Zeichen im Wahn.

Interpunktion Ausrufezeichen war einmal: Heute muss hinter jede Aussage ein Punkt.
Zeichen im Wahn.

Abb.: OBS/Krombacher Brauerei GmbH & Co.

Der Tatort ist in der Sommerpause, umso erfreulicher ist es da, dem Ivo (Miroslav Nemec) und dem Franz (Udo Wachtveitl), die für die Reihe in München ermittlen, auf einem Plakat zu begegnen. „Botschafter für Mehrsprachigkeit und Integration.“, steht über dem Foto der beiden, und während man sich noch wundert, was denn der Punkt da soll, liest man mit Staunen, dass hier ausgerechnet für Sprachtests geworben wird. Aber will man einem Tochter-Institut des Volkshochschulverbandes einen Strick aus ein bisschen Nonsens-Interpunktion drehen, wo es beileibe nicht die einzige Einrichtung ist, die unbedingt einen Punkt machen muss? Die Privathochschule „FOM“ zum Beispiel wirbt seit einiger Zeit in flaschengrün auf Plakaten und Bussen:

„Mehr wissen.

Mehr erreichen.

Studium neben dem Beruf.“

Und auch der Spiegel, der online mit der Zwiebelfisch-Kolumne von Bastian Sick eine Populär-Instanz fürs Richtigschreibenkönnen im eigenen Haus unterhält, setzt auf Abgrenzung am rechten Rand:

„Meist gelesen.

Meist zitiert.

Meist gefürchtet.“

Es scheint ein großes Bedürfnis zu geben, das, was man so sagt, mit einem Punkt zu bekräftigen, und gewissermaßen von hinten die Schotten gegen mögliche Einwände dicht zu machen. Früher hätte man an solcher Stelle vielleicht ein Ausrufezeichen gesetzt, doch spätestens seit „Geiz ist geil!“ und „Wir lieben Technik! Wir hassen teuer!“ hat das gewaltig abgewirtschaftet und wirkt leicht vulgär. Wer heute für „Kultwein aus Sardinien!“ wirbt, nimmt in Kauf, dass potenzielle Käufer im Nachhall des Ausrufezeichens den Kopfschmerz am nächsten Morgen antizipieren. „Überzeugend gut.“, findet Mehmet Scholl denn auch sein Weizenbier.

Punkt statt Schlussstrich

Apropos vulgär: Die Ergo-Versicherer, die ihre Kunden anders als die anderen Versicherungen nicht verunsichern wollten (und dann mit den Sex-Reisen der Manager ihrer Tochtergesellschaft Hamburg-Mannheimer doch alle irritiert haben), versuchen es jetzt mit „Verstehen. Je mehr, desto besser.“, was vor dem Hintergrund des eben überstandenen Skandals zwar Mut beweist, aber grammatikalisch unsinnig bleibt.

In Zeiten, in denen auch vom überübernächsten Gipfel keine Lösung für die Eurokrise zu erwarten ist, scheint der Punkt der Ersatz für den Schlussstrich zu sein, den man so gerne setzen würde. „Schade.“ titelte der Spiegel im Juni über „Obamas missglückte Präsidentschaft“, als wäre mit einem lapidaren „Schade“ alles gesagt, und man könnte nun flugs ein neues Kapitel aufschlagen.

Nun ist der Punkt als ein Instrument, um einer Aussage dezent Nachdruck zu verleihen, nicht neu. Der New Yorker hat unlängst eine legendäre Jaguar-Anzeige aus dem Jahr 1974 wiederentdeckt. Auf einer Lichtung steht im kniehohen Farn ein schwarzer Jaguar E-Type, dahinter lehnt eine Frau in einem sommerlichen blauen Abendkleid an der Windschutzscheibe. Darunter der Slogan: „Nobody’s Pussycat.“ Zweifellos kann man unter diese Aussage einen Punkt setzen. Heute wundert man sich über: „Daddy cool. Der erste Van mit Flex-Appeal.“ Auch Apple hatte durchaus einen Punkt, als das Unternehmen 1997 „Think different.“ forderte. Aber muss deshalb ein Münchner Autokonzern heute „Jahrhundertereignis.“ schreiben, nur weil er in der 6er-Coupé-Baureihe ein neues Modell auf den Markt bringt?

Wir finden: Je mehr, desto besser. Und freuen uns nach der Sommerpause auf den neuen Sonntagabend mit Tagesschau., Tatort., Günther. Jauch., Tagesthemen und t.t.t..

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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