Einen Spaten einen Spaten nennen

Rechtspopulismus Die neuen Rechten beeinflussen und instrumentalisieren unsere Sprache. Warum wir aufpassen müssen, was wir sagen

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Dass Sprache unsere Wahrnehmung, unseren Zugriff auf die Welt und damit auch unser Handeln maßgeblich beeinflusst, sollte heutzutage eigentlich allen klar sein. Und dennoch ist man oft genug mit Menschen konfrontiert, die nicht einsehen wollen, dass das, was sie sagen, schreiben und lesen, ihre und unsere Sicht auf die Dinge verändert.

Die neuen Nationalisten wollen salonfähig werden. Sie betreiben dabei ein perfides Spiel mit Sprache, die sich so in die Köpfe der Menschen einschreibt und Um- oder Aufwertungen erzeugt. Sie bezeichnen sich nun nicht mehr als Nazis, stattdessen sind sie „Identitäre“, sie sind „besorgte Bürger“ oder „patriotische Europäer“. Oder halt „Rechtspopulisten“. So klingt das alles gleich nicht mehr ganz so gefährlich und bedrohlich – man kann an bestehende Strukturen anknüpfen und sich trotzdem gleichzeitig als Gegenbewegung inszenieren. Der sogenannte „Rechtspopulismus“ arbeitet aktiv an der Normalisierung aufgeladener Begriffe, an der Umwertung moralischer Kategorien und der Erfindung von Feindbildern, die dann oftmals unbedacht von den Medien übernommen werden.

Im Medienmagazin ZAPP erklärten kürzlich Elisabeth Wehling und Anatol Stefanowitsch, beide Sprachwissenschaftler, wie sich von Pegida oder der AfD aufgegriffene Formulierungen in unseren alltäglichen Sprachgebrauch einschleichen und dadurch der historische Kontext, in dem sie entstanden, und das metaphorische Bild, das sie vermitteln, vergessen werden. So wird aus der Rede von „Überfremdung“ in Berichten schnell die „Sorge vor Überfremdung“, dann die „Überfremdung“ in Anführungszeichen und schließlich wird ein Wort, dass seinen Ursprung in rassistischen und antisemitischen Ressentiments vergangener Zeiten hat, wieder unreflektiert ohne Kennzeichnung benutzt und aktiviert einen bestimmten Deutungsrahmen. Man muss die Ängste der Leute ernst nehmen heißt es dann. Und plötzlich fragen sich noch einige mehr, ob nicht vielleicht etwas dran ist an dieser Angst vor dem Fremden, das die eigene kulturelle Identität bedroht. Auch wenn man sich gar nicht so sicher ist, was diese kulturelle Identität eigentlich genau sein soll.

Die CDU-Abgeordnete Bettina Kuddla verwendet plötzlich wie selbstverständlich den Begriff „Umvolkung“, bei dem die nationalsozialistische Rede von „Volksdeutschen“ und ihrer angeblichen Gefährdung mitschwingt, und die Berichte über die Flüchtenden sind von Wassermetaphern durchsetzt, die eine unaufhaltbare „Flut“, eine „Welle“ und einen „Strom“ suggerieren, gegen den man sich zur Wehr setzen müsse, da wir sonst in ihm ertrinken. Diese „verbale Bodenaufbereitung“ (eine Formulierung, die die Schriftstellerin Julya Rabinowich in ihrer Standard-Kolumne in Bezug auf Völkermord benutzte), die als Reaktion – wie Wehling auch im SPIEGEL bemerkte – eben nicht Aufnahme und Integration zulässt, sondern den Wunsch nach „Abschottung“, „Abdichtung“ und „Abschiebung“ erzeugt, ruft dabei ähnliche Bilder hervor wie der Ruf nach einer „Obergrenze“ aus der CSU, der uns einredet, ein Land könne ähnlich wie ein volles Fass überlaufen. Anstelle des Bildes des vollen Bootes aus der Asyldebatte der Neunziger rückt damit nun diese neue Kollektivsymbolik in den Mittelpunkt.

Sprachpolizei

Es bringt wenig, Sprache zu tabuisieren. Absolute Sprachverbote sind selten sinnvoll und bieten immer das Potential zum Tabubruch, durch den man sich dann als Kämpfer gegen einen Mainstream inszenieren kann. Der mutigste Zauberer ist schließlich der auserwählte Junge, der sich traut den Bösewicht bei seinem Namen zu nennen. You-know-who.

Die Rechte (so zum Beispiel die Junge Freiheit) schreibt dann gerne von einer „Sprachpolizei“, schnell wird in Kommentaren von Verboten, vom „Neusprech“ der „Gutmenschen“ geredet, die über die Sprache (GENDER! BINNEN-i!) ihre verqueren Ideen einimpfen wollen – es scheint ironisch, dass hier wiederum von anderer Seite vor der Gefahr einer wirkmächtigen Sprache gewarnt wird. Die Rechten sind sich nämlich ebenso bewusst, dass Sprache normalisieren kann und wehren sich mit Händen und Füßen gegen die Umformulierung von Lehrplänen – so zum Beispiel gegen die Forderung von „Akzeptanz von“ statt „Toleranz gegenüber“ nicht-heteronormativen Beziehungsformen in der schulischen Sexualerziehung.

Die Bitte um eine kritische Reflektion der eigenen Sprache scheint aber eines der wenigen Mittel zu sein, das die Medien derzeit dem wachsenden Einfluss des „Rechtspopulismus“ entgegensetzen können, da mit ihr wirksam auf die ideologischen Unterbauten aufmerksam gemacht werden kann, um sie zu dekonstruieren, heißt: sie auseinander zu nehmen. Es sind oftmals die möglichst einfachen Muster und Erklärungen, der sich teilweise auch schon die Nationalsozialisten bedienten, um ein ganzes Volk davon zu überzeugen, es sei notwendig, Millionen Juden und Andersdenkende zu vernichten und zu vertreiben, und die sich nun in verschiedensten Formen in unser Denken einschleichen.

Feindbilder

Zum einen wäre da die Vorstellung, dass man sich als Minderheit, als Revolutionäre und Rebellen gegen einen übermächtigen Mainstream, ein Establishment, ein verstaubtes und fehlgeleitetes System erhebt. Der Rebell nimmt sich das Recht heraus, angebliche Grenzen – seien sie wirklich vorhanden oder nicht – zu überschreiten, und sich so als ein Kämpfer für die richtige Sache darzustellen. Der Mainstream ist immer schlecht. Dass aber dabei Dinge einfach zum Mainstream erklärt werden, obwohl sie keineswegs unsere Gesellschaften in der Form beherrschen, wie sich das diese Retter der Kultur wohl vorstellen, bemerkt man schnell nicht mehr. Bei Diskussionen um gendergerechte Sprache kocht zum Beispiel allzu schnell die Wut hoch, da die bestehenden Strukturen, in denen man sich bisher doch ganz wohl fühlte, anfangen, aufgebrochen zu werden. Dass einem plötzlich bewusst gemacht wird, dass man auch darauf reduziert werden kann, ein weißer, heterosexueller Mann zu sein, ist für viele dann doch überraschend unangenehm.
Die Reaktion darauf: Hier steht eine übermächtige Bedrohung gegenüber, die die Gesellschaft schon längst auf ihrer Seite hat. Plötzlich bin ich umgeben von verirrten Feinden, die mir nun auch noch meine eigene Sprache wegnehmen wollen.

Und dies ist der zweite Punkt: Es wird sich ein gefährliches Anderes, ein Fremdes und Feindliches imaginiert, gegen das sich positioniert werden kann. Dieses Andere ist schon längst die Masse, es steht schon vor der Tür, geifernd und nur darauf aus, alles, was bisher das Eigene war, für sich zu beanspruchen und zu verändern. Und nicht nur das! Dieser Feind – und er ist allgegenwärtig – behauptet nun auch noch, er sei moralisch überlegen. Er würde für die Gesellschaft, für die Menschen und für die Umwelt eintreten. Dabei hat doch bisher alles ganz gut funktioniert. Auch wenn man eigentlich auch schon immer unzufrieden war. Früher war halt doch alles besser.

Es sind diese Erklärungen, die so attraktiv wirken, weil sie eine einfache Entscheidung zwischen A und B oder auch zwischen 1 und 0 anbieten, also das, was man eine „binäre Opposition“ nennt: Gut gegen Böse. Weiß oder Schwarz. Heute oder Früher. Mann oder Frau. Man kann sich so viel leichter für eine Seite entscheiden und muss sich nicht mit komplexen Vorgängen beschäftigen.

Im Freitag haben Matthias Dell und Marc Fabian Erdl schon 2012 erklärt, wie zum Beispiel der Begriff der „politischen Korrektheit“ nicht etwa als ein Programm der Linken formuliert, sondern von denen ins Leben gerufen wurde, die sich sofort gegen sie positionieren wollten. Das angebliche Diktat der politischen Korrektheit beruht auf einer Verkehrung moralischer Kategorien, durch die sich, wiederum ganz in der Pose des Revolutionärs, gegen überkommene Werte erhoben werden kann. Politisch korrekt ist der Mainstream, politisch inkorrekt ist neu, wild und aufregend. Der Satz „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ beinhaltet implizit den Vorwurf, dass der rassistische Blödsinn, den man gerade von sich gibt, einem Sprachverbot unterliege, gegen das man sich nun mutig erhebt.

Ganz so wie die Anhänger von Verschwörungstheorien, die ebenfalls möglichst einfache Erklärungen für komplexe Vorgänge anbieten, können sich so die „Rechtspopulisten“ als Kämpfer für die gerechte (korrekte) Sache darstellen, indem sie inkorrekte, weil angeblich unbeliebte, aber dennoch wahre Dinge beim Namen nennen. Political Correctness war daher von Anfang an ein rechter Kampfbegriff. Beim islamfeindlichen Blog Politically Incorrect ist dies bereits im Titel angelegt, wenn sich die Betreiber der Seite als eine mutige Stimme gegen das vorherrschende „Meinungsdiktat“ der politischen Korrektheit und das die Medien dominierende „Gutmenschentum“ verkaufen.

Make America hate again

Sehr gut hat diese Taktik gerade auch für einen alten, weißen, heterosexuellen Mann aus dem wirtschaftlichen Establishment in den USA funktioniert: Donald Trump hat sich als der „Underdog“ präsentiert. Er kommt nicht aus der Politik, er kann sich also als ein Rebell gegen den vermeintlichen politischen Mainstream inszenieren, das angebliche Meinungsdiktat der Demokraten kritisieren und sich als der darstellen, der das ausspricht, was sich andere nicht zu sagen trauen – heißt: die Dinge so zu benennen wie sie vermeintlich in Wirklichkeit sind. Bemerkenswert ist dabei, dass Donald Trump sich ganz ähnlich wie „unsere“ Rechtspopulisten einer sehr einfachen Sprache und möglichst einprägsamer Begriffe bedient, die er wie ein Mantra rezitiert, bis sie sich in den alltäglichen Sprachgebrauch und in die Medien einschleichen, also ihre Benutzung alltäglich wird. Wie in einem eingängigen Popsong wird dieser Refrain so oft wiederholt, bis man ihn nicht mehr aus dem Kopf bekommt: Make America Great Again! Lock her up! Build the wall! Drain the swamp! Die wirklichen Fakten, statistische Gewissheiten geraten dabei in den Hintergrund und die Behauptung, dass hier jemand etwas Wahres ausspreche, führt wie bei einer Verschwörungstheorie zu einem Gefühl der postfaktischen Überlegenheit über die, die die eigentliche Wahrheit nicht (aner)kennen: Ich sehe was, das du nicht siehst.

Hinter Trump stehen dabei neben dem Ku-Klux-Klan auch solche „Rechtspopulisten“, die sich Namen geben, die denen der europäischen Bewegungen ganz ähnlich sind: Die „Alt Right“ verfolgt zwar ebenso wie die AfD die Erhaltung der weißen, heteronormativen Vorherrschaft und scheut sich auch nicht davor, den Hitlergruß zu zeigen, „Nazi“ will sie aber auf keinen Fall genannt werden. Stattdessen behauptet sie, ebenso wie die AfD, eine „Alternative“ anzubieten. Impliziert ist damit wiederum: Eine Alternative zum Mainstream. So nah sind sich die beiden Bewegungen, dass ihr Begründer Richard Spencer sogar den deutschen Begriff „Lügenpresse“ in seine Reden übernimmt.
„Schwache, unverbindliche Sprache erlaubt es den Menschen, sich vor der Realität zu verstecken und sich vor Verantwortung zu drücken. Journalisten dürfen keine Angst davor haben, die Trump-Anhänger als das zu benennen, was sie wirklich sind“, fordert Lindy West im Guardian und klagt über die Zurückhaltung der amerikanischen Medien, für die „Alt Right“ klare Bezeichnungen zu finden. Dabei seien sie eben genau das: „White Supremacists“ und Neonazis.
„To call a spade a spade” (einen Spaten einen Spaten nennen) sagt man – wenn auch inzwischen durch mögliche rassistische Untertöne eher vorsichtig – im Englischen, wenn man das Kind beim Namen nennen will. West fordert: „If you see a Nazi, say a Nazi.“

Und auch Trump und seine Freunde bemühen sich, moralische Kategorien so umzuwerten, dass wie bei der Political Correctness der Kampf gegen sie als aufregende Rebellion gegen eine übermächtige Medienmaschinerie und eine vorherrschende Meinung erscheint. Zwei beliebte Begriffe in diesem Zusammenhang sind der „Social Justice Warrior“ (abgekürzt als „SJW“) und der „Feminazi“, die ungefähr dem entsprechen, was bei uns als „Gutmensch“ und „Kampflesbe“ oder „Emanze“ verteufelt wird: Angeblich freudlose, unsympathisch-aggressive VertreterInnen ihrer Art, die als Feindbilder faszinierenderweise gleichzeitig für das mediale Meinungsdiktat des Establishments und für die Umwertung aller traditionellen und damit guten Werte stehen sollen. Trump erscheint im Vergleich dazu „atemberaubend unorthodox“. Jörg Lau, Mark Schieritz und Bernd Ulrich bemerken zu dieser Aussage in der ZEIT: „Schon werden also demokratische und zivilisatorische Standards zu einer Orthodoxie erklärt, gegen die aufzubegehren mindestens interessant ist, wenn nicht gar überfällig“ (ZEIT, Nr. 49, 2016, S. 6).

Moralische Streber

Ebenfalls gut erkennbar war diese Umwertung nach Carolin Emckes beeindruckender Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Oktober. Emcke sprach sich für die Anerkennung von Minderheiten aus und gegen den Hass. Sie forderte Akzeptanz und verurteilte die, die nicht bereit sind, die anzuerkennen, die anders sind. Statt Verständnis erntete Emcke aber Häme und ihr wurde vorgeworfen, mit ihrer Rede nicht nur selber wiederum auszugrenzen, sondern auch eine „moralische Streberin“ zu sein; eine, die pathetische Aussagen einer „arrivierten Meinungselite“ von sich gebe. So wird Kritik an Ausgrenzung oder Intoleranz mühelos umgedreht und gegen die Kritikerin gewendet: Wie? Wir sind intolerant? Selber intolerant! Ätsch!

Die bekennenden Neonazis haben sich das Hipstertum einverleibt und treiben als schwer identifizierbare „Nipster“ ihr Unwesen, die „Rechtspopulisten“ treten als die Punks auf, die sich unorthodox gegen die über viele Jahre mühsam von der Linken vorangetriebene gesellschaftliche Vielfalt und Gleichstellung auflehnen. Moral ist langweilig geworden. Ein Gutmensch ist nicht nur langweilig, sondern auch noch penetrant. Die österreichischen „Identitären“ können so eine Aufführung von Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ stürmen und ihre Aktion mit Kunstblut als „ästhetische Intervention“ verkaufen. Hannah Lühmann, die sich in der Welt nach linken Machos sehnt, findet das identitäre Poster-Girl Alina Wychera irgendwie „stark“ und selbst die ZEIT rückt Wychera und ihren Mitstreiter Martin Sellner auf die zweite Seite, wenn sie sich beklagen, dass sie sich wegen der ganzen Massenvergewaltigungen und Anfeindungen nachts nicht mehr auf die Straße trauen.

Die VertreterInnen der neuen Rechten wiederholen ihre Phrasen, ihre oftmals drei- und viersilbigen Begriffe bis sie sich in unseren Köpfen etabliert haben und in den Medien irgendwann ohne Anführungszeichen verwendet werden. Die Metaphern, die mit ihnen mitschwingen, und ihren Ursprung im nationalsozialistischen Denken sieht man so irgendwann nicht mehr, aber man ruft sie immer wieder auf, wenn man sie benutzt: Überfremdung, Lügenpresse, Altparteien, Flüchtlingsstrom, Umvolkung, Volksverräter, Islamisierung, Systemparteien, linksversifft, völkisch.

Mausgerutscht

Metaphern können töten“ schrieb George Lakoff 2003 über die amerikanische Berichterstattung im Irak- und Golf-Krieg und Jürgen Klatzer warnte im kurier vor der gleichen Gefahr in Bezug auf den Flüchtlings- und Asyldiskurs. Sprache wächst nicht natürlich und ist nicht wertfrei. Sie wird erfunden, beeinflusst, umgewertet und etabliert. Indem wir bestimmte Begriffe und damit Denkmuster immer wieder wiederholen, normalisieren wir sie als das Gewöhnliche und nehmen sie schließlich als unverrückbar Gegebenes wahr.

Wenn wir nicht auf unsere Sprache achten, wenn wir sie nicht hinterfragen und kritisch reflektieren, nehmen wir das Sprechen von der „Festung Europa“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ in unseren alltäglichen Sprachgebrauch auf und übernehmen damit auch das politisch fragwürdige Denken, aus dem sie entstanden sind.
Wer sich ein Feindbild aufbaut, ist irgendwann auch bereit, gegen diesen Feind zu kämpfen. Zur Not mit Waffengewalt. Oder man ist halt doch nur mal auf der Maus ausgerutscht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christopher Scholz

Christopher Scholz ist Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er lebt und promoviert in Berlin.

Christopher Scholz

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