Wahl-O-Leaks

Hochgehackt In den Umfragen für die Wahl in Berlin dümpeln die Piraten bei drei Prozent. Folgte man dem Wahl-O-Mat, sähe das Ergebnis anders aus. Ein Erklärungsversuch
Ausgabe 33/2016
Der Spitzenkandidat der Piraten Bruno Kamm mit und ohne Cyber-Ork-Kostüm
Der Spitzenkandidat der Piraten Bruno Kamm mit und ohne Cyber-Ork-Kostüm

Foto: Seeliger/Imago

Acht Prozent aller Nutzer des Berliner Wahl-O-Maten sollen der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge über ihr Ergebnis entsetzt sein. Bevor Sie sich nun mit zitternden Fingern durch die 38 Fragen klicken, sei uns ein Spoiler erlaubt: Man muss schon sehr, sehr oft auf der Maus ausrutschen, um am Ende die AfD-Wählerin in sich zu entdecken. Man müsste zum Beispiel anklicken, dass Berlin keine Flüchtlinge mehr aufnehmen soll, dass die Gender Studies an den Universitäten abgeschafft werden müssen und keine Moscheen mit Minaretten mehr gebaut werden dürfen.

Nicht entsetzt, aber irgendwie baff sind viele Nutzer des Wahl-O-Maten einer redaktionsinternen Freitag-Umfrage zufolge, dass ihnen an erster Stelle die Piraten empfohlen werden. Die Partei also, deren Plakatkampagne so aussieht, als hätte Netflix beschlossen, nun auch noch Wayne’s World als Serie zu verwursten. Die Fotos der Kandidaten hat ein Fotograf angefertigt, der – Piraten-Zitat – „für seine luziden Bilder im Weißraum bekannt ist“. Noch bekannter ist er für seine Fetisch-Bildbände. Die Motive sind „kollaborativ“ entstanden, das Ergebnis sieht allerdings mehr nach Stuhlkreis als nach Liquid-Feedback aus: Die Kandidatin, die für die Cannabis-Legalisierung steht, hält eine Gießkanne in der Hand, ihr Parteikollege, der im Senat aufräumen will, hat einen Besen geschultert und so weiter und so fort. Bürgermeisterkandidat Bruno Kramm ist als eine Art Cyber-Ork kostümiert und wirbt mit dem Slogan „So kannste doch nich zur Arbeit“ für das Bedingungslose Grundeinkommen. Was nun wirklich Nonsens ist. Hätte die Bundeszentrale für politische Bildung den Satz „Cyber-Orks sollen nicht zur Arbeit gehen dürfen“ in den Wahl-O-Mat mit aufgenommen, hätte vermutlich nicht einmal die AfD zugestimmt (allenfalls vielleicht die Partei „Menschliche Welt“, die auch zur Wahl steht).

Dass die Piratenpartei trotz dieser ästhetischen und inhaltlichen Fouls und mageren drei Prozent in den jüngsten Umfragen so erfolgreich beim Wahl-O-Maten abschneidet, ist für uns nur mit einer Cyberattacke auf das Meinungsbildungstool zu erklären. Bevor jetzt alle wieder auf Russland zeigen und nach Spuren der Staatshacker Cozy Bear und Fancy Bear in der DNA des Wahl-O-Maten forschen, sei kurz daran erinnert, dass die Piraten einmal als die Partei der gesteigerten IT-Skills angetreten waren, bevor sie sich auf analoge Tools wie Gießkannen und Kehrbesen besannen. Wobei Letztere am Ende womöglich nur die Spuren der parteieigenen Hacker verwischen sollen.

Am verdächtigsten ist mir Leonore Fuger, Landesliste Platz 16, die auf ihrem Plakat die Mieten noch einmal durchrechnen will, mit einem lila Taschenrechner. As if. Als Teil dieser Vertuschungskampagne erklärt sich womöglich auch die Webpräsenz der Berliner Piraten. Ein Wordpress-Blog, der mittels unscharfer Teaserbilder vortäuscht, seine Ersteller hätten sich erfolglos durch einen Einsteigerkurs an der Volkshochschule gequält.

Der Hack des Wahl-O-Maten – oder besser gesagt, der Wahl-O-Maten, jeder Bezirk hat noch einmal seinen eigenen – scheint im Schutz dieser Dummy-Camouflage gelungen zu sein. Selbst bei der AfD Lichtenberg, das hat der Bezirksverband der rechtpopulistischen Partei per Screenshot auf Twitter geteilt, standen nach Anwendung des Wahl-O-Maten die Piraten mit 90 Prozent Übereinstimmung an zweiter Stelle.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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