Im Gespräch Die Molekularbiologin Lilian Joensen über den Soja-Anbau in Argentinien und gentechnologisches Saatgut, das weder Schädlinge verhindert noch den Hunger in den Ländern der Dritten Welt lindert
Lilian G. Joensen ist Molekularbiologin und arbeitet für die "Grupo de Reflexión Rural", die das "Network for Latin America Free of GMOs" (Red por una Latino America Libre de Transgénicos) koordiniert. Sie war im April 2004 mit der Entwicklungshilfeorganisation "Brot für die Welt" auf einer Informations-Tour durch Deutschland.
FREITAG: Das weltgrößte Unternehmen für gentechnisch verändertes Saatgut, der US-amerikanische Konzern Monsanto, hat Ende des vergangenen Jahres angekündigt, auf dem argentinischen Markt kein gentechnisch verändertes Soja mehr zu verkaufen. Warum? LILIAN JOENSEN: Monsanto forderte in Argentinien bisher keine Lizenzgebühren für sein gentechnisch verändertes Saatgut. Die argentinischen Bauern hatten Teile
tinischen Bauern hatten Teile ihrer Soja-Ernten wieder ausgesät, getauscht und gehandelt, wie sie es immer getan haben. Das war von Monsanto bisher auch akzeptiert worden, obwohl die ungleiche Behandlung die nordamerikanischen Bauern sehr geärgert hat. Jetzt hat der Konzern angekündigt, kein gentechnisch verändertes Soja mehr zu verkaufen, bis Lizenzgebühren bezahlt werden. Warum hat Monsanto überhaupt auf Lizenzgebühren verzichtete? Wir bewerten es als Strategie, mit der unser Markt mit dem gentechnisch veränderten Saatgut überschwemmt werden sollte. Man kann das Gleiche in anderen Ländern beobachten. In Brasilien, das erst im letzten Jahr und zunächst auch nur befristet den Anbau des gentechnisch veränderten Sojas legalisierte, hat Monsanto den "bolsa-blanca-Markt", den Markt der weißen Säcke - als Zeichen von nicht-zertifiziertem Saatgut - in den Neunzigern toleriert, wenn nicht sogar unterstützt. Gleiches in Paraguay, wo der Anbau gentechnisch veränderter Sorten bis heute verboten ist.Zur Situation in Argentinien muss man allerdings wissen, dass Monsanto nur 15 Prozent des in Argentinien verwendeten Roundup Ready (RR)-Soja-Saatgutes verkauft hat. Sein Hauptgeschäft macht der Konzern in unserem Land mit dem Verkauf des zugehörigen Herbizids, dem Glyphosat oder Roundup, wie es auch genannt wird. Die Regierung hat inzwischen angekündigt, bis zu 34 Millionen US-Dollar an Lizenzgebühren für Monsanto und andere Saatgutunternehmen zu sammeln.Es gibt also noch andere Firmen, die auch in Zukunft das RR-Soja-Saatgut verkaufen werden? Genau, es sind hauptsächlich drei Firmen, die sich diesen Markt in Argentinien teilen: das niederländische Unternehmen Nidera und die beiden argentinischen Firmen Asociados Don Mario und Relmo, die beiden letzteren haben ihrerseits die Rechte an der Roundup-Technologie von Monsanto gekauft. Monsanto hat nun angekündigt, sich in Argentinien auf den Verkauf von gentechnisch verändertem Mais, ebenfalls als Roundup Ready-Version, zu konzentrieren. Dieser trägt sowohl das neue Gen für die Herbizid-Resistenz als auch ein anderes, das das Getreide gegen Insekten resistent macht. Auch Sorghum und Sonnenblumen sollen als gentechnisch veränderte Sorten angeboten und angebaut werden. Bei allen dreien ist der Nachbau - die Verwendung der Ernte als Saatgut durch die Bauern - nicht möglich, weil sie als Hybrid-Sorten angebaut werden und das Saatgut immer neu aus den Eltern-Sorten gezüchtet werden muss.Welche Strategie vermuten Sie hinter diesem Schritt von Monsanto? Wir haben in unser Gruppe schon oft versucht, die Zukunft der Soja-Monokultur abzuschätzen und vermuten, dass Monsanto das sinkende Schiff verläßt, bevor der Soja-Anbau in unserem Land von einem wirklich schlimmen Rostpilz betroffen sein wird oder es zum Kollaps der landwirtschaftlich sehr intensiv genutzten Böden kommt. Eine andere Frage, die wir uns stellen, ist, ob es sich um eine Erpressungs-Strategie der Regierung unter Präsident Nestor Kirchner handelt, um das Recht unserer Bauern, Saatgut zurückzuhalten, einzuschränken.Sie sprachen von einem neuen Rostpilz, wie sieht es mit anderen Schädlingen auf den Soja-Feldern aus? Die Reduzierung der eingesetzten Spritzmittel ist ja immer ein zentrales Argument für den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen gewesen ... Mittlerweile haben wir 14 verschiedene Unkräuter, die gegen das Roundup resistent geworden sind, der Verbrauch des Herbizids ist seit dem ersten Anbau 1997 um das Fünffache gestiegen. An Argentinien zeigt sich, dass das Argument des angeblich zurückgehenden Einsatzes von Spritzmitteln nicht haltbar ist. Es werden auch andere Herbizide eingesetzt, das 2,4-D oder das Atrazin (siehe Kasten). Und zu guter Letzt: Gegen das Roundup-resistente Soja, das außerhalb der eigentlichen Saison wächst, wird das hochgiftige Paraquat eingesetzt. Außerdem kommen die Probleme mit einem neuen Pilz hinzu.Wie war die Situation, bevor in Argentinien in großem Maßstab Soja angebaut wurde?Es gab ein extensives Agrar-System, in dem sich eine Bewirtschaftung mit Tieren und der Anbau von Pflanzen abwechselten. Die Böden konnten sich regenerieren. Diese Art der Landwirtschaft verzichtet vollständig auf synthetischen Dünger, und der Einsatz von Pestiziden ist minimal. Zu Beginn der achtziger Jahre stiegen die Preise für Ölsaaten und Getreide auf dem Weltmarkt. Damit begann der Niedergang der abwechselnden Bewirtschaftung mittels Viehhaltung und Pflanzenbau. Gleichzeitig wurde die "no-till"-Landwirtschaft, bei der auf das Pflügen des Bodens verzichtet wird, als umweltfreundliche Anbauart propagiert, da sie weniger Erosion mit sich bringt. Jetzt haben wir auf Millionen und Abermillionen Hektar das gleiche Anbau-System, eine Monokultur, die uns neue Probleme gebracht hat: neue Schädlinge, resistente Unkräuter.Warum bauen die Bauern das gentechnisch verändete Soja überhaupt an? Es sind nicht Landwirte im europäischen Sinne, die für den Weltmarkt anbauen, sondern große Unternehmen, die das Land der verarmten Landbevölkerung pachten. In Argentinien sind dies oft Firmen aus Spanien oder den USA. Sie besitzen nicht das Land, sie besitzen die Infrastruktur für Handel und Vertrieb, sie bringen das gentechnisch veränderte Saatgut und die Chemikalien, Spritz- und Düngemittel mit - und sie besitzen die Maschinen. Diese werden von Region zu Region verbracht, da bei uns durch die Größe des Landes die Jahreszeiten nicht im ganzen Land synchron ablaufen.Argentinien ist bei uns traditionell bekannt für seine Exporte von Rindfleisch, das sich auch in Europa großer Beliebtheit erfreut. Die argentinische Landwirtschaft hat sich in dieser Hinsicht sehr verändert. Tatsächlich exportieren wir jetzt in erster Linie Soja, Soja und nochmals Soja. Das Soja wird in Mühlen gepresst, das Öl geht in die Produktion von Lebensmitteln, das Sojaschrot wird als Tierfutter genutzt - auf dem asiatischen, aber auch auf dem europäischen Markt. Die Rinderbestände sind bei uns stark zurückgegangen. Und: Wir sind nicht mehr in der Lage, unsere eigene Bevölkerung zu ernähren. Mittlerweile sind viele Produkte sehr teuer, und die letzten Statistiken besagen, dass 54 Prozent unserer Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. 54 Prozent! In den siebziger und achtziger Jahren waren es nur fünf beziehungweise 13 Prozent. Argentinien produzierte genug Lebensmittel von hoher Qualität für die eigene Bevölkerung und konnte zusätzlich die achtfache Menge des eigenen Bedarfs exportieren. Nun gibt es in unserem Land Hunger. Wir können nicht sagen, dass das gentechnisch veränderte Soja dafür verantwortlich ist. Was wir aber sagen können, ist, dass es uns nicht davor bewahrt hat und es bei uns Hunger früher nicht gegeben hat.Und die treibende Kraft dahinter ... ... ist der hohe Weltmarktpreis für das Soja. Dieser macht es lukrativ, auf Soja zu setzen, ohne den Blick auf den Bedarf im eigenen Land zu richten. Die Soja-Firmen versuchen, immer mehr Land für die Produktion zu bekommen, und sie schrecken auch nicht vor dem Einsatz von Gewalt zurück: In allen Regionen des Landes kann man in den Zeitungen lesen, dass Menschen von dem Land vertrieben werden, das ihnen zusteht.Wie ist der Besitz des Landes geregelt? Es gibt bei uns ein Gesetz, das besagt, dass wer seit 20 Jahren an einem Ort gelebt hat und dies nachweisen kann, sich als Besitzer des Landes registrieren lassen kann. Die Evidenz dieses Anspruchs wird häufig durch Gewalt zerstört. Die Soja-Firmen engagieren paramilitärische Gruppen, die Häuser abbrennen oder niederreißen, Vieh stehlen oder ähnliches.Und die Regierung ... Die Regierung schickt dann eine Kommission für Menschenrechte, die das alles fein säuberlich dokumentiert, so geschehen in der Provinz Santiago del Estero. Die Menschen dort leben weit entfernt von ihren Nachbarn, und es ist nicht leicht, sich gegenseitig zu unterstützen, auch wenn man sich mittlerweile besser organisiert, es passiert in der Regel zu schnell.Welchen Weg könnte Argentinien einschlagen? Argentinien sollte beginnen, für einen lokalen Markt zu produzieren, bevor es an den Export denkt. Es sollte zurückkehren zu einer Produktion diverser Produkte pflanzlicher und tierischer Art. Gleichzeitig wäre es sinnvoll, die Rotation wieder einzuführen. Argentinien sollte die Lebensmittel produzieren, die von argentinischen Menschen gegessen werden und erst dann mögliche Überschüsse exportieren.Kein leicht zu erreichendes Ziel ... Das Problem einer solchen Strategie liegt in der großen Abhängigkeit unseres Landes von den transnationalen Konzernen und deren "goodwill". Diese haben nur ihren Profit im Blick. Die Landwirtschaft ist privatisiert, und es gibt keinen einfachen Weg aus dieser Abhängigkeit. Keine Regierung unternimmt ernsthafte Schritte gegen die Transnationals. Sie haben Angst vor den Konsequenzen, und es ist zu erwarten, dass die großen Konzerne in höchst unangenehmer Weise reagieren werden.Sie waren kürzlich mit der deutschen Organisation "Brot für die Welt" auf einer Info-Tour durch Deutschland. Was war die Motivation für diese Kooperation? So wie ich es verstehe, zeigen wir der deutschen Öffentlichkeit eine Perspektive auf das Gentechnik-Thema aus der Perspektive der Länder der Dritten Welt. Gerade jetzt, wo an der "Idee" gearbeitet wird, dass die gentechnisch veränderten Produkte in den Dritte-Welt-Ländern angebaut und in den Industrie-Staaten verbraucht werden. In diesem Zusammenhang ist auch der Sieg der Industrie zu sehen, dass Produkte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden, nach dem europäischen Recht nicht gekennzeichnet werden müssen. Dieser Sieg bedeutet eine tragische Niederlage für die Landbevölkerung in den Dritte-Welt-Ländern.Das Gespräch führte Christof Potthof Christof Potthof ist Mitarbeiter des Genethischen Informationsdienstes (GID).
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