Lückenhaftes Strafrecht

Debatte Brauchen wir nach den Vorfällen in Köln ein Anti-Sexismusgesetz?
Ausgabe 02/2016
Nett gemeint und voll daneben liegen oft sehr nah beieinander
Nett gemeint und voll daneben liegen oft sehr nah beieinander

Foto: Eibner/Imago

Aus der Sozialforschung weiß man, dass die Abwertung von Personengruppen, Gewalttaten gegen sie fördert. Es gibt also keine harmlose Verachtung gegenüber Frauen, egal von wem sie geäußert wird. Sexismus wird nicht erst dann gefährlich, wenn wie in Köln massenweise Sexualstraftaten gegen Frauen verübt werden. Nur wie kriegt man ihn in den Griff? Die Belgier haben es mit einem Anti-Sexismusgesetz versucht. Man möchte damit jede Handlung, die offensichtlich Verachtung ausdrückt und jemanden wegen seines Geschlechts als minderwertig einstuft oder auf seine Sexualität reduziert, unter Strafe stellen.

So ein Gesetz würde alles, von Auf-der-Straße-Hinterherpfeifen über Angrapschen auf Volksfesten und sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz bis hin zu frauenverachtenden Online-Postings, erfassen. Bei der Aufschrei-Debatte wurde oft bemängelt, dass es schwer sei, nett gemeinte Komplimente oder sexuelle Anspielungen von Sexismus zu unterscheiden. Allerdings löst man bei Beleidigungen, die in § 185 des Strafgesetzbuchs (StGB) erfasst sind, dieses Problem mit Leichtigkeit, weil die beleidigende Absicht gegeben sein muss. Wenn es nicht beleidigend gemeint ist, ist es keine Beleidigung.

Wieso sollte das bei Sexismus nicht genauso funktionieren? Wenn es nicht abwertend gemeint ist, ist es kein Sexismus. Brüderles Bemerkung, die in der Aufschrei-Debatte für Empörung gesorgt hat, wäre auch mit Anti-Sexismusgesetz nur eine Stilfrage. Nun wird bei Forderungen nach neuen Gesetzen meist, und meist zu Recht, eingewandt, die rechtlichen Grundlagen seien vorhanden, man müsse sie nur anwenden.

Schauen wir’s uns beim Sexismus an: Abwertende Bezeichnungen wie „Fotze“ und „Schlampe“ sind als Beleidigung vom § 185 StGB abgedeckt. Aber dass Frauen generell „nur die Beine breit machen“, geldgeil und faul seien, fällt mangels „hinreichend eingegrenztem Personenkreis“ nicht unter Beleidigung. Auch wenn eine Gruppe von Männern auf der Straße johlt, pfeift und Angebote zum Sexualverkehr von sich gibt, ist das nicht strafrechtlich erfasst. Im Gegenteil, die sogenannte „Geschlechtsehre“ ist im Strafrecht ausdrücklich nicht geschützt. Dass Frauen sich davon viel eingeschüchterter fühlen, als wenn ihnen ein Autofahrer den Vogel zeigt – was als Beleidigung unter Strafe steht –, zeigt, dass es nicht nur um eine Frage des Stils geht. Ebenso werden sexualbezogene Berührungen am Arbeitsplatz explizit von dem Schutzbereich des Beleidigungsparagrafen 185 StGB ausgenommen. Der Griff an den Po bei weiblichen Bedienungen ist strafrechtlich weder Körperverletzung noch Beleidigung.

Nötigung nach § 240 StGB kommt bei den unerwünschten Berührungen auch nicht in Betracht, wenn die Betroffenen nicht wie am Kölner Domplatz gehindert werden, sich zu entfernen. Alle anderen Grapschereien in Clubs, auf Volksfesten, in U-Bahnen sind bei der jetzigen Gesetzeslage straffrei. Selbst wenn viele Männer eine Frau auf der Straße begrapschen, ohne sie an einer Flucht zu hindern, ist kein Strafrechtsparagraf einschlägig.

Natürlich will man nicht sämtliche Erscheinungsformen des Zusammenlebens gesetzlich regeln. Andererseits haben alle Debatten um Gender, Feminismus, Sexismus nichts an den virulent stattfindenden Übergriffen geändert. Im Gegenteil, indem das Gefühl vorherrscht, Frauen seien schon gleichberechtigt und man dürfe ihnen dennoch ungestraft an Brust und Po greifen, hat Sexismus quasi die Feuerprobe des Feminismus überstanden und sich als eine Art Kulturgut etabliert. Wir müssen uns fragen, ob das die Kultur ist, vor der wir bei Angehörigen anderer Kulturen Respekt einfordern wollen.

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