Was wäre, wenn …

Debatte Das Zentrum für politische Schönheit prangert Rechtsextreme öffentlich an. Die Reaktionen sind absehbar. Doch der Aktion selbst fehlt das utopische Moment
Ausgabe 49/2018
Philipp Ruch setzt auf gezielte Provokation
Philipp Ruch setzt auf gezielte Provokation

Foto: imago/ Michael Trammer

Es gibt seit Montagabend ein neues Werk des Zentrums für Politische Schönheit. Denn wirklich in progress ist es ja erst, seit die Artikel darüber online stehen. Den Claim, mit dem das ZPS um Unterstützer wirbt, hat es wieder einmal eingelöst: „Sie erhalten nirgends so viel Aufruhr und Dissens für jeden gespendeten Euro wie bei uns.“ Auf dieser Ebene kann man dem Projekt nur bescheinigen: Es ist ein echter Erfolg.

Denn bevor die ganzen Artikel über die Aktion „Soko Chemnitz“ online standen, war da erst mal nur eine Webseite mit der Aufforderung, Personen auf Fotos zu identifizieren und zu denunzieren: „Idioten“ und „Gesinnungskranke“, die mit den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz Ende August in Verbindung gebracht werden. Ob das ZPS dafür wirklich drei Millionen Fotos von 7.000 Verdächtigen durchforstet hat, wie es behauptet, kann man anzweifeln. Hält man sich eine Weile auf der Seite auf, landet man schnell bei den immergleichen Nasen der AfD. Vieles deutet darauf hin, dass das einzig Reale an dieser Aktion die Spiegelung von Sprache und Methoden rechter Onlinepranger ist. Und eben die Artikel, die darüber verfasst werden. Wie Daniel Völzke für Monopol schrieb: „Die Künstler legen vor, die Arbeit machen andere.“

Wie aber wäre dann das Gesamtkunstwerk zu bewerten, das langsam Kontur annimmt? Das Gerüst der (erwartbaren) Reaktionen steht recht stabil: Von der Rede, es handle sich um Widerstand gegen den Faschismus, deshalb sei die öffentliche Ächtung mutmaßlicher Rechtsextremer „moralisch geboten“ (taz) bis zu einem schäumenden Artikel auf Tichys Einblick, dessen Autor sich in dem performativen Widerspruch verheddert, sich über die Methoden der ihn angeblich so anödenden Aktion zu echauffieren. Nur das große „Pro und Contra“ in der Zeit – „Nazis denunzieren: Oder soll man es lassen?“ – steht noch aus. Was fehlt, ist ein utopisches Moment, das bei aller Härte immer wesentlich für die Aktionen des ZPS war: Was wäre, wenn … (die Regierung Kindertransporte aus Syrien organisieren würde; Verfolgte einfach mit dem Flugzeug zu uns kommen könnten)? „Was wäre, wenn wir Rechtsextreme mit ihren eigenen Methoden bekämpfen?“ ist keine Grundlage, um über gesellschaftliche Gegenentwürfe zu diskutieren.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

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