Man hätte drauf kommen können: Der letzte Blogeintrag datiert vom 20. Oktober, Andrej Holm verweist auf einen Gastkommentar in der Berliner Zeitung. Anderthalb Monate keine News auf „gentrification blog“? Eigentlich postete der Berliner Stadtsoziologe immer zügig, wenn in Sachen Mieten- und Häuserkampf Relevantes zu analysieren war. Am 7. Dezember twitterte er „Vielen Dank für fast 20 tolle Jahre“ an die Studierenden der Humboldt-Uni, wo er lehrte und forschte. Deutschlands bekanntester Gentrifizierungskritiker wechselt die Seiten – Holm ist nun Staatssekretär im neuen rot-rot-grünen Berliner Senat, an der Seite von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei). Das ist ungewöhnlich und ein Experiment – nicht so sehr, weil er als Soziologe Gentrifizierung ins Visier nahm, sondern weil er es auch als Aktivist gemacht hat. Wo immer sich Mieterinitiativen gründeten oder linke stadtpolitische Kongresse einluden – Holm kam und lieferte empirisches und analytisches Rüstzeug, um sich gegen Bodenspekulation, Mieterhöhungen und Verdrängung zu wehren. Und so einer wird der wichtigste politische Beamte der Berliner Stadtentwicklungssenatorin? Das versuchte die Berliner CDU – mit Schützenhilfe von Hubertus Knabe, Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen – noch zu verhindern. Denn Holm hat eine Stasi-Vergangenheit: Der heute 46-Jährige ließ sich im September 1989, 18-jährig, vom MfS als Offiziersschüler anstellen. Zum Spitzeln kam er nicht mehr, in den vier Monaten bis zum Ende des MfS absolvierte er eine militärische Grundausbildung. Dennoch wäre es, so Knabe, „für die Opfer ein fatales Signal, wenn Rot-Rot-Grün einen Mann mit dieser Biografie in den Senat beruft“.
Der Boom der Immobilien
Ein fatales Signal ist die Personalie zuvorderst für die, die auf dem boomenden Berliner Immobilienmarkt Profit machen mit dem, was Holm „rent gap“ zu nennen pflegt, die in Berlin äußerst profitable Lücke zwischen Mieten bei Ankauf und Wiedervermietung einer Immobilie. Der Koalitionsvertrag sei eine „Orgie an Einschränkungen von Eigentumsrechten“, pestete ein Vorstandsmitglied des Immobilienunternehmens Accentro, dessen Kerngeschäft darin besteht, Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Unfreundliche Kommentare gab es auch vom Immobilienverband Deutschlands. Tatsächlich liest sich der Beitrag, mit dem Holm seinen „gentrification blog“ vorläufig abschloss, wie eine Kampfansage: Der Berliner Senat habe in den letzten Jahren „kein Interesse“ gehabt, „sich mit Eigentümern, Investoren und Spekulanten anzulegen“, schreibt er. „Im Glauben an die angeblichen Segnungen des Wachstums war die Angst davor, Investoren abzuschrecken, größer als die Bereitschaft, die Spekulation auf steigende Mieten und Umwandlungsgewinne einzuschränken.“
Dass sich Immobilienunternehmen davon abschrecken lassen, die Wohnungsbestände profitabel auszuweiden, mag für die einen Menetekel und die anderen Hoffnung sein – aber kann das überhaupt passieren? Hat ein Staatssekretär den Einfluss, Spekulation zu verhindern? Nicht immer und überall. Aber ein paar Hebel gibt es. Und hätte Holm nicht als Mitstreiter von Initiativen wie Kotti & Co. oder dem Berliner Mietenvolksentscheid detailgenau aufgezeigt, wo die sitzen, weder Grüne noch SPD hätten sich auf einen Staatssekretär Holm eingelassen.
Zum Beispiel bei der desaströsen Berliner Sozialwohnungsbaupolitik: Seit den frühen 70ern ließ der Senat über Förderprogramme Sozialwohnungen bauen, mit denen sich private Anleger und Wohnungsbauunternehmen nicht nur ihre Eigenanteile via Steuerabschreibung zurückholen konnten, sondern die Berlin über Jahrzehnte eine irrwitzige Zinslast aufdrückten, weil den Investoren eine „Eigenkapitalrendite“ von bis zu 6,5 Prozent per „Aufwendungshilfe“ garantiert wurde. Mit dem Ergebnis: Den Anlegern wurde teilweise das Mehrfache der Erstellungskosten gezahlt, die öffentliche Hand muss absurde Kostenmieten heruntersubventionieren. Die Vorgängerregierungen haben versucht, sich des Problems durch Privatisierung und Zurückfahren der Subventionen zu entledigen. Das Resultat waren nicht zuletzt Mieterproteste, die zu einem Volksentscheid über das Berliner Wohnraumversorgungsgesetz hätten führen können, wenn der Senat nicht Teile der Initiativenforderungen übernommen hätte.
Die finden sich nun auch im Koalitionsvertrag in Formulierungen wie „Überführung des sozialen Wohnungsbaus vom Kostenmietsystem in ein System der einkommensorientierten Richtsatzmiete“, was heißen soll: Statt den Habenichtsen und Geringverdienern immer höhere Sozialmieten aufzudrücken, sollen sich die Mieten am Einkommen orientieren. Auch will der neue Senat verhindern, dass Sozialwohnungen aus der Bindung fallen, weil die Privateigentümer vorzeitig ihre Darlehen zurückzahlen – indem man die zulässige Miete auf 5,75 Euro pro Quadratmeter begrenzt. Und man gelobt, Sozialwohnungen zurückzukaufen, bis 2021 soll Berlin 55.000 Wohnungen mehr besitzen. Um das zu zahlen, wird der Schuldendienst Berlins drastisch reduziert. Der Umbau der Landeswohnungsunternehmen und die Aufstockung ihres Eigenkapitals, die Einrichtung eines Wohnraumförderfonds, das Ende der Privatisierung von Immobilien und Grundstücken der öffentlichen Hand: Das Stadtentwicklungsprogramm wimmelt von Absichtserklärungen, die augenscheinlich die linken stadtpolitischen Initiativen den Koalitionären in die Feder diktiert haben. Und deren kompetenteste Fachkraft ist nun mal Andrej Holm.
Das ist die eigentliche Botschaft der Berufung: Nicht ein irrer Radikalinski will Revolutionsträume durchdrücken, Holm hat in vielen Runden mit Senatsvertretern präzise vorgebetet, dass es Alternativen gibt, zur neoliberalen Marktlogik und zur Politik des Wegschauens. Dass nun die Stunde des Andrej Holm schlägt, mag der Einsicht geschuldet sein, dass es in der Politik an Leuten fehlt, die die politische Ökonomie der Stadt durchdrungen haben.
Immer höhere Sozialmieten
Ein Angriff auf die freie Entfaltung der Marktkräfte ist Holms Berufung allemal. In keiner deutschen Metropole können es sich Stadtregierungen leisten, wegzuschauen, wenn es um Gentrifizierung geht, auch in München, Köln, Hamburg oder Bremen braucht es Maßnahmen, die das Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes verhindern und dafür sorgen, dass auch das geringverdienende Bodenpersonal der Städte eine Bleibe findet. In Hamburg setzt die rot-grüne Koalition auf Neubauten – und versucht die Wohnungswirtschaft und die stadteigene Wohnungsgesellschaft verzweifelt dafür zu gewinnen, Behausungen zu bauen, die nicht schon in der Erstellung 14 Euro netto kalt kosten. Holms Botschaft war immer: Gegen das, was eine neoliberal entfesselte Immobilienwirtschaft mit bestehenden Wohnungen anrichtet, lässt sich kaum anbauen. Die Lösung liegt im Bestand und nicht – jedenfalls nicht nur – im Neubau. Sollte Berlin es schaffen, eine soziale Wende in der Wohnungspolitik umzusetzen, werden Holms Ideen bundesweit Modellcharakter bekommen. Gerade deshalb werden die Immobilienlobby und die ihr nahestehenden Parteien versuchen, ihn zum Yanis Varoufakis der deutschen Stadtentwicklungspolitik zu machen.
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