Nachdem bereits vor einer Weile Anna-Lena Scholz mit Thomas Kerstan in der ZEIT über die Frage stritt, ob es nun „Studenten“ oder „Studierende“ heißen sollte (DIE ZEIT Nr. 24/2016) und vor kurzem mit Jens Jessen ein alter, weißer Mann die Gelegenheit erhielt, seine irrationalen Ängste vor einem „totalitären“ Feminismus auszubreiten (DIE ZEIT Nr. 15/2018), inszeniert die Wochenzeitung erneut den Geschlechterkampf.
Dieses Mal (DIE ZEIT Nr. 23/2018) widmet sie das Titelthema der Debatte um eine geschlechtergerechte Sprache und stellt über dem Leitartikel im Feuilleton die Frage „Droht uns die Sprachzensur?“. Dazu dürfen sich eine Autorin (Marie Schmidt, Antwort: Nein!) und ein Autor (Ulrich Greiner, Antwort: Ja!) äußern. Während in Schmidts Text die meisten Argumente für ein bewusstes und angepasstes Sprechen bereits enthalten sind, darf mit Ulrich Greiner ein Autor, der in den letzten Jahren vor allem mit Büchern über einen gesellschaftlichen Schamverlust oder sein Outing als Konservativer in Erscheinung trat, die Gegenseite einnehmen und erneut die alten Begründungen und Beispiele abspielen, derer sich die Konservativen jedes Mal aufs Neue bedienen, um nicht von den gewohnten Strukturen abweichen zu müssen. Anscheinend ist es daher auch weiterhin notwendig, sich diese manchmal mehr meistens weniger einleuchtenden Rechtfertigungen genauer anzusehen.
Droht uns die Sprachzensur?
Zunächst soll allerdings kurz die Frage beantwortet werden, auf die sich Greiners Text bezieht: „Droht uns die Sprachzensur?“ Die Antwort darauf ist einfach, da es eine dämliche Suggestivfrage ist, die schnell beantwortet werden kann: Nein. Uns droht keine Sprachzensur.
Artikel 5 des Grundgesetzes besagt: „Eine Zensur findet nicht statt.“
Wer sich zensiert fühlt, darf dagegen klagen. Genau so ist es mit der Meinungsfreiheit, von der aktuell viele behaupten, sie existiere nicht mehr, um gleich im Anschluss Dinge zu sagen, die sie nur sagen dürfen, weil es eine Meinungsfreiheit gibt. Man darf sagen, was man möchte, das darf einem niemand verbieten – man muss allerdings mit Konsequenzen rechnen, zum Beispiel, wenn man mit dem, was man sagt, das Gesetz bricht. Womit die, die sich darüber beschweren, man dürfe ja heutzutage nichts mehr sagen, allerdings ein Problem haben, das ist die Tatsache, dass Meinungsfreiheit nicht bedeutet, dass Andere die Dinge, die man sagt, nicht kritisieren dürfen. Wer sich in die Öffentlichkeit stellt und Menschen beleidigt oder angreift, muss damit rechnen, dass diese Menschen sich angegriffen fühlen.
Wenn die ZEIT also unter dieser Frage schreibt: „Selbst die Duden-Redaktion streitet: Wie sinnvoll sind Binnen-I und Gendersternchen?“, so kann man auch hier nicht von einer Zensur sprechen. Der Duden gibt eine Empfehlung und bildet die Grundlage für unsere Rechtschreibung, er ist jedoch weder ein Gesetzestext noch zensiert er alternative Sprech- oder Schreibweisen. Niemand wird dadurch gezwungen, geschlechtergerecht zu sprechen. Wer sich einer Arbeitgeberin oder einem Arbeitgeber gegenüber vertraglich zu einem bestimmten Wording verpflichtet, wird dadurch trotzdem nicht zensiert. Eine Sprachzensur findet nicht statt.
Doch nun zu Greiner. „Gendergerechte Texte sind hässlich und voller Verrenkungen. Nur das bisherige Deutsch ist für alle verständlich“, behauptet Greiner in der Unterzeile, um im Anschluss daran auszuführen, warum es ihm zu mühsam ist, sich in seinem Alter sprachlich noch einmal anzupassen. Schauen wir uns im Folgenden aber einmal die Argumente an, die Greiner vorbringt, um seinen Standpunkt zu untermauern.
1. Nur das bisherige Deutsch ist für alle verständlich
Greiner bleibt leider eine Antwort auf die Frage schuldig, wann für ihn dieses „bisherige“ Deutsch anfängt bzw. wann es endet. Ein bisheriges Deutsch gibt es nicht, weil sich Sprache ständig verändert, anpasst und wächst. Wenn sie, wie Greiner behauptet, einem „vegetativen Nervensystem“ gleiche, „das sich gegen externe Anweisungen sträubt“, dann wäre sie ein ziemlich flexibles Nervensystem, das sich, wenn einem Neuerungen der Sprache gefallen, erstaunlich schnell anpassen kann. Ob für Greiner auch das Mittelhochdeutsche zum bisherigen Deutsch zählt, oder ob zum Beispiel Anglizismen in Ordnung sind, Frauen ebenso wie Männer anzusprechen aber nicht, das sagt er nicht. Greiners Vorstellung von einem bisherigen Deutsch ist lediglich das Deutsch, das ihm vertraut ist und in dem er sich wohlfühlt. Alternativen lässt er nicht gelten.
2. Die Genera des Deutschen machen seinen besonderen Reichtum aus
Niemand und auch nicht die gendergerechte Sprache möchte die grammatikalischen Geschlechter der deutschen Sprache abschaffen. Das ist ungefähr so falsch wie zu behaupten, Feministinnen würden einen Salzsteuer nun „Salzstreuerin“ nennen wollen. Einen satirischen Antrag der Linksfraktion im Flensburger Stadtrat erwähnt Greiner aber trotzdem, um zu zeigen wie weit die Unterstützer*innen dieser „neuen“ Sprache gehen wollen. Dass Satire nicht ernst gemeint ist (er nennt den Antrag „humoristisch“), vergisst er anscheinend. Stattdessen bemüht er die Lyrik, um zu zeigen, dass die grammatikalischen Geschlechter eines Fichtenbaumes und einer Palme in einem Heine-Gedicht eine erotische Spannung erzeugen, die in der englischen Übersetzung, in der beide zu einem „it“ werden, verloren gehe. Warum diese erotische Spannung nicht aufrechterhalten werden kann, wenn ein grammatikalisch neutraler Baum von einem anderen grammatikalisch neutralen Baum träumt, oder zum Beispiel auch entstehen könnte, wenn DER Fichtenbaum lediglich als DIE Fichte benannt würde und von DEM Palmenbaum träumte, auch das erklärt er nicht. Literarisch-ästhetische Texte werden stets subjektiv erfasst und Greiner kann sich in seiner Rezeption offensichtlich nicht über seinen heteronormativen Horizont hinausbewegen. Er ist studierter Germanist und Literaturkritiker. Gerade ihm müsste bewusst sein, dass insbesondere die Literatur stetig um die Erneuerung und Veränderung der Sprache bemüht und an ihr beteiligt ist. Sie geht über die „bisherige“ Sprache hinaus und ist ein ständiges Experimentierfeld. Genau das macht zumindest einen ihrer Reize aus.
In der Diskussion um eine geschlechtergerechte Sprache geht es aber eben nicht um Literatur, sondern um die Ansprache von gesellschaftlichen Subjekten. Wer sich von einem Buch nicht angesprochen fühlt, kann es weglegen. Wer sich jedoch von Gesetzestexten oder Verträgen nicht angesprochen fühlt, kann diese nicht einfach ignorieren. Auch sein Hinweis darauf, dass man Dinge nicht gendern könne, führt hier nicht weiter. Dinge müssen auch nicht als Subjekt angesprochen werden.
3. Wenn man „zum Bäcker“ oder „zum Friseur“ geht, sind Frauen mitgemeint
Greiner behauptet, niemand würde „Bürgermeisterinzimmer“ oder gar „Bürgerinnen- und Bürgermeisterzimmer“ sagen wollen (ist seiner Ansicht nach „Bürgerinnenmeister“ die korrekte Form?) und auch, wenn man zu einer Bäckerin oder einer Friseurin gehe, würde man ja doch sagen, man gehe „zum Bäcker“ oder „zum Friseur“. In all diesen Fällen seien Frauen „selbstverständlich mitgemeint“.
Merkwürdig, dass fast immer nur Männer behaupten, Frauen seien ja schließlich mitgemeint. Gegen diese Behauptung, dass Frauen sich mitgemeint fühlen, bringt nicht nur Marie Schmidt gute Argumente gegen Greiner vor, es haben nach dem BGH-Urteil gegen Marlies Krämer in den letzten Monaten auch genug andere Frauen darüber geschrieben, dass sie sich eben nicht mitgemeint fühlen. Es soll sogar Menschen geben, die sagen, dass sie zu ihrer Bäckerin oder ihrer Friseurin gehen. Das wäre für Greiner jedoch ein „konkreter“ und kein allgemeiner Fall. Linguistische Studien darüber, wie z.B. eine Berufsgruppe wahrgenommen wird, wenn sie stets im generischen Maskulinum benannt wird, sind Greiner aber nicht wichtig. Eine Veränderung von Benennungen führe für ihn allerdings nicht nur zu „unschönen Umständlichkeiten“, sondern unterminiere unser Sprachsystem. Als Gegenbeispiele führt er ausschließlich Alternativen ohne Binnen-i oder anderweitig gegenderte Sprache in allgemeinen Aussagen an und Sprachregelungen wie die der Universität Leipzig, die nun das generische Femininum verwendet, sind für ihn „Absurditäten“. Dabei wäre er als Mann doch auch mitgemeint. Oder nicht?
4. Wo sollen wir mit allen anderen hin? Müssen wir nun auch Tiere gendern?
Greiner benutzt nun ein weiteres beliebtes Argument gegen das Gendern: Aha! Angeblich gibt es ja jetzt ganz viele Gender! Was ist denn mit allen anderen? Wo soll das bitte enden? Was ist mit LSBTTIQ? Nicht nur scheint er zu vergessen, dass auch viele lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen sich durch maskuline oder feminine Formen angesprochen fühlen und das insbesondere die gendergerechte Sprache bemüht ist, durch neue Vorschläge – sei es nun ein Asterisk, ein Unterstrich oder gar ein x, die durch die auffällige Veränderung oder die Leerstelle versuchen darauf hinzuweisen, dass sich möglichst alle angesprochen fühlen sollen – über eine binäre Opposition der Geschlechter hinauszugehen, er geht auch noch einen Schritt weiter: „Sprache ist nicht gerecht. Wenn jemand glaubt, dass Tiere ähnliche Rechte haben wie Menschen, dann wird er um Reformen nicht herumkommen. Hat das Schwein es verdient, dass es bloß ein Neutrum ist?“.
Spätestens hier klingt er wie Ultrakonservative, die bei einer Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe befürchteten, dass nun bald auch Ehen zwischen Tieren und Menschen geschlossen werden würden. Jetzt mal ehrlich, wer bei dem Vorschlag, dass man ja auch z.B. Frauen in Verträgen ansprechen könnte, befürchtet, nun müsse man sicherlich bald auch Tiere ansprechen, scheint eher ein Problem damit zu haben, Frauen als Menschen anzusehen.
5. Gendergerechte Texte sind nicht lesbar
Für seine These, dass gendergerechte Texte weder lesbar noch sprechbar seien, reiht sich auch Greiner in die Reihe derer ein, die Schreiben universitärer Fachschaftsinitiativen oder AGs zitieren, um zu zeigen, wie unmöglich diese zu lesen seien. Es stimmt. Diese Texte, die so peinlich genau um die korrekte Ansprache und um Inklusion bemüht sind, sind schwer lesbar. Aber sie finden an einem bestimmten Ort statt, an dem neue Sprache ausprobiert wird und der nicht der Öffentlichkeit entspricht. Natürlich will das, was an Universitäten geforscht wird, „ans Licht der Öffentlichkeit“, aber nicht jeder Vorschlag bewährt sich oder setzt sich durch. Vieles bleibt ein Experiment oder einem bestimmten Kreis vorbehalten. Für bestimmte Texte oder eine bestimmte wissenschaftliche Arbeit kann eine spezifische Sprache sehr nützlich sein. Trotzdem spricht niemand im Alltag konstant in verschwurbeltem poststrukturalistischen Jargon. Auch Gesetztestexte oder Verträge sind oft unlesbar oder schwer verständlich und uns gelingt es trotzdem, sie umzusetzen oder sie zumindest meistens als eine ganz gute Sache zu akzeptieren. Greiner stellt sich die universitäre Sprache aber als eine Flutwelle vor, die staatliche Stellen und Medien erfassen und mit dem „Furor des korrigierenden Verdachts“ der „Verhässlichung“ anheimfallen lassen wird.
6. Würden Frauen höher geachtet, besser bezahlt und seltener misshandelt, wenn wir eine gendergerechte Sprache hätten?
„Sprache ist nicht gerecht.“ Das erkennt auch Greiner. Statt daran etwas zu ändern, schlägt er jedoch vor, sich lieber auf dieser Ungerechtigkeit auszuruhen, denn „je länger man misstrauisch und verdachtsgeladen in dieser ungerechten Sprachwelt herumstochert, umso mehr Ungerechtes findet man darin.“ Seiner Ansicht nach sollten wir die Dinge also lieber belassen, wie sie sind, statt Menschen wie ihn zu verdächtigen, sie würden mit ihrem Sprechen Ungerechtigkeiten reproduzieren.
Für seinen Schluss findet Greiner ausgehend von dieser Ansicht dann noch einen erstaunlichen Vergleich, den andere vielleicht als plumpen Whataboutism bezeichneten: „Würden die Frauen in diesem Land höher geachtet, besser bezahlt und seltener misshandelt, wenn wir eine ‚gendergerechte’ Sprache hätten? Der Kinderbuchstreit hat gezeigt, wie leicht es ist, Astrid Lindgrens ‚N-Wort-prinzessin’ [schreibt er aus] (Pipi Langstrumpf) oder Michael Endes ‚kleinen N-Wort’ [schreibt er auch aus] (Jim Knopf) zu entfernen. Davon ist der Rassismus mit Sicherheit nicht weniger geworden.“
Das ist ein bisschen so als sage man: Nur, weil in den USA die Sklaverei abgeschafft wurde, ist der Rassismus nicht verschwunden. Und der nächste logische Schritt wäre dann zu sagen: Also hätte die Sklaverei nicht abgeschafft werden sollen. Davon einmal abgesehen, dass es Greiner anscheinend trotz dieser „Entfernung“ immer noch möglich ist, dieses Wort in einer großen deutschen Zeitung zu schreiben.
Sicherlich würden Frauen nicht automatisch und sofort besser bezahlt oder höher geachtet, wenn wir überall eine gendergerechte Sprache hätten. Sie würde aber dazu führen, dass man sie eher als gleichberechtigtes und ebenso angesprochenes Gegenüber wahrnimmt und daher vielleicht auch eher bereit wäre, sie besser zu bezahlen oder überhaupt öfter als Subjekt und seltener als Objekt wahrzunehmen. Eine Ungerechtigkeit zu beseitigen, löst nicht alle Ungerechtigkeiten. Es ist aber ein denkbar schlechtes Argument zu behaupten, man müsse deswegen diese Ungerechtigkeit als notwendiges Übel akzeptieren.
So bleibt Greiners Plädoyer für das „bisherige Deutsch“ nur der verzweifelte Versuch eines mit den Jahren konservativ gewordenen Mannes, sich an den ihm bekannten Strukturen festzuklammern, weil alles Neue ihm Angst macht. Ein bisschen möchte man ihn in den Arm nehmen und ihn damit trösten, dass die Welt nicht untergehen wird, nur weil sich Sprache verändert und anpasst.
Konservative sind zähe Gebilde. Sie gleichen einem vegetativen Nervensystem, das sich gegen externe Anweisungen sträubt. Trotzdem haben sich auch Lebewesen mit vegetativen Nervensystemen immer wieder verändert, um überleben zu können.
Was sich nicht anpasst, stirbt aus. The Times They Are a-Changin'.
Kommentare 19
Mir doch egal. In einem Land, das so einen Quark diskutiert, will ich gar nicht mehr BundeskanzlerIn oder BundestrainerIn werden.
Was ist nun verboten – »Fichte« oder »Fichtenbaum«?
Für mich sind diese Diskussionen mittlerweile nerviger als eine halbe Stunde Warteschleife bei der Telekom. "Wenn Sie Argument pro lesen möchten, drücken Sie bitte die ..."
Also drücke ich auf Argment pro1 (oder kontra1, es gibt in diesen Diskussionen ja immer nur ein Entweder-Oder. Dialektik ist abgeschafft). Ich lese also:
"Zunächst soll allerdings kurz die Frage beantwortet werden, auf die sich Greiners Text bezieht: „Droht uns die Sprachzensur?“ Die Antwort darauf ist einfach, da es eine dämliche Suggestivfrage ist, die schnell beantwortet werden kann: Nein. Uns droht keine Sprachzensur.Artikel 5 des Grundgesetzes besagt: „Eine Zensur findet nicht statt.“
Wer sich zensiert fühlt, darf dagegen klagen. Genau so ist es mit der Meinungsfreiheit."
Ja, wenn dies ein Argument sein soll und nicht die Manifestation einer gewissen politischen Naivität, dann drücke ich schon nicht mehr auf pro2, sondern lege den Hörer auf.
Solange die "gendergerechte" Sprache (gibt es dafür ein deutsches Wort?) ästhetisch nicht überzeugen kann, wird sie nur mit Zwang durchsetzbar sein. Und an der Stelle erledigt sich das Anliegen von alleine.
Mein erster Gedanke bei diesem Artikel war, nicht wenige Wissenschaftler sollte man auf Mindestlohn setzen um die geistige Arbeit adäquat zu entlohnen. Die Argumentation ist teilweise so hanebüchen.........wozu brauchen wir eigentlich sogenannte Eliten?
Es muss 2018 natürlich "das BürgerInnen[*]meister(in)[*]" heissen, wie jedes Schulkind[_] weiss. Verzeihung: Schulkind[^] natürlich. Ich[ç] wollte wirklich keine Kinder[^^] herabsetzen.
Wie konnte Greiner das nur verbaseln?
es muß ein amt für "schönheit der gender-sprache" her,
das proben auf un-genutzten haus-wänden propagiert!
Der Blogautor argumentiert nicht auf der Höhe der Zeit.
Der Linguist Peter Eisenberg (Deutschlandfunk, März 2017) zeigt an Beispielen an, daß es bereits und sehr wohl quasi diktatorische/undemokratische (z.B. - aber beileibe nicht mehr nur -) von Berliner Bürgerämtern und/oder Zeitungsredaktionen) verordnete und sprachwissenschaftlich nicht hinzunehmende Wortverhunzungen wie durch das "Binnen-I", den Gender-Schräg- oder - Unterstrich oder das leider kaum noch wegzudenkende "Gender-Sternchen" gibt.
(Velkommen tilbake, G.J.!)
Eisenberg geht ebenfalls von einer irgendwie "natürlichen", ohne jedes Zutun gewachsenen, sich unbeeinflusst entwickelnden Sprache aus. Jede aktive Veränderung ist für ihn Eingriff und Erfindung. So funktioniert Sprache aber einfach nicht. Er fordert außerdem rechtsverbindliche Sprachgesetze und die Bestrafung von seiner Ansicht nach "falschem" Deutsch:
"Kontrovers diskutiert wird unter Sprachwissenschaftlern, welche Strafen der Oberste Gerichtshof bei einem Verstoß gegen die Gesetze verhängen sollte. Körperliche Sanktionen, wie etwa die Prügelstrafe, würdigte Eisenberg zwar als 'altes abendländisches Kulturgut, das bis in meine Jugend mit hohem Wert praktiziert wurde', allerdings relativierte er: 'Ich gehöre zu denen, die die Prügelstrafe hier nicht mehr ins Auge fassen.'Der 74-jährige Linguist favorisierte andere Maßnahmen, etwa das Ableisten sozialer Arbeiten. Bestraft werden sollen aber nur Sprecher, die eigentlich gut Deutsch sprechen können: 'Die sollen ihren Anvertrauten gutes Deutsch beibringen. Das wird auch dazu führen, dass sie es auch selbst praktizieren.'"
( http://www.deutschlandfunkkultur.de/arbeitsgruppe-sprachgesetze-linguist-fordert-strafen-fuer.1270.de.html?dram:article_id=315750 )Prügelstrafe = altes abendländisches Kulturgut.Ganz auf der Höhe der Zeit würde ich sagen.
Ach herjeh!
Schauen Sie doch bitte mal auf das Ausgabe-Datum dieses von Ihnen gefundenen und "geschluckten" - aber nun wirklich nicht ernst gemeinten - Artikels.
Touché!Ich persönlich finde Eisenbergs Aufassung trotzdem recht unzeitgemäß konservativ. Wir werden da sicherlich nicht übereinkommen, aber die "Quasi-Diktatur" habe ich in diesem Land nun wirklich noch nicht bemerken können. Was nun kreative Evolution, akzeptable Varietät von Sprache oder "normatives Anstinken" gegen Sprache angeht, ist das auch von Eisenberg eine subjektive Beurteilung. Natürlich entscheidet am Ende die Sprachgemeinschaft, ob sich etwas durchsetzt oder nicht. Ich glaube auch nicht, dass da eine einheitliche, verbindliche Lösung gefunden werden muss. Kreativität, Experimente und Offenheit in Bezug auf die Ansprache aller sollte aber möglich sein, ohne dass sofort "Zensur" oder "Diktatur" krakeelt wird.
Diese sprachliche Nabelschau und andere in Permanenz betriebene akademische Petitessen trugen mit dazu bei, dass die Linke auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene zunehmend an politischem Einfluss verloren hat. Wie viele Prozent der Einwohner und -innen dieses Staates haben ein gesteigertes Interesse an derlei Themen? Ich vermute, man muss in den Promillebereich wechseln, um eine sachdienliche Antwort zu finden.
Desgleichen gilt für die rotgrüne Forderung: Mehr Frauen in die Aufsichtsräte der Dax-Unternehmen. Dass Statements und Diskussionen zu diesem Thema breiten Raum in der Denkarbeit der Politik-Eliten einnimmt, gibt nicht den 99,999 Prozent Frauen dieses Landes Anschub, sondern der Politik(er)verdrossenheit.
"Kreativität, Experimente und Offenheit in Bezug auf die Ansprache aller sollte aber möglich sein"
Aber gern doch. Wenn allerdings gefordert wird, man müsse das in offiziellen und halboffiziellen Texten an einer Universität tun, dann ist es Sprachdiktatur.
Glauben Sie nicht? Schauen Sie mal die Empfehlungen zur gendergerechten Sprache der Medizinischen Fakultät der Universität Halle an und am Besten noch die Texte, die darunter zitiert werden.
Natürlich, Sie werden jetzt sagen: "Das sind doch nur Empfehlungen." Andere sagen: "
(sorry, falsche Taste)
Natürlich, Sie werden jetzt sagen: "Das sind doch nur Empfehlungen." Andere sagen: "Wehret den Anfängen!"
Wenn ich mir die Situation an geisteswissenschaftlichen Fakultäten angloamerikanischer Universitäten ansehe, neige ich eher zu "Wehret den Anfängen!" Dort ist vielerorts die Wissenschafts- und Sprachfreiehit tatsächlich schon verschwunden.
Respekt, übrigens, kann man nicht verordnen und nicht durch Sprachrregelungen erzwingen. Damit erreicht man eher das Gegenteil.
>>…dass die grammatikalischen Geschlechter eines Fichtenbaumes und einer Palme in einem Heine-Gedicht eine erotische Spannung erzeugen,…<<
Dabei wird ganz übersehen, dass die Fichte und die Palme lesbisch sind, wenn sie‘s mit einander treiben. Und dass aber der Fichtenbaum möglicherweise transsexuell ist.
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Die Sorge der Sprachkonservativen ist unbegründet: Wenn ich verreisen will kaufe ich immer noch eine Fahrkarte, obwohl doch mittlerweile alle wissen sollten dass man „Ticket“ sagt. Trotzdem hat mich die Sprachpolizei noch nie verhaftet. Auch nicht wenn ich statt „daunloudn“* „herunterladen“ sage und statt „Händi“* (english „mobile phone“ oder „mobile“) Mobiltelefon.
*Falls es in 100 Jahren noch ein Rechnernetz gibt, wird eine Rechtschreibreform „daunloudn“, „Händi“ und „imeil“ als korrekte Schreibweise einführen, wie vor einigen Jahren die Majonäse.
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Ich kann mich noch an die Abschaffung des „Fräuleins“ erinnern: Anfangs waren es nur Wenige, die jede erwachsene Frau als Frau bezeichneten. Wir wurden mit der Zeit mehr, irgendwann waren die Fräuleinsager in der Minderheit, und dann waren unverheiratete Frauen auch in amtlichen Formularen nicht mehr kleiner als Verheiratete.
Es hielt niemand für nötig, das Nichtfräuleinsagen als links oder rechts einzuordnen und das Fräuleinsagen als rinks oder lechts. So konnte das Ganze ziemlich unaufgeregt ablaufen.
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>>”The Times They Are a-Changin' “.<<
Ja. Vielleicht wird hier in 100 Jahren Mandarin gesprochen.
Ja. Vielleicht wird hier in 100 Jahren Mandarin gesprochen.
Ja, aber ganz anders als heute.
Der Artikel ist leider eine einzige Ansammlung von Strohmann-Argumenten, in sich stehenden Behauptungen sowie Agitation im Gewand einer sachlichen Auseinandersetzung.
Die Duftmarken werden bereits im ersten Absatz gesetzt. So wird der Ex-Feuilletonchef der Zeit, Jens Jessen, en passant als »alter weißer Mann« bezeichnet (ohne Anführungsstrichel); seine Ängste vor einem »totalitären Feminismus« als »irrational« anstatt einfach nur als Ängste. Wer stellt die die begründungsfreien Diagnosen? Der Artikelautor.
Mit den staatstragenden Gutachten geht es zwei Abschnitte darunter gleich weiter. Sein rosarot-euphemisches Dafürhalten, dass es in Deutschland keine Zensur gäbe, begründet Scholz salopp mit einem Verweis auf das Grundgesetz. Als ob die GG-Passage »Eine Zensur findet nicht statt« der valide Nachweis wäre für das Abwesenheit von Zensur. Im Sinn von Gender bzw. gendergerechter Sprache deklariert Scholz die lange Geschichte bundesdeutscher Eingriffe in Film-, Buch-, Musik-, Theater- und Publizistik-Medien als nichtexistent zugunsten einer ebenso staatspositiven wie historienvergessenen Definition der Wirklichkeit. Womit sich leider wieder mal der Verdacht bewahrheitet, dass die zur Korrektheit erziehenden (Sprach)verbesserer nicht nur Apologeten, sondern sogar Vorreiter sind bei der Ausgestaltung eines entgrenzten, neoliberalen Staats.
An die Basiseinheit »Sozialkunde für Erstklässler« schließt sich dann aber doch Kritik an: an Heinrich Heine, der nördliche Fichtenbäume (= er; maskulin) und südliche Palmen (= sie; feminin) unkorrekterweise einander gegenüberstellte. Scholz entlarvt den Kritiker-Klassiker der deutschen Zustände nicht nur in Sachen heteronormativer Wortwahl-Präferenzen. Zusätzlich mit schwingt in der Beweisführung ein leichtes Beleidigtsein, dass Heine die besonders ausgeprägten Correctness-Bemühungen nördlich der Alpen nicht hinlänglich gewürdigt hat. Sonst hätte er nämlich geschrieben: die nördliche Fichte (= sie; emanzipiert, fortschrittlich, feministisch) und der südliche Palmenbaum (= er; machistisch, wie die Südländer halt so sind).
Ein Werturteil über die beiden Variationen (in Wirklichkeit sind es – was sich leicht per Durchdeklinieren der Möglichkeiten herausfinden lässt – vier) will Scholz natürlich nicht abgeben. Allein dadurch, dass er die floralen Begriffe in einem 200 Jahre alten Bedicht glaubt einer »Gender-Kritik« unterziehen zu müssen, ist »sie« allerdings auch hier ins Spiel gebracht: eine kleine Prise »avenidas« – nach dem Motto: Wo ich als genderkorrekter Sprach-Crack einen Krümel im Kuchen finden will, da finde ich ihn auch. Unabsichtlich jedoch beweist Scholz leider auch, dass die praktische Relevanz der von ihm präferierten Gender-Sprache weit hinten rangiert.
Interessant schließlich ist der sechste, abschließende Abschnitt von Scholz’ Text. Wie so oft wird auch hier der linke Haupteinwand, eine Veränderung der Sprache verändere nicht automatisch die Lebensrealität der Betroffenen, durch die bloße Behauptung des Gegenteils konterkarriert – dergestalt, dass die anvisierte Veränderung einfach als Szenario ausgemalt und die darin beschriebenen Veränderungen einer »gegenderten« Sprache gutgeschrieben werden. Summa summarum also nicht mehr als: Warum sollten wir es nicht mal mit dem versuchen? Fazit so: Gegenderte Sprache ist simpel aus dem Grund zu befürworten, weil sie neu ist. Denn, so gleich der Warnschuss mit den Dinosauriern: »Was sich nicht anpasst, stirbt aus.«
Wie durchgängig ist der Text auch am Ende von einer technokratisch-modernistischen Mentalität des Anordnens und Deklarierens geprägt. Die Nützlichkeit der Gender-Sprache muß nicht argumentativ herausgearbeitet werden. Es genügt der Hinweis darauf, dass sie aktuell en vogue ist, im Trend liegt und dass – frei nach dem Motto: Der Fortschritt in seinem Lauf – halten weder Ochs noch Esel auf – dagegen sowieso nichts zu machen ist. Summa summarum haben wir es hier also mit den zu tun, was Kritiker(innen) schon immer argwöhnten: einer Versuchsanordnung. Der man sich – vielleicht – kann (so man möchte). Die jedoch weder zwingend ist noch in sich so kongruent, dass sich ihre Übernahme als allgemein deklariertes gesellschaftliches Ziel empfiehlt.
"Nachdem ... vor kurzem mit Jens Jessen ein alter, weißer Mann die Gelegenheit erhielt, seine irrationalen Ängste vor einem „totalitären“ Feminismus auszubreiten ..."
brav.
dann weichst du kurz von deinem thema ab:
[greiner:] ""Der Kinderbuchstreit hat gezeigt, wie leicht es ist, Astrid Lindgrens ‚N-Wort-prinzessin’ [schreibt er aus] (Pipi Langstrumpf) oder Michael Endes ‚kleinen N-Wort’ [schreibt er auch aus] (Jim Knopf) zu entfernen. Davon ist der Rassismus mit Sicherheit nicht weniger geworden.“
Das ist ein bisschen so als sage man: Nur, weil in den USA die Sklaverei abgeschafft wurde, ist der Rassismus nicht verschwunden. Und der nächste logische Schritt wäre dann zu sagen: Also hätte die Sklaverei nicht abgeschafft werden sollen. Davon einmal abgesehen, dass es Greiner anscheinend trotz dieser „Entfernung“ immer noch möglich ist, dieses Wort in einer großen deutschen Zeitung zu schreiben."
ich sage es mal; es klingt vielleicht "ein bißchen so", trifft es aber nicht, und ganz sicher ist nichts danach ein nächster logischer schritt, den du greiner ernsthaft unterstellen kannst. die rhetorische figur, die du benutzt um greiner zu diffamieren, der etwas ganz anderes sagt, nenne ich stokowskischwurbel (sie macht das auch gern so). in gesprochener sprache heißt es totquatschen. gesprochen kommt man meist mit durch, geschrieben offenbaren sich die schwächen.
du bestreitest zuerst zensur vehement und im selben text "rechtfertigst" du, dass in texten verstorbener (wehrloser) autoren herumzensiert wurde/wird. was davon würdest du jetzt am liebsten zensieren, um nicht irrational rüberzukommen? die antwort brauchst du für den nächsten logischen schritt auf dem weg in die geschichtsvergessenheit.
Droht uns die Sprachzensur?
Das ist natürlich Unsinn. Es soll dagegen vielmehr die Schere im Kopf implementiert werden.
1. Nur das bisherige Deutsch ist für alle verständlich
Das ist richtig, denn tatsächlich ist ALLEN nur das bis zu gegenwärtigen Zeitpunkt gesprochene Deutsch verständlich. Neuerungen setzen sich erst in der Zukunft durch, und sie entstehen u.a. durch den Einfluß von Jargons - Jugendliche nutzen z.B. Jargon, um sich bewußt vom Sprechen der Altvorderen abzugrenzen und er ist letzteren nicht vollkommen zugänglich, also teilweise unverständlich.
2. Die Genera des Deutschen machen seinen besonderen Reichtum aus
So verkürzt ist das natürlich Unfug. Die deutsche Sprache zeigt - wie jede natürliche Sprache - auf vielen Feldern Reichtum. Unbestreitbar dürfte dennoch sein, daß Sprachen, die über ein grammatisches Geschlecht verfügen, Sprachspiele mit dem Genus nicht von vornherein ausschließen.
3. Wenn man „zum Bäcker“ oder „zum Friseur“ geht, sind Frauen mitgemeint
Ich persönlich gehe zur Bäckerei, wo mich Verkäuferinnen und seltener einmal ein Verkäufer bedienen. Und eigentlich habe ich seit Jahrzehnten keine richtige Bäckerei mit richtigem Bäcker oder richtigeer Bäckerin mehr gesehen. Es handelt sich eher um eine Backwarenverkaufsstelle, wo Backwaren feilgeboten werden, die von Menschen mir unbekannten Geschlechts wahrscheinlich an Maschinen produziert worden sind.
Der Frisiersalon, den ich frequentiere, heißt "Silke* & Team" und ich gehe zum Haareschneiden zu Silke*.
(* Name vom Verfasser geändert)
4. Wo sollen wir mit allen anderen hin? Müssen wir nun auch Tiere gendern?
Wozu? Tiere sind bereits gegendert.
Man denke nur beispielsweise an Hahn und Henne, Sau und Eber, Hengst und Stute, Kuh und Bulle und dergleichen. Meinetwegen könnte man aber als geschlechtsneutrale Gattungsbezeichnung das Mensch einführen. Dann verlöre das Wort auch seinen Frauen gegenüber despektierlichen Ton.
5. Gendergerechte Texte sind nicht lesbar
Wie wahr, wie wahr! Der Satz könnte von mir stammen. Mir gelingt es nämlcih nicht, einen gendergerechten Text über die ersten drei Zeilen hinaus zu lesen, ohne mich an den Kopf zu fassen. Das Schriftbild sieht katastrophal unleserlich aus, und der Sprach- und somit der Lesefluß wird empfindlich gestört.
6. Würden Frauen höher geachtet, besser bezahlt und seltener misshandelt, wenn wir eine gendergerechte Sprache hätten?
Nein, mit Sicherheit nicht. Es müßte hingegen einfach politisch und gesellschaftlich wirkliche Gleichberechtigung durchgesetzt werden, damit Frauen genauso geachtet, gleich bezahlt und genauso selten (oder oft?) mißhandelt werden wie Männer.
Dann könnten auch solche unsäglichen Diskussionen um der Kaiserin Damenbart unterbleiben wie die um die gegenderte Sprache.