Zurück in die Zukunft

Exterrestrisch Klaus Bürgle zeichnete in den 60ern die Eroberung des Weltalls und visionäre Technik
Ausgabe 52/2015

„In 30 Jahren beginnt das absolute Jahrtausend“, so stimmte die Zeitschrift hobby ihre Leser 1969 auf die Zukunft ein. Aus Sicht des technikvernarrten Jugendmagazins bedeutete das absolute Jahrtausend vor allem: ungebremste Mobilität, spektakuläre Wohnkapseln und ein Ticket ins Weltall für jeden. hobby-Leser hatten ein klares Bild von der Zukunft, und dieses Bild verdankten sie dem Grafiker und Illustrator Klaus Bürgle.

Bürgle, der 1926 in Stuttgart geboren wurde, und mit dessen Grafiken die gesamte Freitag-Ausgabe bebildert ist, studierte dort an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste. Er selbst bezeichnete sich jedoch nie als Künstler, sondern als Gebrauchsgrafiker. Er zeichnete eine Zentralheizung für die Antarktis und ein Rohrpostsystem, durch das die Menschen der Zukunft tief unter ihren Städten sausen würden. In einem Interview sagte Klaus Bürgle über seine Illustrationen einmal: „90 Prozent waren Forscherwissen, das andere war meine Fantasie und Konstruktion.“

Dieser wahre Kern führt dazu, dass wir in seinen Zeichnungen immer wieder auch Details entdecken, die so oder so ähnlich realisiert worden sind: Sein Solarkraftwerk mit Mikrowellenabstrahlung von 1978 zum Beispiel ist heutigen Solarfarmen nicht unähnlich – allenfalls ein wenig farbenfroher. Wobei die Zukunft, wie Bürgle sie zeichnete, nie schrill aussah, das lag an den Temperafarben, mit denen er sie colorierte.

Seine futuristischen Städte und Weltraumbahnhöfe erschienen auch in der Zeitschrift Bild der Wissenschaft und der Jugendbuchreihe Das Neue Universum, die sich dem Motto verschrieben hatte „Forschung, Wissen, Unterhaltung“. In deren Jahrbuch regten Klaus Bürgles Zeichnungen als großformatige Aufklappbilder von fliegenden Kraftwerken und fünfgeschossigen Städten die Fantasie der jungen Leser an. Denn vor allem auch die Jugend sollte in den 60ern für die Wissenschaft begeistert werden, schließlich war der Wettlauf ins Weltall in vollem Gang. 1961 schickten die Sowjets Juri Gagarin ins All, 1969 betrat Neil Armstrong den Mond und 1970 zeichnete Klaus Bürgle eine Mondkolonie mit zweigeschossigen Wohnmodulen, in die man in einem weniger lebensfeindlichen Umfeld heute noch gerne einziehen würde. Doch Bürgle machte beim Mond nicht Halt. 1976 kolonisierte er den Mars. 1980 ließ er eine muschelförmige Kapsel mit einem Fallschirm im Auftrag der Hörzu auf der Venus landen.

Wenn man heute Begeisterung für die Raumfahrt wecken will, muss man an die Gefühle der Menschen appellieren. Einem ISS-Kommandanten ist das vor zwei Jahren gelungen, als er Space Oddity von David Bowie im Weltall sang (mit dem die BBC übrigens 1969 die Übertragung der Mondlandung unterlegte; damals war der Song brandneu). Gegen Klaus Bürgles Pläne für eine humane Rohrpost würde sich im 21. Jahrhundert vermutlich umgehend eine Bürgerinitiative gründen.

Wenn wir uns seine Bilder heute ansehen, stellt sich die Frage, ob manche unserer Visionen vielleicht etwas klein geworden sind. Ihn selbst können wir das nicht mehr fragen, Klaus Bürgle ist im Juli mit 89 Jahren in Göppingen gestorben.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

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