Der Ramadan ist ein ausgesprochen friedlicher Monat: Das Fasten während der Tagesstunden, die festlich, feierlich und fromm durchwachten Nächte - für viele ist das Anlass zu Ruhe und Lethargie. Andere fühlen sich in einer solchen Zeit regelrecht elektrisiert, den "Weg des heiligen Bemühens" (Dschihad) auf ihre eigene Weise zu deuten und zu gehen. So sind die Taliban und die Islampartei Hezb-i Islami dieser Tage hoch aktiv: Der Nachschub an Waffen nach Afghanistan verläuft reibungslos - und es gibt frisches Geld. Vor einem Büro in Pakistans Hafenmetropole Karatschi stehen 700 junge Menschen - die Hälfte davon Frauen -, um sich als Selbstmordattentäter für einen Einsatz im Nachbarland registrieren zu lassen.
In der pakistanischen Etappe sind die Taliban nicht nur mit rastloser Organisationsarbeit beschäftigt, sondern auch mit ihren Jeeps in aller Öffentlichkeit und bewaffnet unterwegs. Führungsmitglieder kontaktieren pakistanische Verbindungsoffiziere - wenn es sein muss, auch in Islamabad. Doppeltes Spiel der Pakistani? Sind sie - wie schon einmal - erklärte Partner der Gotteskrieger des Mullah Omar und zuverlässige Alliierte der USA? Offenbar genau das, denn es kann kaum Zweifel geben: Dies alles geschieht nicht nur mit Wissen und Duldung, sondern auch nach dem Willen der Amerikaner. Nachrichtendienstler würden von einer "komplett unverdeckten Operation" sprechen. Keiner der Beteiligten bemüht sich nur um einen Hauch von Geheimhaltung. Perves Muscharraf, Pakistans flexibler Staatschef, der praktischerweise auch General ist, hat es in seinem Memoirenbuch In The Line of Fire (In der Schusslinie) klar ausgedrückt: Wäre er den amerikanischen Freunden nicht zu Diensten, würden die sein Land ohne Zögern bombardieren.
Das Buch erschien vor vier Jahren, und der Präsident verschwieg darin rücksichtsvoll, dass die US-Vorbereitungen für den Angriff auf Afghanistan, der am 7. Oktober 2001 begann, in Pakistan bereits während des Frühjahrs 2001 anliefen. Das heißt, sie müssen in Washington selbst schon zu Beginn des Jahres 2001 beschlossen worden sein.
Derzeit wird viel über einen geheimen Vertrag spekuliert, den die pakistanische Regierung jüngst mit ausdrücklicher Genehmigung der NATO-Kommandeure in Afghanistan und unter Beteiligung der Taliban ausgehandelt haben soll. So jedenfalls will offenbar kein Geringerer als Präsident Muscharraf verstanden werden, wie der pakistanischen und afghanischen Presse zu entnehmen ist. Wichtigster Punkte dieses Agreements: Nord-Waziristan, Pakistans Grenzprovinz zu Afghanistan, hat seit dem 5. September eine offene Grenze zum Nachbarn. Die Taliban dürfen sich frei bewegen, mussten sich jedoch im Gegenzug dazu verpflichten, jegliche Gewaltakte einzustellen. Direkte Folge des Vertrages: Es gibt eine enorme Zunahme des kleinen Grenzverkehrs der Taliban, es gibt mehrere Galionsfiguren des islamischen Widerstandes, die sich offen in Waziristan niederlassen (auch wenn sie auf den Fahndungslisten der Amerikaner stehen), und ein Waffenstillstandsgebot, an das sich niemand hält. Vermutlich war Letzteres nie vorgesehen.
Glaubt man den offiziellen Erklärungen der pakistanischen Regierung, dann sieht sie im "Waziristan-Abkommen" augenscheinlich ein Modell für die gesamte Grenze mit Afghanistan. Für die Regierung Karzai brächte das einen Autoritätsverlust, der irreparabel sein dürfte, denn Afghanistan wäre dadurch faktisch geteilt.
Ein junger Banker in Kabul meint dazu, seine Geschäftsfreunde, er selbst auch, zögen langsam ihre mobilen Wertsachen aus Afghanistan ab. Das Vertrauen in die Regierung schwinde zusehends - Unsicherheit breite sich aus.
In der Bundestagsdebatte, die es jüngst zur Verlängerung des ISAF-Mandats gab, kamen diese Entwicklungen nicht zur Sprache. Verteidigungsminister Jung forderte zwar eine neue Strategie für Afghanistan - aber dass seine Generäle über die NATO daran längst mitwirken, vergaß er ebenso zu erwähnen wie Außenminister Steinmeier, der über die deutsche Botschaft in Kabul informiert sein müsste. Auch der "Sonderstab Afghanistan" im Berliner Auswärtigen Amt ist zu keiner Stellungnahme bereit.
Muss der Bundestag nun den Eindruck gewinnen, die Bundesregierung habe sie hinters Licht geführt? Immerhin hieß es vergangene Woche in Paris, Frankreich werde seine ISAF-Einheiten zurückziehen. Offiziell bestätigt wurde freilich nur, man überprüfe das gesamte militärische Engagement Frankreichs.
Christoph Hörstel kennt Afghanistan seit den achtziger Jahren aus eigener Anschauung und hat von dort besonders während der US-Intervention 2001 für die ARD berichtet. Er hält sich im Augenblick in Kabul auf.
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