Terrorist in heroischer Pose

World Press Photo Die Entscheidung, das Attentat auf den russischen Botschafter in Ankara zum Foto des Jahres zu erklären, ist umstritten. Doch der Preis kommt im richtigen Moment

Das Foto des türkischen Polizisten, der den russischen Botschafter Andrej Karlow in Ankara ermordete, sah ich am Abend des Attentats in der U-Bahn aus dem Augenwinkel auf einem fremden Ipad. Ich erinnere mich noch, wie seltsam es mir vorkam: Eine Kunstperformance als Aufmacher der Internetseite der New York Times. Denn dass es sich um ein künstlerisches Werk handelte, schien sicher zu sein. Der Ort war eindeutig ein Museum, ein klassischer White Cube, an dessen Wänden Bilder hingen. Davor ein gut aussehender junger Mann in einem schmalen schwarzen Anzug, den Revolver in der rechten Hand, die linke fuchtelnd erhoben.

Später las ich, dass es sich um Mord handelte, dass der Botschafter bei der Eröffnung der Ausstellung von dem jungen Mann erschossen worden war. Seine genauen Motive werden vermutlich im Unklaren bleiben. Andere Polizisten erschossen ihn kurz nach der Tat. Die türkische Regierung verdächtigt die Gülen-Bewegung, es gibt aber auch zahlreiche Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund.

Keine Täter-Fotos

Dass dieses Foto von der Stiftung World Press Photo nun zum Pressefoto des Jahres erklärt wurde, stieß erwartungsgemäß auf Kritik. In der Debatte, ob Fotos von Attentätern überhaupt gezeigt werden sollen, entschieden sich einige große Zeitungen – darunter Le Monde und Die Zeit – zuletzt bewusst gegen den Abdruck von Täter-Bildern. Die Boulevardzeitung B.Z. druckte vergangenen Sommer nach dem Amoklauf von München auf ihrem Cover ein weißes Rechteck ab und schrieb darüber: „Dein Foto kommt nicht auf unseren Titel!“

Die World-Press-Photo-Jury begründete ihre Entscheidung damit, das Foto zeige wie kein anderes „den Hass unserer Zeit“. Es ist in der Tat sehr anders als die Attentäter-Fotos, die wir kennen: Pixelige Überwachungskamerabilder, abfotografierte Pässe oder die ewigen Variationen des IS über martialisch posende Jungkrieger. Das Foto aus Ankara reiht sich nicht ein in diese Bilder des Terrors ein. Mit dem seltsamen Effekt, dass es uns keine Angst macht.

Was dieses Foto so schwer lesbar macht, ist die Künstlichkeit, die von ihm ausgeht. Der Ausstellungsraum erzeugt eine merkwürdige Verdopplung: Er stellt den Täter aus. Das zornverzerrte Gesicht, die extreme Spannung des Körpers gerinnen in diesem Raum zu Zeichen. Es stimmt also schon: Die Aufnahme aus Ankara ist ein ikonisches Foto, das symbolisch für den Hass unserer Zeit stehen kann.

Opfer am Boden

Peter-Matthias Gaede, der 20 Jahre Chefredakteur von Geo war, kritisierte in einem Gastbeitrag für Meedia die Jury-Entscheidung: „Wieso müssen wir zu den Protagonisten unserer Zeit die Mörder machen?“. Warum, so Gaede, zeige das Foto des Jahres nicht den Mut und die Zivilcourage, die es auch gibt? Alternativ schlägt er das Foto der Krankenschwester Ieasha Evans vor, die sich auf einer Demonstration gegen rassistische Polizeigewalt in Louisiana alleine in einem leichten Sommerkleid einem Trupp vollgepanzerter Polizisten entgegenstellte. Die Zeit hatte es im Januar auf ihrem Cover mit der Headline „Was ist heute ein Vorbild?“ abgedruckt. Ohne Zweifel ist auch dieses Foto ikonisch. Aber betrögen wir uns nicht selbst, wenn wir es zum Foto des Jahres erklärten? Die Botschaft „love trumps hate“ hat sich 2016 nicht durchgesetzt.

Ein anderer Aspekt wiegt für mich schwerer: Das Foto aus Ankara zeigt nicht nur den Täter sondern auch das Opfer. Es ist kein Blut zu sehen, der Ermordete ist durch die Tat nicht entstellt – aber das macht diese Form der Abbildung nicht weniger entwürdigend.

Als 2015 das Foto des toten Flüchtlingskinds Aylan Kurdi am Strand von Bodrum kontrovers diskutiert wurde, da lautete ein überzeugendes Argument, nicht das Foto verletze die Würde dieses Kindes, sondern das, was zuvor geschah. Das Foto gebe sie ihm vielmehr ein Stück zurück, da es dafür sorge, dass wir vor seinem Schicksal nicht die Augen verschließen. Mit dem toten Botschafter verhält es sich anders. Er liegt wie Beiwerk am Boden. Einen Ermordeten so zu zeigen, ist medienethisch eigentlich nicht vertretbar.

Doch auch in dieser Hinsicht zeigt das Foto „den Hass unserer Zeit“. Es spiegelt, wie der Hass die Debatten dominiert – und wie wir die Opfer darüber aus dem Blick verlieren. Deshalb kommt der Preis für das Foto im richtigen Moment. Es kann uns eine Warnung sein.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

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