Präzision und Charakter

Nachruf Gaus liebte es zu provozieren, um den Gesprächspartner zu nötigen, auf den Punkt zu kommen. Und in seiner nicht unfreundlichen, aber völlig ...

Gaus liebte es zu provozieren, um den Gesprächspartner zu nötigen, auf den Punkt zu kommen. Und in seiner nicht unfreundlichen, aber völlig entschiedenen Haltung signalisierte er seinem Gegenüber gelegentlich überdeutlich, dass er selbst schon längst jenes Gestade der Einsicht erreicht habe, zu welchem der andere noch unterwegs sei.

In seiner jahrzehntelangen TV-Sendung Zur Person legte er ausgesprochen und unausgesprochen immer ein moralisches Maß an den Befragten, was in den öffentlichen Medien selten und ungewöhnlich geworden war. Seine Gesprächsführung hatte die bei ihm gewohnte Insistenz, und doch wirkten seine Fragen zuweilen fast naiv, was bei einem Mann wie Gaus verwirrte und seine Gesprächspartner dazu brachte, nachzudenken, bevor sie seine überraschenden Fragen beantworteten.

Im privaten Gespräch liebte er die witzige Formulierung, die sarkastische, die ironische. Hier stellte er sich, wenn er einen ebenbürtigen Kombattanten fand, mit Lust sofort einem Schlagabtausch. Konnte er dabei anwesende Damen bezaubern, steigerte dies sein Vermögen.

Er liebte es, brillant zu sein. Und er liebte es durchaus, bestimmend zu sein, zu dominieren. Er schätzte Perfektion und hasste Geschwätz, und daher war er gern ein Chef. Um etwas ausrichten zu können, um sich durchsetzen zu können, um die für ihn wichtigen Tugenden bewahren zu können: Präzision und Charakter. Er liebte es, als Chef den dazugehörenden Theaterdonner zu inszenieren, um eine Diskussion zu beenden und um eine Entscheidung zu treffen, nach Möglichkeit seine.

Für ihn, einen patriotischen Demokraten, einen konservativen Linksliberalen, bedeuteten die Jahre, in denen er als erster Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der DDR akkreditiert war, wohl die Erfüllung eines Lebenstraums. In Ostberlin war er weniger als ein Botschafter und gleichzeitig mehr: er konnte an einer bedeutsamen und entscheidenden Stelle gesamtdeutsche Politik betreiben in einer Zeit, in der Westdeutschland den anderen deutschen Teil längst zu den Akten der Geschichte gelegt hatte und sich als vollständiges Deutschland begriff. Er arbeitete mit der Leidenschaft eines liberalen Demokraten an einem anderen Verständnis der Nation, für ein anderes Deutschland.

Er war Mitarbeiter und Chefredakteur wichtiger Zeitungen, zuletzt ein Herausgeber vom Freitag, dem Blatt, das ihm am nächsten stand, in dem er sich erkennen konnte.

Gaus war ein Demokrat. Ein so leidenschaftlicher Demokrat, dass ihn der Missbrauch der Demokratie auf das Äußerste erbitterte und verzweifeln ließ. Einem von Gruppeninteressen und Eigennutz verunstalteten und zur Karikatur werdenden Gemeinwesen kündigte er die Gefolgschaft auf. Gaus blieb unbequem, er war unbeirrbar und integer.


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