Wenn ein Oeuvre über Jahrzehnte aktuell bleibt, so deute dies darauf hin, dass es ein brennendes Thema, ein ungelöstes Problem anspricht, urteilt der Kunsthistoriker Philip Ursprung von der ETH Zürich über das Werk des israelischen Künstlers Absalon. Er führt dies auf die entscheidende Dichotomie im Werk des 1993 mit nur 28 Jahren an Aids gestorbenen Künstlers zurück: Den Wunsch, aber auch gleichzeitig die Angst sich abzuschotten; beweglich und doch geschützt, sichtbar und doch alleine zu sein. Ursprung sprach am Donnerstagabend in den Berliner Kunstwerken anlässlich der Vorstellung des Katalogs zur Retrospektive, die bereits seit Ende November läuft. Dass der Katalog nun so spät nachgereicht wird, ist den ehrgeizigen Dimensionen des Projekts geschuldet: Der Katalog bildet nicht nur die in Berlin ausgestellten Exponate, sondern das gesamte Lebenswerk Absalons ab – inklusive vieler Arbeiten, die mittlerweile längst zerstört sind. Dazu kommt eine Reihe von Aufsätzen und Gesprächen, darunter auch Ursprungs: Design des In/humanen: Absalon und die Räume der Depression.
Paris steht in London, Tokyo gehört Stockholm
Zu den spektakulärsten Arbeiten Absalons, der 1964 unter dem Namen Meir Eshel in Aschdod geboren wurde, zählen die sechs „Cellules“, die aktuell in der großen Halle der Kunstwerke den Auftakt und das Kernstück der Ausstellung bilden. Weiße, modernistisch anmutende Behausungen, kaum 10 Quadratmeter groß, und doch so gebaut, dass eine Nasszelle, eine Kochnische, ein Schreibtisch, Bett, angedeutete Schränke und ein Regal mit Raum für 15 Bücher Platz finden. Mehr als 15 Bücher, soll Absalon einmal gesagt haben, sollte ein Mensch auf einmal nicht besitzen – ein Gedanke, der sich viele Arbeitsnomaden des 21. Jahrunderts wohl leicht erschließt. In diesen weiß gestrichenen Zellen, die als Prototypen aus Holz und Karton in der Kusthalle stehen, wollte der Künstler mittendrin in den Metropolen Paris, Zürich, New York, Tel Aviv, Tokyo, Frankfurt am Main und Tokyo temporär leben. Knapp 20 Jahre nach Absalons Tod stehen sie nun an vollkommen anderen Orten in Galerien und Museen: Cellule No. 1 (Paris) gehört der Londoner Tate Gallery, Cellule No. 2 (Zürich) der Nationalgalerie in Berlin, Cellule No. 3 (New York) dem Museum für moderne Kunst im französischen Saint-Etienne, die Zelle für Tel Aviv steht in Marseille, die für Zürich gedachte in Lichtenstein und die Tokyoter gehört der Stockholmer Kunsthalle. Nun stehen sie in Berlin in einer Halle - ein aufs allerwesentlichste reduziertes globales Dorf.
Wie fragil die Exponate sind, lässt sich am besten an den kleineren Cellules im zweiten Obergeschoss ablesen, die noch hermetischer wirken und bizarren Raumkapseln ähneln: Das Holz ist spröde, die dicken Farbschichten drohen abzublättern: Nach jedem Transport müssen sie neu zusammengetackert und geweißelt werden. Eine Zelle, die wie ein Kernspintomograph gewirkt haben soll, musste zurückgeschickt werden - sie hätte allzuleicht kaputtgehen können. Der Katalog präsentiert uns diese Werke noch einmal ein wenig anders: Trotz der grobkörnigen schwarz-weiß-Ästhetik der Fotografien wirken die Exponate und ihr Umfeld aspetischer, als sie es vor Ort sind, teils wie vor einer weißen Folie. Eine Herausfoderung war sicherlich die Abbildung der wohl erschütterndsten Arbeit der Berliner Retrospektive, die im Treppenhaus installiert ist und eine Klammer zwischen allen Räumen bildet, weil sie überall zu hören ist: Bruits, ein zweieinhalbminütiges Video, das Absalon in seinem Todesjahr aufnahm. Sein Gesicht füllt den Bildschirm aus; er brüllt und brüllt, so lange wie ein Mensch eben kann, bevor die Stimme versagt und er keinen Ton mehr hervorbringt. Zweieinhalb Minuten, länger kann ein Mensch folglich selbst in größter Not seinen Schmerz nicht herausschreien. Schlägt man die entsprechende Seite im Katalog auf, nimmt man die Perspektive des Besuchers im Treppenhaus ein, spürt wieder den Moment des Zögerns, bevor man sich dem vom Schrei verzerrten Gesicht nähern mag.
Wird der Katalog wie sein Gegenstand über Jahrzehnte seine Aktualität behalten? Die Ästhethik der Cellules und das Weiß-auf-Weiß der Setzkasten-ähnlichen Kompositionen vermitteln die Abbildungen kongenial. Die späten Videoarbeiten jedoch werden in diese Ästhetik beinahe brutal eingemeindet. Die Videos vom privaten und öffentlichen Leben des Monsieur Leloup etwa, die im Original gerade auch was die Farbigkeit betrifft eindeutig ein Produkt der Neunziger sind, passen sich im Katalog der grob-körnigen schwarz-weiß-Ästhetik an. Vielleicht wird diese letzte Periode in ein paar Jahren noch einmal ganz anders aufgearbeitet werden.
Die Ausstellung ABSALON läuft noch bis 6. März 2011 im KW Institute for Contemporary Art in Berlin.
Der Katalog, herausgegeben von Susanne Pfeffer, ist im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienen.
Vorwort von Hortensia Völckers; Vortrag von Absalon; Texte von Bernard Marcadé, Nina Möntmann, Moshe Ninio, Beate Söntgen, Philip Ursprung und ein Gespräch zwischen Ute Meta Bauer, Hans Ulrich Obrist und Susanne Pfeffer.
352 Seiten mit 189 Abbildungen; Deutsch/Englisch; 225 x 265,5 mm; Hardcover; 49,80 Euro.
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