Der Wiener Schriftsteller Franzobel hat im Januar einen Krimi veröffentlicht, der in einem zunehmend totalitär regierten Österreich nach dem Scheitern der Koalition von ÖVP und FPÖ spielt. Limes heißt die neue Partei, die über Nacht auf den Plan getreten ist. Anfangs wissen viele nicht so recht, wie sie diese Regierung einschätzen sollen, die Wien mit den Slogans „Wir für Euch“, „Soziale Heimatpartei“ und „Wir sind das Volk“ pflastert. Limes geriert sich als Verfechter des „wahren Sozialismus“, macht aber vor allem antimuslimische Politik und entpuppt sich bald schon als straight faschistisch. Durch eine blöde Verwechslung gerät der Gin-Händler Malte Dinger in die Mühlen des im
„Vergessen ist Volkssport“
Interview Franzobel hatte in seinem Krimi „Rechtswalzer“ die Koalition von ÖVP und FPÖ bereits im Januar zu Fall gebracht
im Umbau befindlichen Strafsystems, und Franzobels Kommissar Falt Groschen stößt über Ermittlungen in einem Witwentröster-Fall auf kleinstädtische Vetternwirtschaft und schließlich auf Korruption im großen Stil.Seit der Veröffentlichung des sogenannten Ibizia-Videos, das den FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache im Sommer 2017 beim Geschacher mit einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte zeigt, geht es in Österreich ganz real Knall auf Fall: Strache, der wenige Monate nach dem Videodreh Vizekanzler wurde, musste von seinen Ämtern zurücktreten, FPÖ-Innenminister Herbert Kickl wurde wegen Befangenheit entlassen, und am Montag sprach das Parlament Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seiner Regierung das Misstrauen aus.der Freitag: Franzobel, bei Ihnen scheitert die blau-türkise Koalition 2024. Die Realität hat die Fiktion eingeholt.Franzobel: Ich konnte mir zum Zeitpunkt des Schreibens nicht vorstellen, dass die Kurz-Strache-Regierung so schnell ins Trudeln gerät. Für mich war klar, dass wir in Österreich diese Regierung noch länger haben. Die Außendarstellung war ja äußerst professionell, und die Boulevardpresse hat alles goutiert, was die türkis-blaue Koalition gemacht hat. Kurz wurde geradezu abgöttisch verehrt.Also fast ein Zustand wie im Krimi, wo Ihr Kommissar Groschen am Kiosk nicht mehr zur Zeitung greift, sondern zum „Geo“-Magazin, weil er die Lobhudeleien auf die neue Regierung nicht mehr lesen kann.Absolut. Das hat schon Wurzeln in der Realität gehabt.Im Moment ist die große Frage, ob die Selbstdemontage von Strache und die Zerlegung der FPÖ den Rechtspopulisten schadet – oder nicht, weil deren Wählern vielleicht eh schon alles egal ist. Sie entschieden sich für ein Szenario, in dem Letzteres der Fall ist: Nach dem Scheitern der Koalition kommt eine Kraft an die Macht, die erst recht rechts ist.Ich habe den Rechtsruck in Europa beobachtet, Ungarn, die Türkei, Amerika. Was die aktuelle Situation anbelangt, hoffte ich gerade mal eine Woche lang, dass wir in Österreich nach Ibiza in nächster Zeit von einer rechten Regierung verschont bleiben. Aber Fehlanzeige. Die Ereignisse der letzten Tage haben das Gegenteil gezeigt. Die FPÖ stellt sich in einer unglaublichen Verdrehung der Wahrheit als Opfer dar und der Wähler glaubt ihr. Der Österreicher ist ein geübter Verdränger und schnell wieder beim „Jetzt erst recht“. Wir haben keinen äußeren Brexit, sondern einen inneren, der sich als Kronen-Zeitung-Insel abspaltet und die selbstgerechte Kleingeistigkeit als Exil betrachtet.Im Nachwort schreiben Sie, ein Ausgangspunkt war die Verhaftung von Journalisten in der Türkei. Jetzt ist in diesem Ibiza-Video ein Strache zu sehen, der im Prinzip den ORF und die „Kronen Zeitung“ gerne gleichschalten würde. Hat Sie das dann doch noch schockiert?Im Buch kommt mit Lex Arminius ein Anchorman des österreichischen Rundfunks vor, der Ähnlichkeiten mit Armin Wolf vom ORF hat. Ein kritischer Journalist, der unangenehme Fragen stellt. In Österreich gibt es leider sehr wenige davon. Die FPÖ wollte ihn weghaben, hat ihm zynisch empfohlen, in Karenz zu gehen. Die „soziale Heimatpartei“, wie sich die FPÖ auch nennt, hat seit Jahren, niemand weiß, mit welchen Mitteln, flächendeckend inseriert, entsprechend freundlich war die Berichterstattung. In den Boulevardmedien wurden Regierungsskeptiker weggelobt. Der Innenpolitikchef der Kronen Zeitung zum Beispiel, Claus Pándi, wurde nach Salzburg versetzt. Insofern war ich nicht geschockt. Versuche der Beeinflussung gibt es schon lange, aber diesmal war man auf dem besten Weg, die Medien zu einer Mischung aus der Prawda und dem nordkoreanischem Rundfunk umzufunktionieren.Vergangenen Mittwoch wurde beim Privatsender Oe24 ein „Sicherheitsexperte“ aus der Halbwelt befragt, der erklärte, er habe in dem Video einen Zögling erkannt und seine Handschrift, wie man solche Videos im Auftrag von Erpressern erstellt. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn am nächsten Tag herausgekommen wäre, dass er eigentlich Komparse am Burgtheater ist. Immer skurrilere Gestalten tauchen auf, die Gerüchteküche läuft heiß.Baumeister, Burschenschafter, Pistolenhersteller, der Sicherheitsexperte, aber auch der Medientycoon … Österreich ist voller Nestroy-Figuren. Vielleicht steckt ja ein Kabarettisten-Kartell hinter dem Video? Eine halblustige Vereinigung, die ähnlich der Limes-Bewegung im Rechtswalzer bald humorlos die Macht übernimmt. Wir haben in Österreich diese Sprechweise des Double-Bind, man meint Dinge anders, als man sie sagt. Das ist charmant, aber auch gefährlich. Mit ironischem Lächeln werden Dinge gesagt oder getan, über die man eigentlich nur den Kopf schütteln kann. Deswegen geht viel mehr durch als in Deutschland, wo man das Gesagte meist auch meint.Wer blass bleibt in Ihrem Roman, das sind die politischen Intriganten. Kurz und Strache sind hingegen beide faszinierende Figuren. Warum haben Sie von der Ausschmückung der Führer dieser ja noch viel krasseren Partei die Finger gelassen?Da habe ich mich an George Orwell angelehnt, über dessen Großen Bruder man auch nichts erfährt. Der Meister und das Meisterlein im Roman sind eine Projektionsfläche der Macht, die ich nicht durch zu viel Beschreibung verunreinigen wollte. Weil diese Leute ja austauschbar sind. Die einen sind jovial und erdig, fraternisieren mit allen, andere sind wie mit einer Teflonbeschichtung überzogen, ungreifbar. Haider zum Beispiel war viel intellektueller als Strache, eine literarische Figur, die interessanterweise jetzt sogar von den Linken gelobt wird.Placeholder infobox-1Von den Linken, im Ernst?Ja, als großes politisches Talent. Wäre Haider bei der SPÖ gewesen, hätten wir ihn bestimmt als Bundeskanzler gehabt. Er hatte ein Gespür für Themen und war für einen Ultrarechten fast schon wieder links. Ein Politiker gewordener Lausbub.Die Frage ist ja: Wer ist gefährlicher? Die sehr Intelligenten oder die Plumpen?Bei Intelligenten ist schwer vorstellbar, dass sie in so ein Ibiza-Video geraten. Das kann ich mir weder beim Herrn Kickl vorstellen, der der intelligenteste FPÖler ist, aber auch bösartig und diabolisch, noch bei Norbert Hofer. Strache wirkt dagegen naiv und durchschaubar.Gefährlich wird es dann, wenn die Wähler nicht mal das mehr abschreckt.Und genau das, so unglaublich es klingt, ist in Österreich gerade der Fall. Die Medien zelebrieren eine „Jetzt erst recht“-Stimmung, und Philippa Strache darf auf zig Kanälen die Unschuld ihres Mannes beteuern und ihn als armes Opfer darstellen, das nie etwas Illegales getan hat, sondern von einer „Schmuddel-Kampagne“ in den Dreck gezogen wird. Und die Österreicher glauben es! Plötzlich sind die Macher des Videos die Bösen und nicht mehr Strache und Gudenus. Es ist nicht zu glauben, aber es scheint, wir sind eine Nation von politisch Unmündigen. Eine Nation von Halbdebilen, deren Volkssport das Vergessen und Verdrängen ist. Wir hatten ja bereits einmal eine FPÖ-Regierung, deren Mitglieder mittlerweile mehr oder weniger alle bereits rechtskräftig verurteilt worden sind oder immer noch Verfahren anhängig haben. Korruption ist in Österreich ein Kavaliersdelikt und Betrunkenheit ein Sympathieträger. Beides wird verziehen. Strache hat vielleicht nur einen Fehler gemacht: den Verkauf der Kronen Zeitung anzudenken, das ist sogar hierzulande ein Sakrileg.In Deutschland gibt es die Lügenpresse-Vorwürfe. Wie ist das in Österreich? Wenn die „Kronen Zeitung“ sich gegen die FPÖ wendet, gehen die rechten Wähler da noch mit?Die Kronen Zeitung ist ein absolutes Phänomen, weil sie eine Pluralität an Meinungen – manche sogar recht liberal, andere rassistisch jenseitig – verkörpert, die sie immer wieder zum Rammbock formiert, um scheinbar beliebig ausgemachte Ziele niederzurennen. Ich hätte erwartet, die Krone-Leser würden irgendwann wegsterben. Aber von wegen, die vermehren sich. Es scheint, als würde der Sumpf der Dumpfheit die Fertilität steigern. Und ja, die Leser folgen ihr bedingungslos. Allerdings war die Abwendung von der FPÖ nur kurz, mittlerweile läuft man sich bereits wieder entgegen.Eine große Rolle in Ihrem Krimi spielt die Korruption, bis hin zu der Pipeline, über die die ultrarechte, antimuslimische Regierungspartei das Wasser der Österreicher nach Saudi-Arabien verkaufen will. Wie haben Sie recherchiert?Mir wurden viele Geschichten erzählt. So ist etwa ein entlassener Gemeindesekretär gekommen und hat gesagt: „Sie sind Schriftsteller, ich erzähle Ihnen jetzt mal alles, was in einer Gemeinde so abläuft.“ Der hat mir brühwarm geschildert, wie das mit Ausschreibungen und Auftragsvergaben läuft. Das mit dem Wasserverkauf habe ich allerdings erfunden. Dass Strache jetzt in dem Video zu der falschen Oligarchennichte tatsächlich sagt, er könne ihr unsere gesamten Wasservorkommen verkaufen, hat mich ein Schmunzeln gekostet. Aber das ist so ungeheuerlich, dass ich nie gedacht hätte, die Realität könnte meine literarische Fantasie einholen. Zumindest nicht so schnell. Jetzt bin ich nur noch gespannt, wie lange es dauert, bis Limes kommt, denn leider hat sich das Buch bisher als absolut gültige Prophezeiung herausgestellt.
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