Wir werden alle Assange sein

Bühnenreif Die Regisseurin Angela Richter inszeniert ein Stück über den Wikileaks-Gründer. Sie glaubt, dass er Opfer einer Diffamierungskampagne ist
Die Regisseurin mit Julian Assange
Die Regisseurin mit Julian Assange

Foto: Angela Richter

Assassinate Assange heißt das Stück, für das Angela Richter derzeit mit fünf Schauspielern und einem Musiker auf Kampnagel in Hamburg probt. Richter hat den Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks im vergangenen Sommer kennengelernt. Über ein Mittagessen mit ihm und dem Philosophen Slavoj Žižek, das sie für rund 1.600 Euro bei Ebay ersteigert hatte, berichtete sie in einem Artikel für den Spiegel. Dort kündigte sie auch an, sie wolle ein Stück über „Supernerds“ inszenieren, weil sie glaubt, dass ihnen die Zukunft gehört. Den Supernerd charakterisierte sie so: Ein Sonderling und Fachidiot, der es zu Starruhm bringt. Drei Wochen vor der Premiere ihres Stücks treffe ich Angela Richter auf Kampnagel zum Interview.

Stehen Sie in Kontakt mit Julian Assange?

Angela Richter: Ich war in der Woche, nachdem Ecuador Assange Asyl gewährt hat, drei Mal bei ihm in der Botschaft in London und habe mehrere Stunden mit ihm gesprochen. Anfang September war ich dann noch einmal ein Wochenende lang für Tonaufnahmen dort. An jenem Freitag haben wir uns von neun Uhr Abends bis acht Uhr morgens unterhalten, dasselbe am Samstag nochmal. Nachts ging das viel konzentrierter. Tagsüber ist der normale Botschaftsbetrieb, seine Assistenten gehen ein und aus. Bis auf einen Wachmann der Ecuadorianer, der ihn und die Botschaft bewacht, war nachts keiner dort.

Worüber haben sie gesprochen?

Ich hatte 150 Fragen, die ich als Anstoß genommen habe. Eine war, ob er in drei Worten ausdrücken kann, was Wikileaks ist. Er sagte: „History is inviolate “, Geschichte ist unantastbar. Ich glaube, damit ist gemeint, dass Wikileaks ein technologisches Werkzeug ist, um zu gewährleisten, dass Geschichte vor Verfälschung geschützt wird. Das ist sein Thema. Ich habe ihm zur Auflockerung aber auch Popfragen gestellt, wie: Beatles oder Stones?

Was hat er geantwortet?

Er sagte, Yoko Ono und Bianca Jagger seien beide Wikileaks-Unterstützerinnen, deswegen könne er sich nicht entscheiden.

Aus all dem soll nun ein Theaterstück werden.

Wir haben sehr viel Material, aus dem wir die Stellen herausfiltern, die für die Bühne übersetzt werden können. Vielleicht werde ich den Rest in anderer Form veröffentlichen, denn das Stück soll nicht nur aus unseren Gesprächen bestehen, sondern auch aus Medienberichten und anderen Dokumenten.

Ist das Theater überhaupt das geeignete Medium für diesen Stoff?

Ich finde schon. Nehmen Sie die Polizeiprotokolle der Frauen. Es war mir unmöglich, an die beiden Frauen heranzukommen. Die einzigen überlieferten Worte von ihnen sind die Aussagen gegenüber der schwedischen Polizei. Dieses Material liegt uns vor, damit haben wir bereits geprobt, das hat sehr gut funktioniert. Ein entscheidender Punkt ist ja: Was ist da passiert in Schweden? Mich wundert es, dass kein einziger Reporter diese Protokolle veröffentlicht hat, denn viele Fragen beantworten sich dann von selbst.

War es leicht, die Protokolle zu bekommen?

Sehr leicht. Ich habe sie über einen Twitter-Link gefunden. Es gibt eine englische Übersetzung im Netz.

Was also, glauben Sie, ist in Schweden passiert?

Ich kann nur von den polizeilichen Aussagen der Frauen ausgehen, in beiden Fällen handelt es sich um einvernehmlichen Sex. Keine der beiden Frauen hat zu irgendeinem Zeitpunkt Nein gesagt. Vergewaltigung ist Sex unter Zwang, das hat hier nicht stattgefunden. Die Behandlung des Falles Assange schadet meiner Ansicht nach allen, die den Gräuel einer Vergewaltigung erleben mussten.

Werden Sie die Sexszenen auf der Bühne zeigen?

Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Wir werden versuchen Bilder dafür zu finden, aber das direkt zu zeigen, ist mir zu plump.

Wird es einen Assange-Darsteller geben?

Wir werden alle mal Assange sein auf der Bühne.

Auch Sie selbst?

Ja, ich bin selber auch mit auf der Bühne. Es gibt einen subjektiven Strang von mir, den ich versuchen werde, selbst darzustellen. Es wird eine fluide Persönlichkeit von einem zum anderen wandern, die Assange repräsentiert.

Wie haben Sie ihn bei Ihren Treffen erlebt?

Ich finde ihn immer sehr ruhig, egal wie groß der Stress ist. Er ist schwer vermittelbar. Er ist für mich fast wie ein neuer Prototyp von Mann, durch den sich der typische Alphamann bedroht fühlt. Der Supernerd spielt plötzlich in derselben Liga, auch er wird von den Frauen begehrt, aber er verfügt nicht über die Rhetorik des Alphamannes, er tritt nicht mit diesem Machtgebaren auf. Assange hat eine sehr feminine Seite, etwas sehr Sanftes.

Wie erklären Sie sich den Widerstand gegen seine Person?

Wenn einer wie Assange auftaucht und schmutzige Geheimnisse ans Licht zerrt, dann gerät das System ins Wanken, in dem wir die Guten mit der besten aller Welten sind. Ich finde es unglaublich verlogen und doppelzüngig, wie sich im Moment alle auf den Fall Pussy Riot stürzen und sagen, dieser Tyrann Putin, wie kann er nur diese Mädchen ins Gefängnis stecken. Jeder kann mit Fug und Recht empört sein, ohne großes Risiko, sich zu blamieren. Wer sich zu Assange bekennt, der kann sich blamieren, denn womöglich steht er auf der falschen Seite.

Seine Selbstinszenierung im russischen Fernsehen tut da ein Übriges. Im Vorspann der Talkshow setzt er sich als verfolgten Staatsfeind mit Zoom auf die Fußfessel in Szene, als ersten Gast empfängt er Hisbollah-Chef Nasrallah.

Ich finde das reißerisch, es entspricht auch nicht meinem Geschmack. Aber ihm geht es nicht um Geschmack oder Style. Ich habe den Eindruck, er ist wie einer, der aus der Zukunft zufällig reingespült worden ist, und nicht weiß, wie man sich hier geschmackssicher zu verkaufen hat. Er wird zwar beraten, aber er selbst hat keine richtigen Maßstäbe. Ich habe mit ihm auch darüber gesprochen, dass er Bündnisse eingeht, die von hier aus seltsam wirken.

Seine Bündnisse erscheinen sehr strategisch. Sie aber inszenieren ein Stück, das kein Millionenpublikum erreichen wird. Verstehen Sie, was er von Ihnen will?

Ich habe ihn gefragt, weshalb er sich entschieden hat, meine Arbeit zu unterstützen. Er hat es damit erklärt, dass er selbst aus einer Theaterfamilie kommt. Nach dem Mittagessen mit ihm und Zizek wurde ich von einem seiner Assistenten kontaktiert, erst im März haben wir uns dann das erste Mal in London getroffen. Wir haben vier Stunden geredet. You convinced me, das waren die letzten Worte. Ich bin froh darüber, es gibt nur einen kleinen Kreis von Leuten mit denen er noch kommuniziert.

Wer gehört zu diesem Kreis?

Slavoj Žižek, Daniel Ellsberg, der 1971 die Pentagon-Papers öffentlich machte, der Journalist John Pilger, seine Anwältin Jennifer Robinson, Hacker wie Jacob Appelbaum. Vielleicht ist er auch einfach froh, mit jemanden aus einer anderen Welt zu reden, mit einer Künstlerin, die keine politische Agenda hat. Ich glaube, er findet es manchmal einfach gut, mit mir über Kubrick oder Fassbinder zu sprechen. Einer seiner Lieblingsfilme ist Welt am Draht. Ich war sehr überrascht, dass er den kennt.

Sie wollten vor der britischen Botschaft in Berlin demonstrieren, als die Polizei in London drohte die ecuadorianische Botschaft zu stürmen. Für den Journalisten gilt: Mache dich nie gemein mit einer Sache. Auch nicht mit einer guten.

Das hat für die Kunst nie gegolten. Was ich im Theater zeige, ist komplett meine Sicht.

Teilen Ihre Schauspieler diese Sicht?

Nachdem wir uns jetzt einige Wochen in die Sache eingearbeitet und sehr viele Texte über ihn gelesen haben, würden alle sagen: Irgendetwas stimmt da unterm Strich nicht in der Berichterstattung. Davon abgesehen finden ihn auch in meinem Team einige ganz toll, und andere finden ihn unsympathisch. Aber eigentlich geht es mir nicht um die Person Assange, es geht vor allem um Wikileaks, um die Idee, die er in die Welt gebracht hat. Ich würde mir wünschen, dass man mehr darüber reden würde. Denn das betrifft uns alle: müssen wir von unseren Regierungen so sehr belogen werden, um unsere „Zivilisation“ aufrecht zu erhalten?

2009 haben Sie Der Fall Esra inszeniert. Es ging um den gleichnamigen Roman von Maxim Biller, der verboten wurde, weil dessen Ex-Freundin ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sah. Auch dieser Fall hatte sehr emotionale Debatten ausgelöst.

Stimmt, der Fall Assange ist nun aber extremer, weil er global ist. Esra war eine deutsche Sache, da ging es ganz speziell um die Freiheit der Kunst und die Frage, wie weit Kunst gehen darf und wann die Menschenwürde angetastet wird. Und es gab eine Gossip-Ebene, Maxim Biller selbst als Figur, der nicht unumstritten ist. Das ist in der Tat ähnlich. Offensichtlich interessieren mich die Beleidigten und Erniedrigten. Die aber keineswegs wehrlos sind.

Bevor Sie nach London fuhren, haben Sie erzählt, Assange habe etwas für Sie, das er Ihnen nur persönlich geben könne. Was war das?

Es ist etwas überraschend atmosphärisches. Ich werde es für die Aufführung verwenden. Assange hat mir immer wieder Material gegeben, was ich damit mache, ist komplett mir überlassen. Er hat nicht versucht, mir zu sagen, wie ich das Stück machen soll.

Haben Sie Angst, dass dieser Kontakt Sie in Schwierigkeiten bringen kann?

Ich bin Künstlerin. Ich beschäftige mich mit dem Thema, aber ich bin noch lange keine Propaganda-Maschine für Wikileaks. Ich habe bisher nichts getan, was verboten wäre, und ich glaube an die Freiheit der Kunst. Insofern fühle ich mich sicher. Die krimihaften Aspekte sind natürlich auch spaßig, etwa wenn er sich mit mir manchmal nur über Zettel unterhält. Assanges Mitarbeiter haben mir gesagt, dass manche Leute sich nicht in die Botschaft trauen, weil sie denken, wenn jetzt etwas passiert, dann stecke ich da mit drin.

Haben Sie bei ihrem letzten Treffen Abschied genommen?

Eigentlich ist verabredet: Bis bald mal wieder. Ich werde ihn nach der Premiere besuchen und ihm sagen, was ich gemacht habe, wie das Stück gelaufen ist. Schließlich kann er ja da nicht raus.

Angela Richter wurde 1972 in Kroatien geboren. Sie studierte in Hamburg Theaterregie und gründete dort das Fleetstreet Theater. Inszeniert hat sie unter anderem. Jeff Koons von Rainald Goetz und Tod in Theben bei den Salzburger Festspielen. Seit 2010 lebt sie mit ihrem Mann, dem Maler Daniel Richter, und dem gemeinsamen Sohn in Berlin

Assassinate Assange Kampnagel, Hamburg. 27. bis 30. September 2012. Die Inszenierung ist Teil der Veranstaltung vernetzt# – Das Zukunftscamp

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin Kultur

Christine Käppeler

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