Kein Grund zur Häme

Cyberkriminalität Unser Autor versteht, dass der „Hackerangriff“ nicht leicht zu verstehen ist
Ausgabe 02/2019
Bildschirmfoto vom „Adventskalender“ des Twitter-Nutzers, der sich das Pseudonym „G0d“ gab
Bildschirmfoto vom „Adventskalender“ des Twitter-Nutzers, der sich das Pseudonym „G0d“ gab

Foto: AFP/Getty Images

Was als „Hackerangriff“ am Morgen des 4. Januar in die Öffentlichkeit hereinbrach, endet fünf Tage später mit einer Pressemitteilung des BKA, ein Beschuldigter sei verhört worden und geständig. Noch nie wurden in Deutschland Daten einer so großen Anzahl öffentlicher Personen ausgespäht und veröffentlicht. Der Vorfall dauert in vielerlei Hinsicht noch an.

Es ist schwierig, den Sachverhalt zu bewerten. Während Bild-Chefredakteur Julian Reichelt noch über eine zweistellige Tätergruppe und Geheimdienstaktivitäten spekuliert, trifft die Nachricht vom BKA ein, dass der Täter geständig sei. Ein Heranwachsender, sieht sich als Einzeltäter. Von eintausend Opfern sind gut hundert ernsthaft betroffen. Und auch die Darstellung von „dem“ Hack als einheitlicher Tathandlung zerfällt: Einiges war öffentlich, vieles durch kleine, wenig professionelle Passwort-Hacks erspäht. Diesen deeskalierenden Verlauf nimmt die Geschichte auch bei der Expertise der Täter: Bei Beginn der Debatte sind Täter „Hacker“, am Ende werden sie „Skript-Kiddies“. Online hingegen bleibt alles beim „#hackerangriff“, da der Hashtag nicht reine Semantik, sondern auch ein Ordnungsmerkmal ist, das man schwer wechseln kann.

Aber kann man es Journalisten wirklich verübeln, den „Hackerangriff“ überall „auf die Eins“ zu bringen? Zur medial höchsten Alarmstufe kam es, weil der Sachverhalt zunächst eben diese Deutung zuließ. Das Problem ist eher: Weite Teile der politischen und medialen Sphäre hatten gar keine andere Deutung als den „Hackerangriff“ zur Verfügung, was auch gut an stereotypen Aufmacherbildern und TV-Hintergründen mit kriminellen Maskenträgern vor grünen Monitoren zu erkennen war.

Es war nicht Hacking, es war „Doxing“, aber was das kulturell ist, wissen nur wenige – und so war auch das Motiv, aus reinem Ego anderen zu schaden, für die Öffentlichkeit zunächst weniger naheliegend als der politisch motivierte Hack, der seit Trump ein Medienthema ist. Den Sachverhalt zu verstehen, blieb Subkulturen vorbehalten: der digitalen Youtuber-Szene, den „Sifftwitterern“, bestimmten Technik-Nerds sowie der 40 Jahre alten Hacker-Szene mit ihrer lösungsorientierten und popularisierten Sportsgeist-Kultur eines Chaos Computer Clubs.

Was kann man daraus lernen? Zum Ersten schreit der ganze Kasus nach einer Antwort auf die Frage, wie, wenn sich schon die Vorstellung einer Einheit von Gesellschaft als naiv erwiesen hat, wenigstens die grobe Kenntnis ihrer Teile voneinander hergestellt werden kann. Das müssten die Massenmedien leisten.

Zum Zweiten: Es gibt keinen Grund, die Aufregung nun durch Häme zu kontern. Der Bruch der digitalen Sphäre wirkt so tief auf das Opfer ein wie ein Einbruch ins Wohnzimmer, und die Unsichtbarkeit des Digitalen macht Angst. Wir müssen mehr davon verstehen – und dann würden auch Massenmedien Politiker, die Opfer sind, eher als Opfer und nicht nur als Politiker begreifen. Schließlich: Wer Lösungsvorschläge macht, muss nach dem Problem befragt werden. Ob es nun „Mehr Ressourcen für den Staat“, „Unternehmen müssen besser …“ oder gar der abwegige Vorschlag eines „Gegenangriffs“ waren, all diese Politiker-Reaktionen sind so plump wie zweischneidig. IT-Sicherheit kann man vorschreiben und zertifizieren, ja.

Aber niemand sonst als der Berechtigte selbst kann entscheiden, was er über sich an andere hergeben muss, damit diese ihm Zugriff gewähren.

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