Es ist Bewegung im Netz

Bildungsstreik Anfangs vernachlässigten Studierende in Deutschland bei den Hochschulprotesten das Internet. Jetzt mobilisieren auch sie sich darüber. Wie wirkungsmächtig kann das sein?

Die Hochschulproteste haben ihre kritische Anfangsphase überstanden und stabilisieren sich – zu Beginn der Woche waren etwa sechzig Hochschulen besetzt und in vielen Fällen war ein Ende nicht abzusehen. Warum auch? Die Öffentlichkeit betrachtet die Blockaden mit Wohlwollen und das wachsende Unbehagen mit den Bologna-Modernisierungen begünstigt das Streik-Klima. Das durch die neue Regierung lauthals ausgerufene Wort von der „Bildungsrepublik Deutschland“ klingt noch in den Ohren – und muss sich nun einem „Reality Check“ unterziehen lassen.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten nutzen die Studierenden das Internet nun intensiver – der schnell wachsende Schilderwald auf der Google-Protestlandkarte wurde bereits mehr als eine Million mal angeklickt: die Streikstandorte vernetzen und motivieren sich über das Web 2.0. Unzählige Videos von Hörsaalbesetzungen, Vollversammlungen und Demonstrationen dokumentieren die Aktivitäten besser denn je, über Twitter werden Neuigkeiten rasch verbreitet – die Do-it-yourself-Öffentlichkeit im Netz ist so vielschichtig geworden, dass eine „digitale Wiedervereingung“ der Proteste über Portalseiten wie unsereunis.de und unibrennt.tv, Wikis oder Twitter-Listen wie „Das Thema Bildung brennt“ notwendig wird.

Auch Hashtags, Erkennungsmarken, wie #unsereuni, #unibrennt oder #bildungsstreik spielen eine große Rolle für den Zusammenhalt der digitalen Proteste. Von Österreich ausgehend haben sich diese Begriffe nachhaltig in Rankings wie Twitter Trends oder Dwitter eingenistet. Neben der Funktion der Erkennungsmarke in der Kurzmitteilungsflut können gut gewählte Hashtags auch zur Pointierung und Unterstützung eines Kampagnenanliegens beitragen – das beste Beispiel in Deutschland ist sicher #zensursula, das gleichermaßen als Erkennungsmerkmal und politische Aussage funktioniert hat.
Reichweite und Qualität der Portalseiten und anderer Integrations-Angebote dürften in den nächsten Tagen und Wochen die Wirkungsmacht der Protest-Kommunikation auch außerhalb des Netzes bestimmen.

Auf eine wesentliche Triebfeder der #zensursula-Kampagne wird der „Bildungsstreik“ dabei verzichten müssen: Eine Verdichtung des Konflikts durch herausragende Protagonisten wie bei der Debatte um die Internetsperren ist nicht in Sicht. Ein zusätzliches Problem ist die Politikverflechtungsfalle – eine Fokussierung der Proteste etwa auf Annette Schavan als zuständige Bundesministerin nimmt andere Akteure wie die Kultusminister oder auch die Hochschulen selbst aus der Schusslinie.

Einen Ansatzpunkt bieten könnte jedoch die Kultusministerkonferenz am 10. Dezember in Bonn: Gerade für flüchtige digitale Bewegungen sind solche Ankertermine wichtig – gut zu beobachten bei der Bundestagsabstimmung über das Zugangserschwerungsgesetz im Juni. Die Orientierung darauf erleichtert die konkrete Protestarbeit und eröffnet Spiel- und Diskussionsräume für neue Impulse: etwa eine digital organisierte Vorauswahl der besten Protestaktionen („Deutschland sucht die Superdemo“) oder eine „Rekrutierungs-Rallye“ – welche Hochschule bringt die meisten Teilnehmer nach Bonn?
Online ist die „Bildungsrepublik Deutschland“ bereits in Bewegung geraten – offline dagegen noch nicht.

Christoph Bieber ist Politikwissenschaftler am Zentrum für Medien und Interaktivität der Universität Gießen. Auf seinem Blog begleitet er die Proteste und hat er unter anderem eine "kleine Liste zu good practices im Hochschulprotest 2.0" zusammengestellt.internetundpolitik.wordpress.com

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