Witz am letzten Loch

Tatort Axel Prahl und Jan Josef Liefers fahren unter der Münsteraner Sommersonne von Indiz zu Indiz. Von wegen Trip zur Hölle: Der Tatort als Klassenfahrt

Wer an diesem Sonntag auf der Suche nach wahrhafter Entspannung war, der musste eigentlich nur den Tatort sehen. Man durfte sich dabei nur nicht von Stichwörtern wie „Steuerhinterziehung“, „Folter“ und „Posttraumatisches Stress-Syndrom“ nicht abschrecken lassen, und schon gar nicht vom Titel „Höllenfahrt“: Dieser Tatort aus Münster ist ein absoluter Wohlfühltatort, eine Art Doppelfolge „Die drei Fragezeichen“ mit Kalauern der Marke „Die Lümmel von der ersten Bank“.

In der Rolle der verfeindeten Gymnasiasten: Pathologe Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) und sechs renitente Radfahrer. Als Höhepunkt des Kleinkriegs lässt Boerne den Radlern die Luft ab, wofür er dann für den Rest der Ermittlungen mit einer Windschutzscheibe, auf der groß und breit und rot „Arschloch“ steht, durch die Münsterländer Felder fahren muss.

Bei so viel Pennälerfreuden vergisst man beinahe den Fall: Zwei Tote mit schwarzen Augenbinden, beide mit Blutergüssen an den Knien, Fesselnarben an den Fußgelenken, der eine – Bankier Strothoff – erhängt, der andere – der Kunst- und Antiquitätenschieber Solana – durch einen Kopfschuss hingerichtet. Frank Thiel (Axel Prahl) tippt scharfsinnig auf Rache und Demütigung, „irgendetwas wirklich Finsteres“. Doch die Münsteraner Sommersonne hat für wirkliche Darkness wenig Sinn. Also hat die erste Leiche vier Kondome mit Pfirsich-Maracuja-Geschmack im Jackett und der entlaufene Psychatriepatient hinterlässt ein Kopfkissen, das „sportlich feminin“ riecht. Pfui Deiwel. Als die Sonne dann irgendwann doch noch untergeht, und Thiel und Boerne einmal schneller sind als der Tod und deshalb mit ansehen können, wie das ist, wenn einer so verschnürt wurde, dass er sich in Abwesenheit seines Henkers automatisch selbst zu Tode foltert – nicht einmal da will es wirklich finster werden. Denn hinter der Gartenecke des Opfers sitzen die Radler im Wirtsgarten und trinken ihr Bier und der gefolterte Bollinger, kaum entschnürt, denkt schon wieder an nichts anderes als an das Golfturnier.

Überhaupt, das Tunier: Boernes Golfclub, der GCG Grothenburg, feiert Fünfzigstes, stilecht mit Thunfischkroketten und Champagnerbar. Und mittendrin Thiel mit einem Farbpatronen-Herzschuss auf dem nagelneuen Hemd, ein verwundeter Problembär, der sich ins Pfauengehege verlaufen hat und jetzt den hochnäsigen Vögeln den Rasen platt tritt. „Nagt er wieder, der kleine Sozialneid?“ Mais oui!

Trotzdem, oder vielleicht muss man sagen: gerade weil sie jetzt so richtig in ihrem gegensätzlichen Element und in Fahrt sind, werden Boerne und Thiel in diesem Tatort ein prima Schnüfflerteam, zwei Detektive, die wirklich jeden Fall übernehmen: „Boerne und Thiel und die Fremde mit dem weißen Kopftuch“, „Boerne und Thiel und das Rätsel des Pharaonengrabs“, „Auf falsche Fährte“, „Und die geheime Waldhütte“, „Im Keller des Todes“.

Aber von vorne: Kommissar Frank Thiel und Karl-Friedrich Boerne sitzen bei einem Glas Mineralwasser im Garten des Clubhotels um den Fall zu erörtern, als der Kellner, die alte Klatschbase, mit einem Hinweis kommt. Die Detektive also ab in Boernes Auto, zu spät, die mysteriöse Dame mit dem weißen Kopftuch ist mit quietschenden Reifen längst vom Hof. Doch es gibt schon das nächste Indiz: A.K., die den toten Bankier Strothoff am Abend vor dem Mord um R.R. (R.R. wie "Rückruf", nicht "Rindsroulade" hat man da bereits gelernt) bat, wenn das Mal nicht Ann-Kathrin Strothoff, die Witwe ist. Die Spur entpuppt sich allerdings als Finte, der Fall im Hause Strothoff gehört nicht Thiel und Boerne sondern der Staatsanwaltin Wilhelmine Klemm. Steuerhinterziehung! Staatsbeamte tragen Akten und Computer aus dem Haus. Welch herrlich nostalgischer Anblick, jetzt, da man es längst gewohnt ist, dass die Banker ihr Hab und Gut selber in Pappkartons aus den Büros tragen.

Aber zurück zum Fall, denn Thiel greift jetzt richtig tief in die Ermittler-Trickkiste: Ein Anruf mit verstellter Stimme und schon ist der nächste Tatort bekannt, wo sie in besagtem Pharaonengrab ein Foto des Flüchtigen und eine Schatzkarte heben. Das Foto führt sie auf die Spur der Schönen mit dem Kopftuch und von dort in den dunklen, dunklen Wald. Aber – trotz Platzregen und Donnerschlag! – wirklich finster will es auch hier nicht werden, wenn Thiel und Boerne mit Taschenlampe und ohne Handy – merke: „Ein leeres Handy ist gar kein Handy“ (Boerne) – zusammen durch die Wildschweinkacke stolpern. Und wer muss es dann richten? Mortimer, äh Alberich, die Chauffeurin. Damit Thiel endlich „Ready for some Darkness“ im Klinikkeller ist. Aber jetzt kann die ganze Geschichte um Rebellen, Lösegelder, Erpressung und Folter auch nicht mehr schocken.

Man muss sich mal vorstellen, wie das alles gelaufen wäre, wenn eine Kommissarin wie Charlotte Sänger in diesem Fall ermittelt hätte. Bonne nuit, tristesse. Stattdessen in Münster: Ein letzter Witz am letzten Loch. Darauf einen Salbeitee.

Was Thiel und Boerne nicht herausgefunden haben: Dass die mysteriöse Frau mit dem Kopftuch (Nina Kunzendorf) Kommissar Dellwos alte Liebe Katrin (Nina Kunzendorf) ist.

Fürs Leben gelernt: "Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler" (Karl-Friedrich Boerne über Kondome mit Maracuja-Geschmack)

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