint, wie es klingt. Die westdeutsche Mythenbildung, das Bauhaus sei die Institution für Demokratie, stimmt nicht. Es ist anschlussfähig in verschiedene Richtungen und nicht per se widerständig und progressiv. Die Idee einer technischen Optimierung und rationalen Planung ist etwas, das sich natürlich auch, so pervers es ist, in einer Erweiterung von Auschwitz niederschlagen kann. Ein anderer Fall ist der Gropius-Schüler Ernst Neufert, der unter Albert Speer die Bauentwurfslehre verantwortete und für die Entwicklung der Baukultur im Nationalsozialismus eine wichtige Figur war. Das ist kein Ausrutscher, es passiert wiederholt. Und es gibt die Erfahrung in der Sowjetunion, wo Hannes Meyer und andere in die Ära des Stalinismus hineinschlittern, wo sie sich auch nicht alle ehrenhaft verhalten. Das heißt, man ist auch als Bauhäusler nicht gefeit vor den Ideologien des 20. Jahrhunderts.
Was würden Sie sich für den weiteren Umgang mit dem Bauhaus wünschen?
Anders als in den 1920er Jahren ist das Bauhaus heute zum Mainstream geworden. Es passt vermeintlich perfekt in eine Zeit, wo alles designt, kreativ und individuell sein muss. Die Marke Bauhaus wird für alles genutzt: für Politik, Tourismusindustrie und Vermarktung von Konsumgütern. Damit verliert das Bauhaus jedes kritische und widerständige Potenzial, die es einst gehabt hatte. Das geht aber nur, weil das in der Öffentlichkeit verbreitete Bauhaus-Bild verfälscht ist, weil alle Krisen, Konflikte, Widersprüche und Irrwege verschwiegen werden. Erst wenn wir diese wiederentdecken, könnte das Bauhaus nochmals produktiv wirken. Daher wünsche ich mir einen Bauhaus-Streit darüber, was das Bauhaus eigentlich war.
Info
Hannes Meyers neue Bauhauslehre. Von Dessau bis Mexiko Philipp Oswalt (Hg.) Birkhäuser 2019, 352 S., 29,95 €
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