In der Freitag-Debatte über die Zukunft des Sozialstaates hatten sich zuletzt Björn Böhning (SPD) und Benjamin Hoff (LINKE) für ein neues Crossover innerhalb der Linken eingesetzt. SPD, Linkspartei und Grüne sollten aufhören, "Brücken zueinander abzubrechen", und stattdessen aus ihrer rechnerischen Mehrheit politische Handlungsfähigkeit gewinnen. Eröffnet hatte die Diskussion der Ex-Juso-Vorsitzende Benjamin Mikfeld mit seiner These von der Auferstehung einer "vergangenheitsfixierten Zombie-Linken" um Oskar Lafontaine, die ihre sozialen Sicherheitsversprechen nicht in ein politisches Modernisierungs-, sondern ein "Rolle-Rückwärts-Programm" einbaue. In dieser Ausgabe schreiben der Sozialwissenschaftler Christoph Spehr, Fraktionsgeschäftsführer der LINKEN in der Bremischen Bürgerschaft, und Michael Jäger.
Manchmal wäre es schön, es ginge in der politischen Linken kulturell etwas aufgeschlossener zu. Um so erfreulicher ist es, dass die Freitag-Debatte um die Zukunft der Linken sich zu einer Debatte über die Figur des Zombies, des lebenden Toten, entwickelt hat. Damit ist mehr und Tieferes gesagt, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.
Der Zombie, wie wir ihn heute kennen, ist ein Kind der 68er Jahre. George Romero erschuf das Genre neu mit seiner legendären Trilogie, deren erster Film Die Nacht der lebenden Toten eben 1969 erschien, als die Studenten rund um die Welt die Erfahrung machten, dass aus dem Körper Blut fließt, wenn er in Straßenschlachten auf die Polizei trifft. Schon damals führte der Zombie in das dunkle Herz der Revolte, in ihre ganze Zwiespältigkeit und Macht. Er ist eigensinnig, unbelehrbar und unaufhaltsam. Für Romero ist der Zombie bis heute der Revolutionär schlechthin. Er ignoriert die Normen der Gesellschaft, auch die Normen der Vernunft und des vernünftigen Dialogs, weil die Gesellschaft ihm nichts mehr zu bieten hat. Er ist roh gegen sich selbst, weil er gelernt hat, dass die Sorge um sich selbst zu einer perversen Kette geworden ist, die ihn immer kleiner macht. Er benutzt seinen Körper als ein Instrument des Obszönen, das den "herrschenden Diskurs" zum Schweigen bringt, weil dieser die wirklichen Körper vergessen hat. Ein proletarisches Vorgehen, ja. Auch die feministische Bewegung kennt es. Jede soziale Bewegung arbeitet damit, entwickelt sich daraus. Und es ist genau das, was heute passiert.
Wer irgendwann einmal in den vergangenen zwei Jahren eine Debatte erlebt hat, bei der eine Frau oder ein Mann aufstanden und zu erzählen anfingen, die von Hartz IV betroffen sind, der weiß, was ich meine. Der Schleier zerreißt, es ist wie wenn ein schwerer Gegenstand herunter fällt und von nichts aufgehalten werden kann. Es entstehen Unsicherheit, Peinlichkeit, Obszönität. Menschen, die ein ganz normales Leben führten, werden binnen eines Jahres mit Armut infiziert, die ihre Existenz zerfrisst. Sie erzählen davon, wie lange sie brauchten, um zu erkennen, dass dies kein vorübergehender Zustand ist. Sie berichten, was es heißt, dass man sich um niemand anderen mehr als sich selbst kümmern, für niemand anders mehr etwas tun kann, und schließlich auch für sich selber nicht mehr. Sie "zeigen ihre Wunde", hätte Beuys gesagt, und die scheinbar vernünftige, aber völlig oberflächliche Diskussion im Raum bricht zusammen.
Das ist das Erste, was man sich klar machen muss. Die SPD wird so lange jede Nacht von Zombies heimgesucht werden, bis sie endlich kollektiv den befreienden Satz spricht: "Ja, Hartz IV ist eine Schande, wir haben einen Fehler gemacht, und wir werden ihn korrigieren." Ein SPD-Programm, wo das nicht drinsteht, ist nichts wert. Solange dieser Satz nicht fällt, gibt es kein Crossover, keine neue übergreifende linke Debatte, keine Koalitionsfähigkeit der SPD nach links. Und er muss deutlich fallen. Zombies sind nicht diplomatisch.
Das Zweite, was man sich klar machen muss, ist: Die Menschen haben der SPD geglaubt. Es hat sie überzeugt, dass das Land in die weltweite Standortkonkurrenz investieren muss, um nicht zurückzufallen; dass es die Großunternehmen mit günstigen Bedingungen an sich binden muss, weil sie sonst gehen. Dass flexiblere, billigere Arbeitskräfte notwendig sind, um diese günstigen Bedingungen zu schaffen - sie haben geglaubt, dies alles sei - trotz der Härten des Übergangs - der moderne Weg zum Wohlstand für alle. Viele haben es noch geglaubt, nachdem es sie selbst getroffen hat. Es würde besser werden. Aber es wurde nichts besser. Auch jetzt, unter den Bedingungen einer konjunkturellen Belebung, wird für die Abgehängten und Ausgegrenzten nichts besser. Und so erschöpfte sich die Geduld bei vielen. Sie kamen zu dem Schluss, dass das, was sie kaputt machte, nicht richtig sein konnte. Sie machten den Schritt von der willigen Leiche zum renitenten Zombie.
Viele davon haben die WASG und die neue Linke mit gegründet. Nicht nur Hartz-IV-Betroffene, auch Friedens-Zombies, die entweder darauf gewartet hatten, dass der Krieg irgendetwas Positives bringen würde, oder darauf gerechnet hatten, dass sich Meinungen in der Partei auch ändern ließen. Oder linke Zombie-Intellektuelle, die in der SPD Interessenvertretung und Kultur der Arbeiterschaft gesehen und gesucht hatten, aber erfuhren, dass die Arbeiterschaft in der "neuen Sozialdemokratie" ein Gegenstand der Verachtung, der Entsorgung ist.
Das Dritte, was man sich klar machen muss, ist: Der Zombie ist ein schwieriger Zeitgenosse, aber er ist nicht blöd. Er ist fixiert. Viele der politisch Enttäuschten sind extrem fixiert auf die SPD, auch in ihrem Hass. Der Zombie macht sich auch unbeliebt durch seine rigide Art, seinen Hang zum Zynismus und seine scheinbar geringe Neigung zur Selbstreflexion. Er hat, verständlicher Weise, wenig Lust alte Fehler wieder zu machen. Er ist begeistert und mitunter verführt von der Macht, die er ausüben kann, indem er seinen betroffenen Körper vorführt. Er frisst mit Vorliebe Modernisierungs-Ökonomen - die haben ihn in seine Lage gebracht.
Aber dem Zombie ist durchaus klar, dass das nicht ausreicht. Sonst würde er sich nicht organisieren. Sonst würde es, unter anderem, auch nicht die linke Partei geben. Im vierten Teil seiner Zombie-Trilogie, dem erst letztes Jahr gedrehten Land of the Dead, zeigt Romero Zombies, die sich organisieren und lernen. Die das Risiko eingehen, wieder etwas zu versuchen, wieder etwas zu empfinden, sich zu vergesellschaften. Es ist ein sehr anrührender Film. So wie es etwas sehr Berührendes hat, wenn an der Basis der neuen Linken darüber debattiert wird, wie es denn nun gehen soll. Die neue Linke ist in weiten Teilen tatsächlich auch eine Abendschule der Zombies: ein Ort, wo Würde wieder hergestellt wird und man sich Fragen stellen kann, die man mit Modernisierungs-Ökonomen nicht mehr diskutiert. Außer, sie geben zu, dass sie auch keine Antwort hatten, mit der sie heute noch leben könnten. Das ist der Punkt, an dem aus dem herrschenden Diskurs ein revolutionärer wird.
Das Interview mit George A. Romero I´ve always felt less sympathy for the humans, siehe
www.bbc.co.uk/films/ 2005/09/19/george_romero_land_of_the_dead_interview.shtml
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