Im Durchgang vor der Aula stapeln sich Rote Beete und Kohlrabiköpfe in Kisten. Zwei Tage lang treffen sich in einer freien Schule in Berlin-Spandau Punks aus Altötting, Seniorinnen vom Bodensee, junge Eltern aus Leipzig. Sie alle sind Mitglieder des Mietshäuser-Syndikats. Was sie eint, ist die Vision, dass bezahlbarer Wohnraum dauerhaft möglich ist. Dass Häuser ganz legal dem freien Markt entzogen werden können, ohne Privateigentum zu werden. 72 Häuser wurden mit Hilfe des Mietshäuser-Syndikats bislang gekauft. Wer darin wohnt, bleibt ein Leben lang Mieter: Wenn das Haus abbezahlt ist, wird die ohnehin geringe Miete noch einmal gesenkt, das Geld geht dann in einen Solidarfonds für neue Hausprojekte.
Zweimal im Jahr kommen die Mitglieder wie nun in Spandau zusammen. Stefan Rost, 70, ist aus Freiburg angereist. Er sieht das Syndikat nach 25 Jahren erstmals ernsthaft bedroht.
der Freitag: Herr Rost, Sie waren in den Gründungsjahren des Mietshäuser-Syndikats Anfang der 80er dabei. Wie fing das an?
Stefan Rost: Mit einem Bauprojekt auf einem ehemaligen Fabrikgelände in Freiburg, das ein Kollektivbetrieb zur Zwischennutzung hatte. Das Mietverhältnis endete mit einem Räumungsurteil. Das Areal war schon damals bei Investoren begehrt. Dass der Abriss abgewendet wurde, verdankten wir kurioserweise auch einem Machtkampf innerhalb der CDU.
Wie gerieten Sie da hinein?
Kurz vor dem Entscheid im Gemeinderat hatten wir ein Konzept gemacht, das wir der SPD geben wollten. Darin stand, dass wir die Gebäude genossenschaftlich erwerben und zu bezahlbaren Wohn- und Gewerberäumen ausbauen wollen, als Gegenstück zu teuren Neubauten und Luxusmodernisierungen. Zufällig geriet es in die Hände einer CDU-Stadträtin.
Das Konzept klingt nicht gerade CDU-kompatibel.
Die Stadträtin fand interessant, „dass die jungen Leute etwas Konstruktives machen wollen“. Man muss sich die Situation damals vor Augen halten: Gegen die Räumung besetzter Häuser demonstrierten 20.000 Leute. Es gab Viertel, die mit NATO-Draht abgesperrt waren. Also initiierte die Frau ein Treffen mit einem früheren Finanzbürgermeister. Der hatte tatsächlich den Eindruck, unser Konzept könnte eine solide Grundlage haben.
Und davon ließ sich die Freiburger CDU überzeugen?
Der liberale Flügel sah eine Chance, den konservativen zu schwächen. Und stimmte mit SPD und Grünen gegen den Abriss.
Sie kommen aus der Hausbesetzerszene. War es damals nicht total abwegig, selbst Eigentümer zu werden?
In der Szene war das nicht gut gelitten. Aber es gab da auch sogenannte Verhandler. Wir wollten eine dauerhafte Lösung und verhandelten fünf Jahre mit der städtischen Sanierungsgesellschaft, während wir in Salamitaktik halblegal weiter ausbauten, bis wir das erste Gebäude kaufen konnten.
Wie kam es dann zur Gründung des Syndikats?
Das war am Ende der Bauphase des ersten Gebäudes, um 1989. Die Baukosten wurden zehn Prozent teurer als geplant, das Geld war nicht da. Die Gruppe, die das angehen wollte, nannte sich „Das schwarze Loch“. Sie suchten eine mitreißende Idee, um zusätzliche Direktkredite zu werben. Das war der Anfang des Syndikats.
Hatten Sie ein Vorbild?
Auf die Idee mit dem Solidarfonds zur Unterstützung neuer Projekte sind wir selbst gekommen. Aber wir hatten 1982 einen Artikel in der linken Architekturzeitschrift Arch+ von Klaus Novy gelesen, der Professor für Wohnungsökonomie an der TU Berlin war. Er hatte für die besetzten Häuser, die damals in Westberlin legalisiert wurden, eine ähnliche Idee.
Woran ist er gescheitert?
Seine Erfahrung war: Bestehende Projekte sind zu selbstbezogen, das funktioniert nicht. Er hat deshalb aufgegeben.
Das Mietshäuser-Syndikat ist eine GmbH, eine klassische kapitalistische Rechtsform. Wäre eine Genossenschaft nicht passender?
In einer Genossenschaft kann eine qualifizierte Mehrheit die Satzung ändern und Häuser wieder verkaufen, da gab es Präzedenzfälle. Aber wir wollen sie ja für alle Zeit dem freien Markt entziehen. In der GmbH gibt es eine Art Gewaltenteilung zwischen den einzelnen Hausvereinen und dem Syndikat, das ein Vetorecht hat. Wir wollen verhindern, dass ältere Hausprojekte sagen: „Schön, dass ihr uns am Anfang geholfen habt, aber jetzt hätten wir das Haus gerne für uns.“ Außerdem sind in den 1980ern mehrere große Genossenschaften grandios gescheitert.
Was war damals passiert?
Am prominentesten war der Fall des Wohnungsbaukonzerns Neue Heimat, in dem die Gewerkschaften ihre Gelder angelegt hatten. Eine Funktionärsclique hatte sich an den Mietern bereichert und alles an die Wand gefahren. Das war die größte Immobilienpleite der BRD. Für die CDU war das 1992 ein gefundenes Fressen, um die Wohnungsgemeinnützigkeit abzuschaffen. Die entschuldeten Gebäude sind später alle auf dem freien Markt gelandet.
Ähnlich spektakulär ist nun die Pleite des Energiekonzerns Prokon. 75.000 Anleger verloren ihr Geld. Die Bundesregierung plant deshalb eine Gesetzesänderung, die Sie vehement ablehnen.
Wenn das Kleinanlegerschutzgesetz in der Form kommt, müsste in Zukunft jedes Hausprojekt einen Verkaufsprospekt für die Direktkreditgeber veröffentlichen. So ein Prospekt muss im Detail über Gewinne, Verluste, Finanzlage, Vermögenswerte und so weiter informieren und mit einer Anwaltskanzlei erstellt werden.
Das lehnen Sie ab?
Die Ironie ist: Prokon hatte ja einen 129 Seiten langen Prospekt, der von der Bankenaufsicht abgesegnet war. Das wirkte geradezu wie ein Gütesiegel. So ein Prospekt kostet mindestens 35.000 Euro. 6.500 Euro nimmt die BaFin, die den Prospekt prüft. 10.000 bekommen die Wirtschaftsprüfer. Das sind rund 50.000 Euro pro Jahr, denn er ist nur ein Jahr gültig.
Was würde das für das Mietshäuser-Syndikat bedeuten?
Bei einem mittelgroßen Projekt müssten die Mieten um knapp 50 Prozent steigen, bei einem kleinen können es sogar 100 sein. Sie lägen dann weit über dem Mietspiegel. Das wäre das Aus. Aber es betrifft ja nicht nur uns sondern auch Biobauernhöfe, Kulturzentren, Freie Schulen und Bürgerenergievorhaben, die alle auf Direktkredite angewiesen sind. Das wäre der Zusammenbruch eines großen Teils der solidarischen Ökonomie.
Was fordern Sie?
Es muss Ausnahmen für bürgerschaftliche Initiativen geben: Kleine Unternehmen sollten bei Förderkrediten mit einer Rendite von maximal drei Prozent ausgenommen sein. Prokon hatte ja acht Prozent Rendite in Aussicht gestellt.
Der Prospekt soll auch klären, ob es in der Vergangenheit Probleme mit der Bankenaufsicht gab. Wie sieht es da bei Ihnen aus?
1999 warben wir bei einer Aktion mit Faltblättern um Unterstützung. Zwei Streifenpolizisten fingen die ab und fragten beim Wirtschaftskontrolldienst nach, ob wir das dürfen. Die stellten fest, dass wir gegen das Kreditwesengesetz verstoßen. Man darf nicht einfach Kredite annehmen. Das ging dann zur Bankenaufsicht und Staatsanwaltschaft. Fünf Leuten drohte Haft.
Wie kamen Sie da heraus?
Es gab damals einen Beitrag im ARD-Politmagazin Monitor. Außerhalb des Kameragesprächs ließ der Chef der Bankenaufsicht gegenüber dem Redakteur das Wort Nachrangdarlehen fallen. Der Redakteur erzählte uns davon, so sind wir auf die Nachrangklausel gekommen.
Was besagt diese Klausel?
Dass eine Rückzahlung der Darlehen nur verlangt werden kann, wenn das keine Insolvenz auslöst. Bei einem Run ist sonst das Geld der Kleinanleger zuerst weg. Nachdem wir die Klausel in alle 150 Kreditverträge eingefügt hatten, wurde die Anklage fallen gelassen.
Gemeinwirtschaft ist unter dem Schlagwort Commons inzwischen ein Trend. Ist die Akzeptanz des Mietshäuser-Syndikats heute breiter?
Absolut. Wir sind zwar immer noch kein Lieblingskind der Politik, aber wir werden heute zum Beispiel in den Kommunen zu Fachgesprächen eingeladen, bei denen früher nur die Immobiliengesellschaften und die Wohnungsbaugenossenschaften saßen.
2009 hat Elinor Ostrom als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis erhalten, weil sie „zeigte, wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann“.
Bis dahin war die Theorie, dass Gemeinwirtschaft nicht funktioniert. Der Ökonom Garrett Hardin hatte das an Fischereigemeinschaften dargestellt, die übernutzt wurden, weil jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht war. Ostrom hat erstmals auch Commons untersucht, die sehr lange Bestand haben, und festgestellt: Das ist eine Frage der Regeln. Den Commons gab es einen Schub, dass das nicht irgendein Barfußökonom sagte, sondern eine Nobelpreisträgerin.
Die Bewohner der Hausprojekte zahlen ein Leben lang Miete. Viele sind politisch sehr aktiv. Wäre es nicht fair, wenn die ihre Wohnung im Alter abbezahlt hätten?
Die Debatte gibt es natürlich. Wenn man sich einzelne Biografien ansieht, macht das schon Sinn. Der Blick des Syndikats ist aber gesamtgesellschaftlich und nimmt alle in den Fokus, die kein Kapital haben, um sich teure Mieten oder Eigentumswohnungen zu leisten. Solange es von diesen so viele gibt, besteht die Solidarpflicht.
Bezahlbarer Wohnraum wird in den Städten Mangelware. Können Sie in den Innenstadtlagen überhaupt noch Häuser kaufen?
Das wird schwieriger. Viele haben längst den Eigentümer gewechselt. Die erste Welle war in den 70ern und 80ern, die zweite ist jetzt. In Freiburg haben wir sechs Jahre kein neues Projekt geschafft. Aber wir bleiben beharrlich. In einem städtischen Baugebiet haben wir jetzt den Zuschlag für drei Gebäude mit 50 Wohnungen erhalten.
Das Gespräch führte Christine Käppeler
Stefan Rost ist Teil des Mietshäuser-Syndikats. Es umfasst 72 Hausprojekte. Im größten wohnen 285 Personen, in den kleinsten sechs. Für den Hauskauf steuert das Syndikat 12.400 Euro bei. 12.600 muss der Verein einbringen, der kaufen will.
Ein Großteil der Kaufsumme, im Schnitt 40 Prozent, wird durch Direktkredite bestritten. Die kommen meist von Menschen aus der Region. Den Rest leihen Banken. Ist der Kredit abbezahlt, wird die Miete entsprechend gesenkt
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.