Worte töten. Wortwörtlich

Kanalratten Maxim Biller hat ein Stück geschrieben, an dem bislang kein Regisseur Interesse zeigt. Aber dieser Text braucht das Theater hoffentlich nicht
Ausgabe 23/2013
Worte töten. Wortwörtlich

Foto: Lottermann & Fuentes

Es gibt wenige Autoren, deren Name so provoziert wie der von Maxim Biller. Bisweilen hat man gar den Eindruck, es gebe eine direkte Verbindung zwischen diesem Namen und der gereizten Magenschleimhaut mancher Leser und Rezensenten. Biller-Hasser, so viel vorab, werden auch den Dramentext Kanalratten unerträglich finden. Obwohl in diesem Stück auch sehr ausgiebig gekotzt wird, und das sehr elegant und aus gutem Grund.

Der eine kotzt in diesem Stück, weil er Krebs im Endstadium hat; der andere, weil er das Jüdische Museum, dessen Direktor er ist, in „Deutsches Museum jüdischer Geschichte bis 1941“ umbenennen soll. Zudem sind beide Gäste einer Abendgesellschaft, die ohne jenes Übermaß an Alkohol, das diesen Vorgang beschleunigt, nicht auszuhalten ist. Mit Alkohol ist sie es aber auch nicht, und so wird am Ende der Museumsdirektor Hermann „Herschel“ Girsch, auch Gettogirsch, Herschelmaus oder Museumsjude genannt, ein ganzes Weinglas aufgegessen haben und tot sein. Und der Journalist und Schriftsteller Joseph „Joe“ Karpeles wird so tief im Dreck stecken, dass er sich auch nur wünschen kann, die paar Monate, die er noch zu leben hat, wären schon um.

Wie so oft im Werk von Maxim Biller – zuletzt etwa in dem als Selbstporträt deklarierten Buch Der gebrauchte Jude – geht es auch in Kanalratten um die Komplexe und Reflexe der Deutschen im Umgang mit Juden. Die der Figuren, aber auch die potenzieller Leser. Worum es ganz konkret geht: um den Chefredakteur einer Wochenzeitung, der für eine „Medienumdrehung“ alles tut, einen ostdeutschen Dichterfürsten und KZ-Überlebenden, dessen SS-Mitgliedschaft eben jener Chefredakteur in seiner Zeitung enthüllt hat, eine Straße in Berlin-Steglitz, die in Anne-Frank-Straße umbenannt werden soll, worüber der Chefredakteur keine Debatte führen will, weil er selbst, Henning Hofman, dort wohnt, und zwar in einer Wohnung, die sein Vater 1941 einem jüdischen Ehepaar abgezwungen hat. Des Weiteren um Tay-Sachs, eine genetisch bedingte Krankheit, die häufig Kinder aschkenasischer Juden betrifft, und um Theodor Herzls Brieföffner. Worum es aber auch geht: die große Liebe. Die heißt Anna, sie ist Hofmans Freundin, liebt aber immer noch Joseph Karpeles, ihren Ex.

Das alles – was war, was geschieht und den ganzen Subtext – erzählt Maxim Biller in außerordentlich dichten Dialogen, ohne dass man beim Lesen auch nur einmal denkt, da muss nun einer aufstehen und seinen Text aufsagen, damit man auch ja im Bilde ist. Billers Protagonisten sind egozentrische Feingeister, die sich gegenseitig für „Psychos“ halten, entsprechend klug und scharf und bisweilen auch jenseitig sind die Sätze, mit denen sie sich beharken. Worte sind in diesem Stück tödlich, wortwörtlich. Am Ende des fünften Aktes, wenn Hofman gnadenlos wie ein Viertklässler und mit der Arroganz des Alphatiers Girsch zum Selbstmord anspornt, ist das nur schwer auszuhalten.

Es ist aber nicht alles Drama und Krise. Es gibt auch grandiose Sätze, die bei der ersten Lektüre durchrutschen, etwa die eines Jobst Kallenders, der im Personenverzeichnis treffend als „Untergebener“ des Chefredakteurs vorgestellt wird. Die Konversation vergiftet im zweiten Akt zusehends, da sagt er, mit einem Griff in die Reiscracker-Schale: „Man kann gar nicht aufhören. Das knuspert so schön, wenn man draufbeißt, und dann dieser Nachgeschmack, ein bisschen süßlich, aber sie schmecken auch nach Meer. Toll.“ Wohl dem, denkt man da, der keinen dieser Kallenders kennt. Denn auch das ist eben typisch für Biller-Texte: Auch das profane Elend bringen sie auf den Punkt.

Wer Biller nicht mag, dem wird sich die Schönheit solcher Sätze kaum erschließen. Er ist vermutlich nickend und mit Sodbrennen auf Seite 68 ausgestiegen, wo Kallender Joe Karpeles vorwirft: „Du willst doch bloß wieder etwas gegen die Deutschen sagen.“ Wogegen Biller aber vor allem etwas sagt: Gloria Gaynors „I Will Survive“ und Menschen, die sich Expressionisten an die Schlafzimmerwände hängen, nur um dann festzustellen, dass die sie so „entartet angucken“. Wer sich davon provoziert fühlt, dem sei der Text doppelt anempfohlen.

In den Katalog des Verbands Deutscher Bühnen- und Medienverlage wurde Kanalratten bereits 2008 eingestellt. Seitdem hat kein Regisseur Interesse daran gezeigt, das Stück aufzuführen. Aber braucht dieser Text das Theater überhaupt? Nicht, wenn ein hartnäckiges Vorurteil endlich überwunden wird, das besagt: Einen Dramentext zu lesen, sei kein Vergnügen.

Kanalratten. Zwei Stücke Maxim Biller Fischer 2013, 192 S., 9,99 €

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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