Dass Literaturpreise vor allem den Betrieb selbst feiern, ist allgemein bekannt. Zum Beispiel Klagenfurt: Das Wettlesen gerät immer stärker zum Selbstinszenierungstheater der Juroren, und vor der ersten Weißweinschorle im Garten des Schlosses Loretto mussten sich schon etliche Autorinnen und Autoren eingestehen, dass sie nicht viel mehr sind als eine intellektuelle – pardon – Masturbationsvorlage für KritikerInnen, deren Interesse naturgemäß mehr ihrer Außenwirkung als dem literarischen Vermögen ihrer Delinquenten gilt.
Dass Preise vor allem zu Ehren der Preisstifter ausgelobt und die Preisträger dabei zu notwendigen Marionetten degradiert werden, führte wie kein anderer Thomas Bernhard vor. Insgesamt 15 Preise wurden Bernhard zugesprochen, darunter der Julius-Campe-Preis, von dem Bernhard sich einen Triumph Herald kaufte (und zu Schrott fuhr), sowie der Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen, den er für sein Prosa-Debüt Frost erhielt und dessen Preisgeld er in den Kauf seines Vierkanthofes investierte. Ebenfalls für Frost erhielt Bernhard den Kleinen Österreichischen Staatspreis, für den er sich unter anderem mit den Worten „Der Staat ist ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern, das Volk ein solches, das fortwährend zur Infamie und zur Geistesschwäche verurteilt ist“ bedankte und damit den ersten handfesten Skandal seiner beginnenden Karriere auslöste. Der damalige Unterrichtsminister Theodor Piffl-Perčević verließ empört den Festsaal und weigerte sich kurze Zeit später, Bernhard den von der österreichischen Industriellenvereinigung gestifteten Anton-Wildgans-Preis zu verleihen, woraufhin die Verleihungszeremonie ausfiel und Bernhard die Urkunde per Post zugestellt bekam. Diese und weitere Anekdoten erzählt Bernhard in dem Band Meine Preise, der 2008 nach einem Vorabdruck in der FAZ posthum erschien und nun als Hörbuch vorliegt.
Die Perfidie der Preise
Die doppelte Perfidie, die hinter dem Verleihen von Literaturpreisen, vermutlich dem Verleihen von Preisen im Allgemeinen, steckt, hat Bernhard formuliert wie kein anderer. Zum einen giert der Künstler nach Anerkennung durch das (Fach-)Publikum, zum anderen will und darf er sich nicht durch private oder staatliche Institutionen vereinnahmen, schlimmstenfalls sogar korrumpieren lassen. So wundert es nicht, dass Bernhard die Verleihung des Kleinen Staatspreises für Literatur (er fühlte sich für den Großen Staatspreis „präpariert“, der für ein Lebenswerk verliehen wird – Bernhard war zum Zeitpunkt der Verleihung 37 Jahre alt) als „Strafe“, „Gemeinheit“ und „Niedertracht“ empfand und in einem Atemzug den Preis, die bisherigen Preisträger, das Publikum, die Jury und den Minister, der den Preis überreichte, aufs Unflätigste verunglimpft, um wenige Zeilen später zu bekennen: „Ich bin nicht gewillt, fünfundzwanzigtausend Schilling abzulehnen (...), ich bin geldgierig, ich bin charakterlos, ich bin selbst ein Schwein.“ Schließlich rechtfertigt er die Entgegennahme des Preises in einem dialektischen Argument bernhardscher Eleganz: „Nehme ich das Geld nicht für mich (...), wird es einer Niete in den Rachen geworfen, die nur Unheil anrichtet mit ihren Erzeugnissen und die Luft verpestet.“
Gelesen wird all dies von der angenehm krächzenden Stimme des ehemaligen Direktors des Wiener Burgtheaters und Ex-Intendanten des Berliner Ensembles, Claus Peymann. Peymann brachte nahezu alle Theaterstücke Bernhards auf die Bühne und wurde zu dessen paradigmatischem Regisseur. Noch heute gelten Peymanns Bernhard-Inszenierungen als maßgebende Modellinszenierungen, die nur wenig Raum für andere Regiekonzepte und Herangehensweisen lassen. Bernhard und Peymann lernten sich in den 60er Jahren kennen; Peymann, der in Deutschland vor allem durch die Inszenierung von Handkes Publikumsbeschimpfung in Bremen als erfolgreicher Theaterregisseur galt, avancierte in kürzester Zeit zu Bernhards bevorzugtem Regisseur. Gemeinsam provozierten sie die Theaterwelt und sorgten für handfeste Skandale, zuletzt 1988 mit Heldenplatz, drei Monate vor Bernhards Tod, das Publikum wie Gesellschaft gleichermaßen spaltete. Schon im Vorfeld der Uraufführung am 4. November kam es zu erheblichen Protesten, bei denen auch der heutige österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache höchst erregt Unflätigkeiten in Richtung Bühne skandierte.
In einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2016 antwortet Peymann auf die Frage, ob er Bernhards Freund gewesen sei: „Ich weiß es nicht“, und bezeichnet sich kurze Zeit später als „Bernhard-Witwe mit den typischen Witwenträumen“. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass es nicht einfach gewesen ist, Bernhards Freund zu sein: So berichtet Peymann im gleichen Interview von einem gemeinsamen Korsika-Urlaub, während dem man sich bereits am ersten Tag aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über die Essenszeiten gestritten hat und Bernhard erst das Hotel wechselte und dann die Insel verließ. Ausdruck dieser freundschaftlichen Zerrissenheit ist auch das von Bernhard für Peymann geschriebene Dramolett Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen, das die Absurditäten und Zwiespältigkeiten der Theaterwelt anhand real existierender, im Text jedoch fiktionalisierter Personen darstellt.
Frieren in Klarheit
Den großen Respekt, den Peymann vor seinem Autor noch immer empfinden muss, ist dessen Vortrag deutlich anzuhören; dann nämlich, wenn er die Zwischentöne des bernhardschen Textes herausmoduliert und so das Hadern Bernhards mit seinen Auszeichnungen, seinen Kränkungen und seiner Misanthropie nachvollziehbar macht. Als Surplus liefert der Verlag Roof Music die Originalaufnahmen zweier Dankesreden Bernhards. In der Ansprache für den Literaturpreis der Stadt Bremen, die wohl als die Eindrücklichste seiner Reden gelten kann und deren Wirkmächtigkeit sich aus ihrer klaren, kühlen Präzision speist, konstatiert Thomas Bernhard, im Jahr 1965 wohlgemerkt, dass Europa, das 50 Jahre zuvor noch das schönste Märchen gewesen sei, tot sei. Zum Ende der Rede hin verweist Bernhard auf das Programm, das sowohl seine Persönlichkeit, als auch sein literarisches Schaffen charakterisiert: „Wir sind von der Klarheit, aus welcher uns unsere Welt plötzlich ist (...), erschrocken; wir frieren in dieser Klarheit, aber wir haben diese Klarheit haben wollen, heraufbeschworen, wir dürfen uns also über die Kälte, die jetzt herrscht, nicht beklagen. Mit der Klarheit nimmt die Kälte zu.“ Dieser Kälte beim Denken zuzuhören, ist ungemein vergnüglich, unterhaltsam und dort, wo sie zutreffend ist, erschreckend zugleich.
Info
Meine Preise Thomas Bernhard gelesen von Claus Peymann, Roof Music, Bochum 2018, 3 CDs, 201 Min., 20 €
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.