Das richtige Bild im Falschen

Medien Kann man die Welt verbessern, indem man für Boulevard-Zeitungen als Fotograf arbeitet? Kai Horstmann sieht da keinen Widerspruch. Porträt eines Paparazzos mit Anspruch

Das Wort hört er nicht gern. Kai Horstmann will nicht „Paparazzo“ genannt werden. Wenn er über seinen Beruf spricht, bevorzugt er die neutrale Formulierung „Pressefotograf“. Es komme zwar vor, dass er die Privatsphäre anderer verletze und sie gegen ihren Willen fotografiere, doch das „Paparazzen-Zeug“ mache nur einen kleinen Teil seiner Arbeit aus. Die Frage sei immer, wer da aus welchen Gründen abgebildet werde. „Auf das Ziel kommt es an: Menschen, die andere psychisch zerstört haben, sollten ohne Balken vor dem Gesicht in der Öffentlichkeit gezeigt werden.“ Er zählt Nazis, Stasi-Prominente und Sexualstraftäter auf. Beim Fotografieren denke er oft an die vielen Opfer von Misshandlungen und Folter, mit denen er gesprochen habe.

Horstmann arbeitet vor allem für Berliner Boulevard-Zeitungen. Er trägt ein Armband der Grünen mit dem eingravierten Wort „Weltverbesserer“, es ist nicht ironisch gemeint. Sein Vorbild sei Mahatma Gandhi, sagt er. Wie passen dessen Ideale der Friedfertigkeit und Genügsamkeit zu einer Tätigkeit, in der man Jagdinstinkt entwickeln muss? In der ein harter Konkurrenzkampf herrscht, die Achtung vor dem Menschen im Sucher manchmal auf der Strecke bleibt?

Übers Wochenende lädt Horstmann mich aufs Land ein. Seit einigen Jahren treffen wir uns in unregelmäßigen Abständen, nachdem wir uns eines Abends in einer Berliner Kneipe kennengelernt hatten. Die zwei Seiten seiner Persönlichkeit erstaunen mich immer wieder. Er denkt in einer sympathischen, manchmal naiven Weise streng moralisch – und übt doch einen Beruf aus, der für viele der Inbegriff des Schmutzigen und ethisch Fragwürdigen ist.

Das Widersprüchliche seines Wesens symbolisiert auch sein Auto: Es ist ein silberner Landrover, ein panzerartiges Gefährt, an dem er eine große Fahne mit dem Zeichen „Atomkraft? Nein danke“ befestigt hat. So auffällig gegen AKWs protestieren und zugleich eine rollende Umweltsünde fahren? Die Frage hört er öfter. Zweimal sei er schuldlos in einen Unfall verwickelt gewesen, einmal habe er nur dank des stabilen Autos überlebt. Ein Motorradfahrer war mit mehr als 120 Stundenkilometern vor die Kühlerhaube gekracht. Seitdem lege er mehr Wert auf Sicherheit, auch wegen der vielen Fahrten im Winter bei Glatteis. Beim Kauf des Autos habe er aber auf den Benzin-Verbrauch geachtet. Acht Liter pro hundert Kilometer würde ein kleineres Auto auch benötigen, sagt Horstmann. Soweit möglich, nutze er in Berlin das Rad; zur Buchmesse nach Frankfurt trampe er jedes Jahr.

Trampen und protestieren

Zwei Erfahrungen hätten ihn geprägt, erzählt er, während wir auf der Autobahn nach Norden fahren. Das Trampen und die Anti-Atomkraft-Bewegung. Beim Trampen sei ihm bewusst geworden, wie sparsam man reisen könne. Und dass es sich lohne, sich auf fremde Menschen einzulassen. Das noch prägendere Erlebnis war aber, als er mit 18 erlebte, wie Polizisten das Hüttendorf bei Gorleben stürmten und zerstörten. Wütend sei er gewesen und traurig, dass ihm keine Fotos, nur die Erinnerungen von den Lehmhütten blieben. Nach diesem Erlebnis beginnt er, sich für dokumentarische Fotografie zu interessieren.

Doch zunächst wird er zur Bundeswehr eingezogen. „Bei der Marine“, sagt Kai, „lernte ich, meine Überzeugungen zu vertreten. Ich zeigte offen, dass ich gegen die Bundeswehr bin.“ Brüllende Offiziere weist er darauf hin, dass er nicht schwerhörig sei. Er legt Wert auf Höflichkeit und muss deshalb häufig den Funkraum schrubben.

Auch in zivilen Berufen bekommt er Schwierigkeiten. Unter anderem weigert er sich als Fotoverkäufer, Kunden falsch zu beraten, um den Umsatz zu steigern. Das erste Foto, das er nach einer Ausbildung als Studiofotograf der Berliner Zeitung anbietet, kommt gleich auf die Titelseite. Horstmann spezialisiert sich auf Demos und vergisst dabei manchmal, dass er Neutralität zu wahren habe. Einmal sind ihm die Ziele der Demonstranten so sympathisch, dass er an einer Sitzblockade teilnimmt. Der Redakteur, der ihn auf den Bildern eines anderen Fotografen entdeckt, weist ihn darauf hin, dass er sich „nicht aktiv hinsetzen“ dürfe.

Seit der Gewalt beim Weltwirtschaftsgipfel in Genua trägt Horstmann bei gefährlichen Demos einen Helm. Ein Kollege, der darüber Witze machte, musste am gleichen Tag ins Krankenhaus gebracht werden. Horstmann überstand den Glasregen, der niederging, ohne Kratzer.

Abends sitzen wir am Grill und essen Steaks. „Ein guter Fotograf sieht Geschichten“, sagt Horstmann und nimmt einen Schluck Bier. Er gibt zu, dass es vorkomme, dass seine Fotos entgegen seinen Absichten eingesetzt werden. „Unehrlicher Journalismus macht den ehrlichen Journalismus unglaubwürdig.“ Redakteure, die ihre Geschichte schon im Kopf haben, bevor sie zu recherchieren beginnen, kann er nicht leiden. Eine Geschichte beginne für ihn oft erst, wo sie in den Medien ende.

Er entscheidet von Fall zu Fall, was er für vertretbar hält. Wenn einer türkischen Boxerin in die Knie geschossen wird, ruft die Redaktion ihn an und wünscht ein Bild von der Verletzten, möglichst im Krankenbett, möglichst innerhalb der nächsten zwei Stunden. Was tun? Wo ist die Schamgrenze? Wie weit darf er gehen?

Wenn er nicht bereit wäre, Gesetze hin und wieder elastisch zu deuten, könnte er in seinem Job nicht bestehen. Bei der Recherche seien kleine Tricks erlaubt, findet Horstmann. Den Stasi-Offizieren, die Anfang der neunziger Jahre öffentliche Ämter bekleideten, habe er sich als Fotograf vom Hohenschönhausener Stadtboten vorgestellt, nicht als Vertreter der Boulevard-Presse. Und Erich Mielkes Leibarzt habe er in dessen Praxis fotografieren dürfen, weil er über die Arzthelferin „Grüße von meiner Frau Mutter“ ausrichten ließ.

Fotos für Attac

Prominente Fotos sind ihm gelungen. So hat er den streng bewachten Tom Cruise bei den Dreharbeiten zum Film Operation Walküre heimlich im Wald fotografiert, was einem Heer anderer Fotografen nicht gelungen war. Über die Anzeige wegen Hausfriedensbruch, die er deswegen bekam, musste allerdings selbst die Polizei lachen.

Wie viele Strafanzeigen gegen ihn schon gestellt wurden, weiß er nicht genau. Die Anwälte der Zeitungen, in deren Auftrag er arbeitet, regeln das. Doch Horstmann arbeitet nicht nur für die Boulevard-Presse, sondern überlässt sein Bildmaterial auch kostenfrei politischen Gruppen, die ihm nahestehen – Attac oder dem Antifaschistischen Presse-Archiv „Apabiz“. Er engagiert sich, so zählt er auf, „gegen das Abholzen tropischer Wälder, für Land- und Umweltschutz, gegen Massentierhaltung, für die Unterstützung vom Aussterben bedrohter Völker und Kulturen“.

Und er ist überzeugt, dass man auch die Macht der Boulevard-Zeitungen für das Gute nutzen kann. Einen Jungen, der bei einem Wohnungsbrand schwer verletzt wurde, begleitet er über längere Zeit hinweg. Mit immer wieder erscheinenden Fotos gelingt es ihm, der betroffenen Familie zu helfen. Als dem Jungen die Sozialhilfe dann mit der Begründung gekürzt wird, er sei dank Spenden bereits bestens versorgt, erreicht Horstmann mit einer Foto-Reportage die Korrektur der Entscheidung.

Er wolle mit seinen Bildern zum Nachdenken anregen und Gewissheiten hinterfragen, obwohl kritische Selbstreflexion kaum zu den Primärtugenden der Boulevard-Medien zählt. In seiner Freizeit hat er sich ein weltweites Renten- und Sozialsystem ausgedacht, mit einem Mindestlohn von fünf Dollar für jede Tätigkeit, ganz gleich in welchem Land. Er habe mit Ökonomen gesprochen, das Modell könne funktionieren.

Es klingt durchaus glaubwürdig, wenn Kai Horstmann sagt, er wolle, dass die Welt besser und gerechter werde. Wenn da nur nicht manche seiner Fotos wären.

Christoph D. Brumme lebt als Schriftsteller in Berlin und hat im Freitag (6/11) zuletzt über russische Gangsterlieder und Underground-Dandys geschrieben

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