Warum sollte ein Museum in den Urlaub fahren?

Hegelplatz 1 Unsere Kulturchefin sinniert über alte Rubriken im „Freitag“ und neue Ausstellungen in Berlin
Ausgabe 31/2019

Es gab in dieser Zeitung mal eine Rubrik, die hieß Nicht in Berlin. Die Vorgeschichte dazu ist folgende: Es gab eine Rubrik, die hieß Eventkritik, und in den Artikeln probierten wir aus, wie es ist, noch mal schwarzzufahren, bevor das Bußgeld erhöht wird, oder besuchten einen Chor für Menschen, die nicht singen können. Über die mangelnde Tariftreue unseres Autors hat sich keiner beschwert, kritisiert wurde, dass die geprellten U-Bahnen durch Berlin fuhren und der Chor in Friedrichshain dilettierte. Einigen Leserinnen war das zu viel Berlin, Berlin. Also erhoben wir zum Konzept, dass die geschilderten Ereignisse überall stattfinden konnten – außer in Berlin.

Eigentlich müsste diese Kolumne jetzt Nicht am Hegelplatz 1 heißen. Bei uns in der Redaktion herrschen über 30 Grad, deshalb schreibe ich sie im Exil: im neuen Restaurant des Martin-Gropius-Baus. Es gibt wenige Gebäude, die so gut klimatisiert sind wie Museen, in denen es schon aus konservatorischen Gründen weder zu warm noch zu kalt sein darf. Die aktuelle Ausstellung im Martin-Gropius-Bau heißt Garten der irdischen Freuden und hat, was unsere Zeitung betrifft, ein Timing-Problem: Wir haben den Sommer mit einer großen Gartenserie eingeleitet, sie ist abgeschlossen, und immer nur Garten, Garten ist den Leserinnen ja auch nicht vermittelbar, sonst bräuchten wir einen „Nicht im Garten“-Button für alle Seiten ohne, und wie sähe das dann aus. Deshalb nur kurz: Die Ausstellung ist absolut großartig; ästhetisch umwerfend und politisch pointiert. Und hinterher kann man allen, die längst im Urlaub sind, endlich auch eine Karte schreiben, wahlweise aus Kalifornien oder der Schweiz. Die Karten liegen aus, sie sind Teil der Serie Geraniums are Never Red des Schweizer Künstlers Uriel Orlow, der Kitschpostkarten mit dieser Pflanze nachgedruckt hat, deren Name, so erfährt man, von einer ganz anderen afrikanischen Pflanze geklaut wurde.

Es gab in der Stadt, in der ich groß wurde, eine Seniorenfreizeit, die hieß „Urlaub im eigenen Bett“. Als Kind faszinierte mich die Vorstellung, dass die Senioren jeden Morgen ihre Betten in den Reisebus packten und an einen neuen Ort fuhren. Natürlich blieben die Betten zu Hause und die Senioren flogen nur tagsüber aus, zum Beispiel ins Museum. Weniger schlüssig erscheint mir, warum Museen in den Urlaub fahren sollten. Ab 2020, so die News, wird der Louvre nicht nur in Paris und Abu Dhabi zu Hause sein, sondern auch Kreuzfahrten anbieten. „Schätze des Persischen Golfs“ wird durch die Straße von Hormus führen, eine zweite Tour nach Venedig. Die Ziele werfen Fragen auf. Zum Beispiel: WTF? Urlaub im Louvre ist für die meisten aber auch keine Option: Eine Nacht im Museum, erfuhr ich von Monopol, kostet 30.000 Euro. In Berlin gab’s das schon mal billiger.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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