Ein kleines Hinterhofbüro mitten im Regierungsviertel von Berlin. Drei Tische, drei Laptops, eine kleine Hifi-Anlage und eine Menge bunter Flyer. Filip Nohe und zwei weitere Aktivisten vom Demokratie-Netzwerk Egality koordinieren aus dem Herzen der Hauptstadt ihre „Electoral-Rebellion“-Kampagne. Ihr Ziel: Eine globalisierte Demokratie. Ihr Mittel: Die Stimmen zur Bundestagswahl. Über Facebook verschenken sie und andere Teilnehmer ihre Stimme an Menschen im Ausland, damit diese eine Chance zur Mitsprache bekommen.
der Freitag: Herr Nohe, was hat ein Grieche davon, in Deutschland wählen zu können?
Filip Nohe: Er ist direkt betroffen von der Politik, die in Deutschland gemacht wird. Denn die griechische Regierung wird unter anderem von Deutschland zu strengen Sparauflagen gezwungen. Grundsätzlich finden wir, dass jeder das gleiche Mitspracherecht haben sollte bei Entscheidungen, die sie oder ihn betreffen. Das ist kein rein europäisches Problem, das gilt weltweit. Der IWF beispielsweise hat in vielen Ländern ziemlich starken Einfluss auf die Politik, da muss man genau schauen, wie Entscheidungen im IWF getroffen werden und wer die Macht hat. Insgesamt haben wir alle viel zu wenig Einfluss auf die internationale Politik, da viele Institutionen sehr intransparent und nicht rechenschaftspflichtig sind.
Löst eine Teilnahme an der deutschen Wahl denn das Problem?
Nein, aber es ist ein Zeichen. Wir protestieren dagegen, dass es keine andere Möglichkeit für die Griechen gibt, vernünftig mitzureden. Natürlich ist es ein harter Schritt für uns, die Stimme zu verschenken. Es ist ein Akt der Verzweiflung. Und natürlich werden die Stimmen aus Griechenland keinen wirklichen Einfluss bei der Zusammenstellung der deutschen Regierung haben. Die Gruppe, die mitmacht, ist relativ klein. Aber sie bekommt ein Gehör und kann seine Position darstellen. Und sie sehen, dass es in Deutschland Leute gibt, die nicht einverstanden sind mit der aktuellen Politik. Das ist vielleicht der größere Mehrwert als der Einfluss bei der Wahl.
Aber ist es nicht auch eine Entmündigung deutscher Bürger?
Ja, auf jeden Fall. Und es fällt mir auch nicht leicht, meine Stimme herzugeben. Das haben uns auch andere Teilnehmer geschrieben. Das zeigt aber das grundlegende Problem der Entmündigung: Andere Leute dürfen nicht über Politik mitbestimmen, die sie betrifft. Das, was wir machen, ist definitiv keine vernünftige Lösung. Doch auf der anderen Seite steht die Reaktion von den Leuten, die die Stimme bekommen. Gerade viele Spanier schätzen die Aktion, sie haben sich schon intensiv mit deutscher Politik beschäftigt, kennen Kandidaten und Parteien. Mehrere haben gesagt, dass ihnen diese Wahl wichtiger sei als die des spanischen Ministerpräsidenten. Das ist beeindruckend.
Nicht alle Länder sind direkt von deutschen Entscheidungen betroffen. Griechenland ist derzeit ein extremes Beispiel. Glauben Sie, jeder Mensch auf der Welt hat ein Interesse an der Wahl am Sonntag ?
Sicher ist es so, dass das Interessen aus manchen Ländern größer ist als aus anderen Ländern. Aber es geht nicht darum, wie viel direkten Einfluss die deutsche Regierung auf jedes einzelne Land hat. Sondern, dass Politik heutzutage global stattfindet, über Grenzen hinaus, und dass Mitsprache auch global stattfinden muss. Die Wirtschaft ist globalisiert, Problemen wie Klimawandel lassen sich nicht national lösen. Deshalb brauchen wir eine Möglichkeit, internationale Politik auch demokratisch zu gestalten.
Fordern Sie ein Mitspracherecht bei Wahlen in anderen Ländern?
Ja, wir würden sehr gerne bei den nächsten Wahlen in den USA eine ähnliche Aktion machen. Der amerikanische Präsident hat extrem viel Macht, ein Veto im Sicherheitsrat, das mächtigste Militär der Welt – da würde es für uns Sinn machen. Allerdings auch im Rahmen einer Protestaktion. Es ist nicht das Ziel, dass die ganze Welt den US-amerikanischen Präsidenten wählt. Man soll eine Debatte auslösen, zum Nachdenken anregen.
In Deutschland haben viele kein Interesse an der Wahl. Sie fordern nun weitere Abstimmungen auf globaler Ebene – wäre das überhaupt sinnvoll?
Es kommt drauf an, was oder wen man wählt. Bei Problemen, die auf globaler Ebene relevant sind, wäre es sinnvoll. Beispielsweise beim Klimawandel, bei Rüstungspolitik oder der Regulierung der Finanzmärkte. Diese Themen würden wahrscheinlich viele ansprechen und interessieren.
An wen haben Sie Ihre Stimme verschenkt?
An einen Teilnehmer aus Israel. Er hatte schon Anfang des Jahres bei einer ähnlichen Aktion teilgenommen und seine Stimme an einen Palästinenser verschenkt.
Wen will er wählen?
Das hat er mir noch nicht gesagt. Bis Sonntag hat er ja noch Zeit.
Egality ist ein weltweites Netzwerk mit Aktivisten in Großbritannien, Israel, Deutschland und Mexiko, das die Demokratie auf einer globalen Ebene stärken will. Die Aktion "Electoral Rebellion" ist die dritte ihrer Art. Schon 2010 veranstaltete Egality eine ähnliche Kampagne in Großbritannien, bei der tausende Menschen ihre Stimme an Menschen in Afghanistan, Bangladesch und Ghana verschenkten. Anfang 2013 folgte die zweite Aktion: Isrealis gaben ihre Stimme an Palästinenser.
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