Vom Verlust von Werten

Kunstmarkt 107 Millionen Euro haben die zwei Warhol-Bilder aus NRW bei Christie's erzielt. 148.000 hatten sie einst gekostet. Eine grandiose Wertsteigerung. Oder etwa nicht?
Ausgabe 47/2014
Die 58 und 49 Millionen Euro sind Beträge, die dem Wert der Warhol-Bilder schaden
Die 58 und 49 Millionen Euro sind Beträge, die dem Wert der Warhol-Bilder schaden

Foto: Don Emmert/AFP/Getty Images

Gleich zwei Sensationen konnte das Auktionshaus Christie’s vergangene Woche vermelden: Der Zuschlag für die beiden Warhol-Bilder aus Nordrhein-Westfalen erfolgte bei umgerechnet 58 und 49 Millionen Euro. Insgesamt wurden an jenem Donnerstagabend rund 680 Millionen erzielt – so viel wie noch nie in der Geschichte des Auktionswesens. Denn neben den beiden Warhols wechselten auch Werke von Cy Twombly, Gerhard Richter, Francis Bacon und Martin Kippenberger für jeweils zweistellige Millionenbeträge den Besitzer.

Das Schillern dieser Summen hat einen unschönen Nebeneffekt: Der Markt schreibt zunehmend Kunstgeschichte. Eine Gerhard-Richter-Ausstellung zu sehen ist inzwischen auch deshalb ein Muss, weil er der „teuerste lebende Künstler“ ist. Und was eine Brillo-Box von Andy Warhol im Museum macht, fragt sich heute keiner mehr, es schaudert einen höchstens wohlig beim Gedanken an ihren Preis. Wer die beiden Bilder Triple Elvis und Four Marlons aus dem Besitz der NRW-Spielbank ersteigert hat, ist bisher nicht bekannt. Es ist denkbar, dass ihre neuen Besitzer sie für Ausstellungen als Leihgabe hergeben werden. Lange Schlangen wären garantiert. Die Frage ist, was die Besucher dann jenseits der Dollarzeichen in ihren Augen noch sehen werden.

Auch wenn es paradox klingt: Die 58 und 49 Millionen Euro sind Beträge, die dem Wert der Bilder schaden. Solche Summen verhindern ein echtes Gespräch über Kunstwerke und ihre Urheber. Sie führen dazu, dass das breite Publikum entweder ehrfurchtsvoll verstummt oder aber sich in seinem Vorurteil bestätigt wähnt, der Künstler müsse komplett überbewertet sein. Moneten sprechen zu lassen ist selten erkenntnisfördernd. Man denke nur an den Raubkunstfund bei Cornelius Gurlitt. Der Focus schrieb, die Werke müssten rund eine Milliarde wert sein. Bald stellte sich heraus, dass der monetäre Gegenwert der Bilder bei etwa 30 bis 50 Millionen Euro lag. Schmälerte dies das Unrecht, das ihren ursprünglichen Besitzern angetan worden war? Sicherlich nicht, aber die aufgeblasene Zahl war in der Welt, und in der Debatte musste etwas relativiert werden, das von vornherein nebensächlich hätte sein sollen.

Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans hat den Verkauf der beiden Warhols so gerechtfertigt: „Ein Kunstwerk hat einen Wert, wenn es zu veräußern ist. Wenn ausgeschlossen ist, es zu veräußern, hat es auch keinen Preis.“ Das mit dem Preis mag noch irgendwie stimmen, und aufs Geld zu schauen ist seine Pflicht. Walter-Borjans’ Urteil über den Wert von Kunst aber ist ungeheurer Unsinn und gefährlich. Sollen Bund und Länder Werke veräußern, damit wir wissen, was wir einmal besessen haben? Und was sagen die 107 Millionen Euro aus? Warhols Bilder sind nicht von allein so teuer geworden, ihr Preis verdankt sich auch kluger Sammlungspolitik. Der Industrielle Jose Mugrabi soll rund 800 Warhols besitzen. Er kauft und verkauft – und steuert den Markt so seit Jahren geschickt. Der Kunstmarkt wiederum ist seit der Finanzkrise überhitzt, kaum noch jemand leugnet, dass längst eine Blase entstanden ist.

Die Westspiel hat ihre Warhols in den 70ern für 68.000 und 80.000 Euro erstanden. Eine kluge Geldanlage, könnte man sagen. Aber das Land, dem sie indirekt gehören, beteiligt sich mit der Veräußerung an der Kunstspekulation. Das Urteil darüber aber, was der Wert von Kunst ist – das lehrte bislang auch die Geschichte –, darf man niemals den Zeiten und dem Zeitgeist überlassen.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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