Besetzer sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Lange hatte die Szene angekündigt, Ende August in Hamburg die „Squatting Days“ abzuhalten. So ein Hausbesetzercamp sei „eine gute Gelegenheit, gemeinsam das Eigentum in Frage zu stellen“ und „mit dem Staat in Konflikt zu geraten“, hieß es in der Einladung. Nach langem Gezerre um einen Ort für das Camp schlugen Hamburgs Behörden einen kleinen Park in Altona als Austragungsort vor – zum Sondernutzungspreis von rund 2.000 Euro. Die Veranstalter klagten, dass eine solche Gebühr „politische Teilhabe vom Geldbeutel abhängig“ mache und dass „solche Räume erkämpft werden müssen“. Doch dann unterschrieben sie brav den Vertrag und bezahlten.
Wie immer im Leben gibt es auch hier keinen Grund zur Überheblichkeit. Die Genossinnen und Genossen Hausbesetzer wollten in Ruhe campen und sich nicht mit der Polizei herumschlagen. Verständlich, oder? Und doch erzählt der Fall einiges über Deutschland im Jahr 2014: Zwar gibt es immer wieder kurze, symbolische Besetzungen von leerstehenden Immobilien – doch in den allermeisten Fällen sind es die Besetzer selbst, die das Feld räumen, wenn eine gewaltsame Räumung durch die Polizei droht. Status: Man müsste eigentlich mit den Hausbesetzungen, mit dem Kampf um unsere Städte endlich mal wieder Ernst machen!
Es ist längst Allgemeingut: Die Immobilienmärkte der westdeutschen Metropolen sind überhitzt und selbst Normalverdiener finden kaum noch eine bezahlbare Behausung; vom migrantisch-proletarischen Bodenpersonal mal ganz abgesehen. In München ist gerade mal ein Prozent der Mietwohnangebote für einkommensschwache Familien finanzierbar, wie eine bundesweite Studie der empirica AG 2013 feststellte. In Düsseldorf und Hamburg sind es zwei, in Berlin sieben Prozent. Familien mit einem Durchschnittseinkommen können sich in Hamburg oder München nur jede neunte Wohnung leisten, in Berlin ist es noch knapp ein Drittel. Tendenz fallend. Angesichts der Lage fragt man sich, warum nicht massenhaft Menschen das Stemmeisen schultern und dem nächstgelegenen Leerstand, den digitale Leerstandsmelder tausendfach anzeigen, zu Leibe rücken.
Alle reden vom Besetzen. Kaum jemand macht’s. Warum? Dafür hat der Stadtsoziologe Andrej Holm eine einfache Erklärung: Nur dann, wenn zumindest zeitweise echte Verwertungsoptionen für Immobilien fehlen, wird es möglich, dass Menschen massenhaft Häuser besetzen. Genau das aber ist in den Boom-Metropolen so gut wie nicht der Fall; anders als im Westberlin der Achtziger oder im Frankfurt/Main der Siebziger. Da wurden ganze Altbau-Straßenzüge für abrissreif erklärt. Ähnliches passierte auch in den späten Jahren der DDR. Die letzte große Besetzung war die des Hamburger Gängeviertels im Sommer 2009 – ein ziemlich unmilitantes Unikat.
Überall Bionade-Biedermeier
Das Besetzerethos vom selbstverwalteten Freiraum jenseits der Verwertbarkeit ist längst aus der linken Szene in die Mitte der Gesellschaft gewandert. Auch der Spiegel vergibt mittlerweile einen „Social Design Award“. Je weiter Gentrifizierung, Segregation, Eventisierung und Touristifizierung voranschreiten, desto gefragter sind handgemachte Nischen: Der nachbarschaftliche Guerilla-Garten, der Pfandring an der Straßenlaterne, die Seedbombs und die Recycling-Stadtmöbel. Lastenfahrräder, Coworking-Spaces, Giveboxes, Critical Mass, Reclaim The City- oder die Fablab-Bewegung. Im medialen Bild verschwimmen Bionade-Biedermeier und Grassroots-Aktivismus zu einem und produzieren das perfekte Image einer Stadt, die irgendwie von allen gemacht wird. So freut sich Hanno Rauterberg in seinem Suhrkamp-Essay Wir sind die Stadt: „Das urbane Ego ist nicht asozial, es vernetzt, verbindet sich – und die Digitalmoderne verstärkt diese Sozialität von Ein- und Anbindung“.
All diese Projekte können nun wenig dafür, wenn ihr kapitalismuskritischer Charakter weggelobt wird. Gleichzeitig liefern sie tragischerweise genau jene Togetherness-Bilder, die es für die Stadtvermarktung heute braucht. Überspitzt ausgedrückt: Je unbarmherziger der Immobilienmarkt jene aussortiert, die sich die Stadt nicht leisten können, desto gefragter sind Projekte, die zumindest symbolisch-bildhaft einen Ausgleich schaffen. Die Nische, das Zwischennutzungsprojekt mit Community-Aura wird zum Muss der neoliberalen Metropole.
Initiativen, die sich in die Mühe der Ebenen begeben, bekommen von diesem Aufmerksamkeitskuchen wenig ab. Die Initiative Kotti&Co. aus Berlin-Kreuzberg etwa – einer der erstaunlichsten Fälle von Mieter-Selbstorganisation – findet fast nur in der Lokalpresse statt. Im Unterschied zu den meisten Recht-auf-Stadt-Initiativen sind hier nicht linke, deutsche Akademiker unter sich, sondern der Protest geht von den meist türkischstämmigen Mietern aus, vor allem von den Frauen. „Wo hat man das schon mal gesehen, dass Kopftuchfrauen auf Demos das Fronttransparent tragen“, sagt Taina Gärtner, Ex-Hausbesetzerin und Kotti-Aktivistin.
Genauso erstaunlich ist, dass sich hier eine Expertise gebildet hat, die ihresgleichen sucht. „Wir sind nicht die ahnungslosen Mieter, die bloß fordern, dass es billiger wird und uns von den Politikern erklären lassen, wie der Hase wirklich läuft. Es ist genau umgekehrt“, sagt Gärtner. Zusammen mit anderen organisierte Kotti&Co. im Jahr 2012 im Berliner Abgeordnetenhaus ein Hearing, in dem bei den Abgeordneten erstmalig das spezielle Problem des Berliner Sozialwohnungsbau-Skandals aufgeblättert wurde: Wie es die Fördersystematik in den Siebzigern und Achtzigern erlaubt hat, dass private Bauherren von Sozialwohnungen horrende „Kostenmieten“ berechnen durften – im Schnitt von 13 Euro pro Quadratmeter – und wie die Stadt diese mafiösen Mieten dann auf Sozialniveau heruntersubventioniert hat.
Neubau ist keine Lösung
Diese Fantasiemieten kassieren die Vermieter der Wohnburgen am Kottbusser Tor immer noch, obschon sich ihr Bau längst zigfach rentiert hat und die Eigentümer zum Teil mehrfach gewechselt haben. Vor einigen Jahren hat der Berliner Senat nun beschlossen, die Subventionen sukzessive zurückzufahren. Das aber führt zu der grotesken Situation, dass Berliner Sozialwohnungen oft teurer sind als frei vermietete. Für die meist türkischstämmigen Mieter bedeutet das, dass sie aus Kreuzberg herausgedrängt werden.
Die Botschaft von Kotti&Co. ist klar und längst ist ihr Anliegen zu einem grundlegenden Reformvorhaben geworden: Gegen Gentrifizierung und Knappheit bezahlbarer Wohnungen kann man kaum anbauen. Solche Neubauversprechen sind angesichts der horrenden Grundstückspreise, steigenden Baukosten und teuren Klimaschutzauflagen eher ein Placebo. „Freifinanzierter Neubau kann bestenfalls den Druck auf den Wohnungsmarkt abschwächen“, schreibt der Stadtforscher Sigmar Gude. „Eine Entspannung im unteren Wohnungsmarktsegment durch Wohnungsbau ist nicht ohne einen hohen Anteil öffentlich geförderter Neubauten möglich.“ Genau der aber wird nirgendwo gebaut.
Kurzum: Neubau ist keine Lösung, das fordert auch Kotti&Co.. Der Bestand an preiswerten Wohnungen muss gesichert und ausgeweitet werden, so Gude: „Es ist nicht nur ökonomischer, Bestandswohnungen für die soziale Wohnungsversordung zu sichern, als neu zu bauen. Es könnten zudem diese Bestände auch langfristig preiswert erhalten werden, wenn Ressourcen der Selbstorganisation und Selbsthilfe zusätzlich aktiviert werden.“
Und was machen die Hausbesetzer? Dass Squatting nicht aus der Mode kommt, dafür sorgen zur Zeit eher die Flüchtlinge, die in deutschen Städten protestieren. Der Widerstand gegen die Räumung der Schule an der Ohlauer Straße in Berlin hatte nicht nur die Hauptstadt tagelang in Atem gehalten. Anfang Oktober besetzten sie acht Tage lang das DGB-Haus am Berliner Wittenbergplatz, zwei Wochen davor war eine Gruppe von 100 Flüchtlingen in die Kreuzberger Thomaskirche eingedrungen – und brachte damit die Kirche dazu, ihnen zumindest 60 provisorische Schlafplätze zur Verfügung zu stellen. Berlins Innensenator Henkel sprach von „erpresserischen Gruppierungen“, die „auch das letzte Maß verloren haben“. Ein Tirade, in der viel unangenehme Wahrheit liegt. Denn maßvoll Häuser zu besetzen, das geht eben nicht.
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