Klein, aber unfein

Bildung Es zeichnen sich Verbesserungen für Studierenden ab: Das Bafög soll sich endlich an der Realität orientieren. Doch der Plan hinkt weiter dem Wandel an den Unis hinterher
Ausgabe 47/2013

Nachdem Sarah Hiller die Mail gelesen hatte, zögerte sie kurz. Dann klickte sie auf Antworten und hämmerte auf die Tasten ihres Laptops ein. Wut und Verzweiflung krochen in ihr hoch.

Hatte Hiller nicht alles richtig gemacht? Nach sechs Semestern hatte sie ihr Geschichtsstudium in Hamburg abgeschlossen. Nur etwa jeder zweite Student schafft es in der Regelstudienzeit, viele brauchen ein bis zwei Semester länger. Hiller hat sich durch die letzten Monate gekämpft: zwei Hausarbeiten, eine Klausur und die Abschlussarbeit, alles pünktlich eingereicht, ihr Notenschnitt liegt bei 1,5.

Nebenbei arbeitete sie 14 Stunden pro Woche bei einer PR-Agentur. Sie brauchte das Geld; ihr Vater ist Frührentner, ihre Mutter Krankenschwester. Sie können monatlich nicht viel Geld an die Tochter überweisen. Zusätzlich bekommt sie Bafög. Zu Beginn des Studiums noch 597 Euro, gegen Ende nur noch 137 Euro, weil ihre Mutter etwas mehr verdiente. Besser als nichts. Doch jetzt las sie in der Mail ihrer Sachbearbeiterin: Für die ersten Monate im Masterstudium wird es vorerst keine Unterstützung geben. Der Prüfer hat die Bachelor-Arbeit noch nicht korrigiert, dies kann zwei bis drei Monate dauern. Deswegen hieß es nun in der Mail vom Bafög-Amt, die Studentin könne „die Förderung für den Master erst erhalten, sofern der Bachelor vollständig abgeschlossen vorliegt.“

Das Bafög-System hinkt hinterher

Hiller, die eigentlich anders heißt, wurde nicht dafür belohnt, besonders schnell im Studium zu sein. Sie wurde bestraft. Schuld sind zwei kleine, aber bedeutende Wörter: „vorläufig zugelassen“. Stehen, wie im Fall Hiller, noch einige Noten aus dem Bachelor aus, werden die Studenten im Master-Studiengang nur vorläufig eingeschrieben. Sie müssen innerhalb einiger Wochen die letzten Scheine nachreichen. Offenbar kein Einzelfall: An der FU Berlin starten 60 bis 70 Prozent der Studenten nur vorläufig ins Masterstudium, an der TU waren es vor zwei Jahren rund 80 Prozent.

An deutschen Hochschulen sind heute neun von zehn Studiengängen auf jenes Bachelor-Master-System umgestellt, das vor elf Jahren im Rahmen des Bologna-Prozesses europaweit eingeführt wurde. Für die Unis ist der Übergang weniger ein Problem, für das Bafög-System hingegen schon. Es hinkt diesem Wandel hinterher.

Die Übergangs-Lücke ist einer von vielen Fehlern, die sich durch das Gesetz ziehen. SPD und Union haben während der Koalitionsverhandlungen beschlossen, einige dieser Mängel zu beheben. Die Lücke soll geschlossen werden, dazu soll die Ausbildungsförderung auch für Teilzeitstudenten geöffnet werden. Außerdem sollen Bafög-Satz, Elternfreibeträge und Wohnzuschuss „spürbar“ erhöht werden, entschieden die Politiker der Arbeitsgruppe Bildung auf ihren Treffen. Es wäre die erste Aufstockung seit drei Jahren.

Nur ein Reförmchen, nur Feinjustierung

Von einer „umfassenden Reform“, die CDU-Bildungsministerin Johanna Wanka noch im März 2013 ankündigte, ist jedoch wenig zu spüren. Die Politik verharrt in der Feinjustierung, anstatt grundlegende Schritte zu wagen. Dem Deutschen Studentenwerk gehen die Änderungen nicht weit genug. „Wir brauchen eine Finanzierungsarchitektur für das lebenslange Lernen“, sagt Geschäftsführer Achim Meyer auf der Heyde. Die Altersgrenzen müssten abgeschafft werden. „Mehr Berufstätige sollen die Möglichkeit haben, zu studieren.“

Auch bei den Studierenden kommen die Pläne von Union und SPD nicht wirklich gut an. Katharina Mahrt vom Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) spricht von „Reförmchen“. Sie fordert eine radikale Änderung des Systems: „Bafög muss endlich elternunabhängig sein, sodass jeder ein Anrecht hat.“

Wer zahlt die Rechnung?

Der Politik fallen grundlegende Reformen im Bildungswesen jedoch schwer. Sie kosten viel, sind komplex und nicht ohne die Zustimmung der Länder durchzusetzen. Allein die von den möglichen Koalitionspartnern beschlossenen Änderungen würden 500 Millionen Euro kosten. Und noch ist unklar, wer sie zahlen soll: nur der Bund oder auch die Länder?

Ein elternunabhängiges Bafög wünscht sich auch Hiller. Der Zuschuss, den sie bekommt, würde dann nicht mehr so stark schwanken wie heute. Sie könnte mehr Zeit in ihr Studium und ihre Bildung investieren.

Die Mail an die Sachbearbeiterin schickte sie am Ende nicht ab. Zu groß war die Angst, es sich mit der Dame zu verscherzen. Hiller ist nämlich nicht nur auf die Politik, sondern auch den guten Willen der Beamten angewiesen.


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