7. Berlin Biennale Occupy schläft in der Galerie, und es gibt Birken-Setzlinge aus Auschwitz für (fast) alle: Wie die 7. Berlin Biennale hilflos versucht, unbedingt Politik zu machen
Forget Fear lautet das Motto der 7. Berlin Biennale. Es steht in goldenen Buchstaben auf den in grünes und blaues Leinen gebundenen Ausstellungskatalogen und schwarz auf weiß auf den Plakaten, die zur Eröffnung laden. Darüber das Logo, ein kreisrundes Emblem mit einem Schriftzeichen, dessen Symbolik sich abgesehen von der numerischen Andeutung nicht erschließt. Es strahlt etwas Absolutes aus. Man kann es in den Kunstwerken, dem Hauptveranstaltungsort in Berlin-Mitte, auf einer Anstecknadel erwerben oder eingraviert in Gold auf Pflastersteinen in zwei unterschiedlichen Größen für 150 und 210 Euro. An einem anderen Schauplatz der Biennale, der Kirche Sankt Elisabeth, rahmen bodenlange Stoffbanner mit diesem Emblem das Portal hinter dem Säulenvorba
28;ulenvorbau.Das Kuratoren-Team um den polnischen Künstler Artur Żmijewski hat die Frage, was die Kunst zu einem politischen Wandel beitragen kann, zum Leitmotiv dieser Biennale erklärt. Sollen Revolutionskitsch und der Flirt mit der Ästhetik totalitärer Regime die Antwort sein? Żmijewskis Kollegin Joanna Warsza sagt, sie verstünde ihre Aufgabe als „antagonistic curating“ – als Kampfkuration. Das bedeute auch, politische Positionen zu berücksichtigen, mit denen sie nicht einverstanden sei. Aber setzt politisches Handeln nicht voraus, dass man definiert, was damit erreicht werden soll? Oder sind wir hier auf dem Piratenparteitag?Wimmelbild mit SchlafsackNeumünster ist nicht Berlin-Mitte, aber konstruktiver als auf der Pressekonferenz der Biennale wurde dort dem Vernehmen nach allemal diskutiert. In den meisten Zeitungen war am nächsten Tag zu lesen, Occupy-Vertreter hätten die Pressekonferenz „besetzt“ – „gelähmt“ wäre der treffendere Ausdruck gewesen, angesichts der lauen Statements, die sie dort zu den Ursachen der Finanzmarktkrise abgaben (die entfesselten Märkte!). Vielleicht waren wir aber auch nur Zeuge einer Performance, die illustrieren sollte, dass die Umarmung durch die Institutionen (sprich die Einladung, den größten Raum in den Kunstwerken mit „Occupy Biennale“ zu bespielen) zwangsläufig zu Stillstand führt.Am Abend der Eröffnung jedenfalls deutete alles darauf hin. Wo 2010 die minimalistischen weißen Wohn-Parzellen des israelischen Künstlers Absalon die Frage nach den sozialen Bedingungen, Grenzen und Potenzialen des Wohnens ausloteten, stellen die Occupy-Vertreter sich selbst und ihre Bewegung als Wimmelbild zum Mitmachen aus – ein Tipi, Schlafsäcke, eine kleine Arena aus Holzbänken für die Versammlungen, alles da. Man betritt diesen Raum durch einen Gang, und kann ihn dann von einer Balustrade aus erst einmal überblicken. Um den Eindruck zu entkräftigen, das sei wie im Zoo, fordert ein Pappschild dazu auf, ruhig zu sein, nicht stehenzubleiben und unten mitzumachen. Bevor es dort zu irgendeiner Form von Diskussion kommen kann, wird ausführlich erklärt, in welche Richtung man wann wie mit den Armen wedeln muss, um Zustimmung oder Ablehnung zu signalisieren. Die Erläuterung der Spielregeln dauert sehr lange, und worüber dann geredet werden soll, ist nicht bekannt. Bekannt ist hingegen, wann die Besetzung enden wird: Auf dem „Action Timetable for Occupy Biennale“ an der Wand ist für die Wochen 27 und 28 „Abbau/ Deconstruction“ eingetragen.Ein schlanker Mann, der einen steifen, schwarzen Hut und Schläfenlocken trägt, drängt in Richtung Treppe. „Let’s go see the Palestinians!“, ruft sein Freund, der seinerseits eine enge Lederjacke und kurze, schwarze Haare trägt. Das verspricht nun endlich einen echten Dialog. Doch oben im ersten Stock bei Khaled Jarrar aus Ramallah, der Briefmarken und einen Einreisestempel für den Staat Palästina entworfen hat, ist von den beiden nichts mehr zu sehen. Auch im Flaggenwald der terroristischen Organisationen, deren Vertreter der niederländische Künstler Jonas Staal zum New World Summit in Berlin versammeln will, keine Spur. Und dahinter, am Tisch des Maltesers, von dem man sich in den Finger pieksen lassen kann, um mit einem Blutstropfen zu bekräftigen, dass man für die Dauer der Biennale keine Drogen konsumieren wird (oder zumindest weniger, oder zumindest eine andere Person dazu bringen wird, eben das zu tun), sind sie ebensowenig.Später wird sich herausstellen, dass sie die anderen Palästinenser gemeint haben müssen, die im Hof kritisch ihren neun Meter langen Stahlschlüssel beäugen, der aus einem Flüchtlingslager bei Bethlehem nach Berlin gebracht wurde. Auf dem nun die Vertreter der internationalen Vernissagen-Szene sitzen, trinken und ihre Zigaretten abaschen.„Das ist aber nicht spontan!“Dafür erklärt der Malteser gerne, wie die Sache mit dem Drogengelübde funktioniert. An seinem Tisch ist eine Schnur angebracht, die über eine Winde zu einer mexikanischen Flagge führt und mit Ausgaben von John Langshaw Austins How to do Things with Words und einer Ausgabe von La Ciudad de las Muertas von Jean-Christophe Rampal und Marc Fernandez beschwert ist. Die Flagge sinkt jeden Tag um einige Zentimeter. Jeder, der die Erklärung abgibt, darf einen Knopf drücken, der die Flagge wieder ein Stück nach oben hebt. Und der runde Plexiglasbehälter mit Flüssigkeit, der darunter steht? Der soll ein Fass voller Säure symbolisieren, in der sich die Flagge bei Nichterfolg auflösen wird. In diesem Fall, so habe der Künstler gesagt, ziehe er sich komplett aus der Kunstwelt zurück. Säure? „Nein, das wäre ja Wahnsinn. Das ist Wasser.“Oben unter dem Dach herrscht Treibhausatmosphäre. Auf niedrigen Tischen stehen ein paar tausend Setzlinge, die der polnische Künstler Łukasz Surowiec aus Samen von Birken in Auschwitz-Birkenau gezogen hat. In einer abgedunkelten Ecke kann man sich den Film ansehen, der Surowiec dabei begleitet, wie er auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers die Bäume aus der Erde schaufelt und davon erzählt, dass in dem Boden, aus dem sie ihre Nahrung ziehen, die Asche der Toten, die hier vernichtet wurden, sein muss. Diese Birken aus Birkenau hat er nach Berlin gebracht. Es gibt eine Karte der Orte, an denen sie bereits gepflanzt worden sind.Auf einem kleinen, schwarzen Tisch liegt ein Büchlein von Noodles, Noodles Noodles Authentic Furniture und daneben einige Bögen, in die man sich mit Name, Adresse und E-Mailadresse eintragen kann. Wofür? Den Newsletter einer Berliner Möbelmanufaktur? Zwei Frauen um die 40 steuern zielstrebig auf den Tisch zu, die eine schnappt sich einen Zettel und beginnt ihn auszufüllen. Weiß sie, wofür die Listen da sind? Sie antwortet so energisch wie selbstverständlich: „Du wirst dann informiert, wenn eine Birke frei wird.“ Eine Besucherin würde am liebsten direkt eine mitnehmen, die Aufsicht erklärt ihr geduldig, dass das nicht vorgesehen ist. „Das ist aber nicht spontan!“, mault die Frau. „Ja, aber sonst wäre die Installation am Arsch“, lautet die Antwort lapidar. Da hier so bereitwillig Auskunft gegeben wird, hake ich nach, was denn eigentlich mit den Setzlingen geschieht, die eingehen. Die Baumschule, die das Projekt betreut, tausche die aus: „So ist das eben mit Setzlingen.“ Und: „Wenn Sie sehr interessiert sind … dahinten ist eine Liste, aber ich glaube, die sind alle weg.“ Und die Birken, die stellt man sich dann also zuhause …? „Nein! Sie bekommen eine Urkunde und pflanzen sie an einem Ort.“ Neue Listen sind eingetroffen, doch ich beschließe auf das Erlebnis, eine Birke aus Birkenau zu pflanzen, zu verzichten.In der hintersten Ecke gibt es noch eine weitere dunkel verhängte Öffnung hinter der Wand. Ein schwarzer Zettel weist das Video als Werk des Kurtors aus. „Berek/ Fangspel/ The Game of Tag“ zeigt nackte Menschen, die in einem privaten Keller und in einer ehemaligen Gas-Kammer Fangen spielen, wobei Fangen spielen meint, dass sie ohne erkennbares Motiv im Viereck springen und sich abklatschen. Wer die Vorgeschichte nicht kennt, wird hier darüber informiert, dass Berek vergangenen Herbst aus einer Ausstellung im Gropius-Bau entfernt wurde. Mit der Begründung, sie würde die Opfer des Holocaust missachten. „Daher wird Berek nun auf der 7. Biennale gezeigt, als Reaktion gegen Impulse der Zensur, der Selbstzensur und der Verhinderung von Diskussionen.“ Hier, im hintersten Winkel des Gebäudes und gleichzeitig on top of it all erweckt das aber vor allem einen Eindruck: Trotz.
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