Auch in den vielbeschworenen "Zeiten knapper Kassen", einer politsprachlichen Wendung, die vieles erklären soll, selbst das Unentschuldbare, auch in den Zeiten, wo Regierung und Kommunen einsparen und streichen, was immer streichbar ist - und wir alle wissen, am leichtesten lässt sich das kürzen, was wir am wenigsten zu benötigen glauben, was entbehrlich zu sein scheint, was der Gesetzgeber nur als allgemeine Pflicht anmahnt, aber nicht gesetzlich fordert und vorschreibt, die Kultur und die Kunst - auch in diesen Zeiten wird weltweit nicht an Repressalien gespart. Autoren und Bürgerrechtler - und Autoren sind insgesamt Bürgerrechtler, wenn sie ihre Arbeit und ihren selbst gegebenen Auftrag ernst nehmen, nämlich Bericht zu geben von dem Zustand ihrer Welt - werden nach wie vor verfolgt, inhaftiert, mundtot gemacht.
Der PEN versucht, ihnen zu helfen. Autoren, die in Deutschland leben, versuchen jenen Kollegen beizustehen, die unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten müssen, die man zum Verstummen bringen will oder gebracht hat. Die Autoren in Deutschland opfern dafür Zeit und Geld, sie fühlen sich dazu verpflichtet, weil Menschen anderer Länder deutschen Autoren halfen, als eine deutsche Regierung diese mit Schreibverbot und Mord bedrohte. Diese aus der deutschen Vergangenheit zwingend gebotene Hilfe ist jedoch gefährdet, wenn den deutschen Autoren die Lebensgrundlagen derart beschnitten werden sollen, dass sie ihnen eigentlich entzogen werden.
Ich möchte über Literatur und Kultur sprechen, ich muss über Geld sprechen.
Vor einem halben Jahr stellte die VG Wort, die in Zusammenarbeit mit dem Versorgungswerk der Presse eine Altersversorgung von Autoren aufgebaut hatte, dieses Programm ein. Autoren konnten bis zu diesem Zeitpunkt eine kleine monatliche Summe in diese Altersversorgung einzahlen. Diese eingezahlte Summe wurde mit einem Zuschuss versehen und half den Autoren, die finanziellen Lasten und Gefährdungen des Alters einigermaßen bestehen zu können. Wir alle wissen, dass die freischaffenden Künstler in diesem reichen Land in der Nähe der Armutsgrenze zu arbeiten haben und einige von ihnen unter dieser Grenze. Die Situation verschärft sich im Alter, es lassen nicht nur die kreativen Kräfte nach, es sinkt auch das Interesse der Abnehmer ihrer Kunst und das der Medien, die den neuen, jungen Talenten nachjagen. Die Auswirkungen dieser bereits erfolgten Einstellung der Arbeitsversorgung werden in wenigen Jahren dramatisch sein. Das reiche Deutschland wird zum Land der hungernden und verhungernden Dichter und Denker werden, sofern sie nicht zu der kleinen Gruppe der vom Staat beamteten, von Parteien, Universitäten und Medien gebilligten Dichter und Denker gehören.
Der Entschluss, die Altersversorgung einzustellen ist rechtlich fragwürdig, widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien, da sie eine Gruppe von Autoren begünstigt, nämlich jene, die heute über vierzig oder fünfzig Jahre sind und in den letzten Jahren die Möglichkeiten hatten, in diese Versorgung einzutreten, und benachteiligt die jüngeren und jungen Autoren, denen man diese Chance nicht gibt, nur weil sie heute noch jung sind.
Aber diese reiche Gesellschaft schreitet auf ihrem Weg zu einem möglichst vollständigen Künstlerverarmungsprogramm rasch voran. Nach dem Entwurf des "Haushaltssanierungsgesetzes" soll der Künstlersozialkasse der Garaus gemacht werden. Diese Künstlersozialkasse wurde erst 1983 geschaffen, sie soll jenen Selbständigen helfen, Vorsorge für Krankheit und Alter zu treffen, die hierzulande gewöhnlich durch alle Maschen des Wohlfahrtsnetzes fallen. Die Künstler haben - Arbeitnehmern vergleichbar - einen Beitrag einzuzahlen, und Bund und jene Unternehmen, die an der wirtschaftlichen Verwertung künstlerischer und schriftstellerischer Leistungen verdienen, hatten die andere Hälfte, gewissermaßen den Arbeitgeberanteil, einzuzahlen. Die Verwerter waren dieser Verpflichtung bisher nur unwillig gefolgt, da der von ihnen zu zahlende Anteil rechtsstaatlich nur bedingt begründet ist, wie das Bundesverfassungsgericht feststellte. Nur in Verbindung mit den Leistungen des Bundes war diese Art einer Solidaritätssteuer von dem höchsten deutschen Gericht akzeptiert worden. Wenn nun der Bund diese Mittel drastisch kürzt, wird das Bundesverfassungsgericht den riesigen Fehlbetrag nicht den unwillig zahlenden Verwertern aufhalsen, vielmehr droht, dass nun auch sie sich von der verhass ten Pflicht unter Verweis auf notwendige Sparmaßnahmen befreien können. Das könnte das Ende der Künstlersozialkasse bedeuten. Man dreht ihr den Hahn zu und erwürgt die Künstler.
Das Durchschnittseinkommen der bei der Künstlersozialkasse versicherten Künstler beträgt nach Angaben der Kasse 21.000 Mark im Jahr. Die Künstler in diesem Land können also, wenn sie sehr fleißig sind, erfolgreich, den Sozialhilfesatz der Bundesrepublik erreichen.
Diese Zahl ist jedoch falsch. Ich will nicht behaupten, dass die Künstlersozialkasse die Zahl bewusst gefälscht hat, sie müsste aber wissen oder doch ahnen, dass das reale durchschnittliche Einkommen der Künstler, auch der bei ihr versicherten Künstler, erheblich unter diesem niedrigen Einkommen liegt.
Das genannte Durchschnittseinkommen suggeriert, es sei das durchschnittliche Einkommen der Künstler in der Bundesrepublik, doch eine gesetzliche Beitragsbemessungsgrenze verschließt vielen Künstlern in Deutschland die Möglichkeit, Mitglieder dieser Kasse zu werden und dadurch eine geringe Vorsorge für Krankheit und Alter zu treffen. Andere geben ein höheres Jahreseinkommen an, als sie tatsächlich erreichen, um nicht aus dieser Minimalsicherung herauszufallen.
Zudem wurde und wird die Kasse miss braucht. Aus den zwölftausend Versicherten des Jahres 1983 und den geschätzten Versicherungsberechtigten, realistisch wurde mit dreißig- bis vierzigtausend gerechnet, wurden es über hunderttausend, die heute bei der Künstlersozialkasse versichert sind. Durch eine absurde und geradezu beliebige Erweiterung der Definition von Kultur und Künstlern hatte die Kasse alle aufzunehmen, die anderswo keine oder keine bessere Möglichkeit sehen, sich zu versichern.
Die Medienriesen nutzen die Kasse, um Sozialabgaben zu vermeiden. Ihre festen Mitarbeiter werden genötigt, als freie Mitarbeiter für sie zu arbeiten, die Künstlersozialkasse hat für die Alters- und Krankheitssicherung aufzukommen. Die reichen privaten Medien kassieren, ihre Kosten bürden sie der Allgemeinheit auf. Das ist ein asoziales Verhalten, staatlich erlaubt oder doch toleriert.
Inzwischen gibt es kaum noch freie Berufe in Deutschland, die nicht durch eine aberwitzige Logik eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse begründen können. Wer in der Fußgängerzone ein Wundermittel gegen alle Krankheiten verkauft oder einen Kochtopf für Linkshänder, muss wohl ein Künstler sein, denn die Künstlersozialkasse hat ihn zu versichern.
Mittlerweile haben auch die Kommunen diese Kasse als Möglichkeit entdeckt, Kosten zu sparen. So wurden Musiklehrer entlassen und als freie, bei der Künstlersozialkasse versicherte Mitarbeiter weiter beschäftigt. Das spart den Kommunen viel Geld, und all das belastet die Kasse, überfordert sie. Die Bundesregierung will das Übel nicht heilen, will nicht den Missbrauch beenden, sondern das ganze Gewächs mit der Wurzel ausreißen. Das wird den Schaden beseitigen und die Künstler in Deutschland eliminieren.
Es gab und gibt bisher keine nennenswerten Proteste, keinen Aufschrei der betroffenen Künstler, weder gegen den Abbruch der Altersversorgung von Autoren noch gegen die jetzt vorliegenden Pläne, die die Künstlersozialkasse zerstören werden. Es gibt keine Proteste, weil die Betroffenen so wenig verdienen, dass der kleine Beitrag für die Altersversorgung und die Krankenkasse sie heute bereits über Gebühr belastet. Dem Hungernden fällt es schwer, etwas für noch schlechtere Zeiten zurückzulegen.
Ich erinnere an den wunderbaren Kollegen Walter Mehring, den die Faschisten aus Deutschland vertrieben, der im Exil hungerte und nach dem Krieg hoffnungsvoll in die prosperierende Bundesrepublik zurückkam, um hier zu verhungern.
Bewahre uns alle der Himmel, auch vor dem Unglück ein Kind in diesem Land zu haben, das künstlerisch begabt ist und trotz unserer eindringlichen Mahnung sich nicht davon abhalten lässt, als Künstler zu arbeiten. Es gibt schwere, unheilbare Krankheiten, bei denen die Betroffenen in Deutschland bessere Lebenserwartungen haben.
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