93 Zeilen Überdruss: Was Michael Herbigs Film über den „Fall Relotius“ so ärgerlich macht

Kino Die gefälschten Reportagen, die Claas Relotius beim „Spiegel“ veröffentlichte, böten reichlich Stoff für eine hintergründige Satire. Dafür müsste man sich aber ein wenig für den Journalismus interessieren
Ausgabe 39/2022

Es hat etwas Unlauteres, als Journalistin einen Journalistenfilm zu kritisieren. Andere Berufsgruppen ertragen es ja auch seit Jahrzehnten klaglos, wenn sie auf der Leinwand zu Klischees gerinnen oder vollkommen austauschbar dargestellt werden, so als könnte der Mensch, der da gerade Supermarktregale einräumt, ebenso gut Pakete ausliefern oder an einer Freibadkasse sitzen, ohne dass sich an der Figur dadurch etwas Nennenswertes ändern würde.

Aber: Wer kann, der kann. Oder anders gesagt: Wer, wenn nicht wir. In Michael Herbigs Verfilmung des Skandals um die gefakten Reportagen, die der Shootingstar Claas Relotius, bis er 2018 aufflog, beim Spiegel veröffentlichte, begegnet man Journalist*innen nur als Klischees oder sie sind so beliebig angelegt, dass sie ebenso gut Banker*innen oder Politiker*innen in einem Film sein könnten, in dem es um irgendwas mit Karriere geht. Da ist der Ressortleiter, der gerne stellvertretender Chefredakteur wäre und des Abends mit den Füßen auf dem Schreibtisch und einem XXL-Glas Rotwein in der Hand Reporter am Telefon zuschwadroniert. Wenn es hart auf hart kommt, steht er mit dem stellvertretenden Chefredakteur, der gerne Chefredakteur wäre, auf dem Golfplatz. Aber was weiß ich schon über Chefredakteure, außer dass ich täglich mit ihnen in Konferenzen sitze: Michael Herbig war selbst mal einer, in Helmut Dietls Film Zettl, der 2012 die Serie Kir Royal (1985) um den Klatschreporter Baby Schimmerlos in Berlin fortschreiben wollte (ohne Schimmerlos, den katapultierte ein tödlicher Unfall aus dem Film).

Was aber die Arbeit von Journalist*innen ausmacht oder die eigentlichen Probleme sind, die zu den Verfehlungen beim Spiegel – der hier „Chronik“ heißt – geführt haben, dafür interessiert sich Herbigs Film nicht. Dabei wäre das angesichts der verschärften Debatten um die Glaubwürdigkeit der Medien seit dem „Fall Relotius“ spannend. Aber der Kollege aus der Dok, der eine Schlüsselrolle in der Fake-Reportagen-Affäre zukommt, weil es Aufgabe der Dok ist, alle Fakten penibel zu überprüfen, scheitert im Film an seiner Verfressenheit, und die Figur, die der damals stellvertretenden Ressortleiterin Özlem Gezer nachempfunden ist, darf nur dadurch auffallen, dass sie „mal unter uns Kanaken“ sagt.

Eingebetteter Medieninhalt

Das alles ist nicht damit zu entschuldigen, dass es sich um eine Komödie handelt. Der Film verschwendet komisches Potenzial, indem er nicht hinschaut, was in so einem Medienhaus wirklich los ist. Schwer vorstellbar, dass der Politikredakteur, dessen staubtrockene Parteitagsreportage aus dem Blatt gekickt wird, einfach nur stumm dasitzt. Die meisten Lacher provozierte bei der Filmkritiker*innen-Preview die Szene, in der Juan Moreno alias Juan Romero (der Kollege, der Claas Relotius’/LarsBogenius’ gefakte Reportagen enttarnt und auf dessen Buch Tausend Zeilen Lüge Herbigs Film Tausend Zeilen basiert) die jüngste seiner vier Töchter in einem BVG-Bus vergisst, in dem der Komiker Kurt Krömer die Tickets kontrolliert (bei einem Screening für Berliner Ticketkontrolleur*innen wäre auch dieser Witz vielleicht durchgefallen).

Dass der Film sich so wenig für den Journalismus interessiert, sprengt ihn endgültig, als Moreno-Romero eine emotionale Rede gegen Lügenpressevorwürfe hält. Nicht der Journalismus habe versagt, sondern ein Einzelner. „Klingt pathetisch? Ist es auch.“ Vor allem aber findet es weder in der Realität eine Entsprechung noch in der Trottelparade, die man zu diesem Zeitpunkt bald 90 Minuten gesehen hat.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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