Die Beute (1) Wie Dr. M. unsere Fa. übernahm

Arbeitswelt Ein Unternehmen wird verkauft – für die Beschäftigten eine Schicksalsstunde. Eine Chronik in 14 Kapiteln von Chefsekretärin Ribanna Rubens. 1. Schlechte Nachrichten

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Warum unser Geschäftsführer Herr Marius K. ausgerechnet die Weihnachtsfeier sprengte, war möglicherweise eine zufällige Koinzidenz der Ereignisse oder vielleicht war es auch eine subtile Form der Rache an seinen Mitarbeitern, von denen er wusste, dass sie nicht hinter ihm standen - es wird wohl sein Geheimnis bleiben. Noch drei Wochen zuvor hatte er in der Ankündigung zur Weihnachtsfeier geschrieben, man blicke zwar auf ein schwieriges Jahr zurück, wolle aber doch die Gelegenheit zu einem geselligen Beisammensein nicht versäumen und dieses bei einem gemeinsamen Essen mit anschließendem Umtrunk genießen. Jedes Jahr stand die Feier unter einem anderen kulinarischen Motto; diesmal sollte es die italienische Küche sein.

Der eigentlichen Weihnachtsfeier ging traditionell eine Betriebsversammlung voraus, die im Aufenthaltsraum im ersten Stock des Seitentraktes stattfand und hauptsächlich daraus bestand, dass Marius K. eine kurze Ansprache hielt, in der er über die aktuelle Situation und Zukunftsperspektiven des Unternehmens Auskunft gab: Umsatz, Auftragslage, besondere Projekte, wenn es welche gab. Dieser Aufenthaltsraum, auch Kantine genannt, ist ein ziemlich schäbiger, fahl wirkender Raum mit fleckigen Wänden, in dem vorwiegend die Mitarbeiter aus der Produktion, denen kein eigener Schreibtisch gehört, in den Pausen ihre Butterbrote oder das mitgebrachte Mittagessen verzehren, der ansonsten aber als Aktenablage und Abstellkammer für ausrangiertes Mobilar dient.

Für die Betriebsversammlung standen fünf lange Reihen von alten Stühlen für die Belegschaft bereit.

Seitlich vor der Fensterfront türmte sich der zusammengerückte Berg von aussortierten Büromöbeln, unter denen nur ein großer Schreibtisch aus Mahagoni, der dem Vorgänger meines Chefs gehört hatte, ungebührlich glänzend hervorstach. Die hintere Wand bedeckten ein morscher Schrank und lange Regale mit in Kartons verpackten Akten und Ordnern, aus denen vielfach vergilbte Blätter und Seiten hervorlugten. Vor den Stuhlreihen stand ein Tisch, an dem sich die jeweiligen Sprecher festhalten konnten, um nicht ohne helfende Stütze frei im Raum zu stehen.

Marius K. kam nicht allein, seine Frau Greta begleitete ihn - was aber nichts Ungewöhnliches war, da sie die Firma von ihrem Vater geerbt hatte, und noch ein anderer Mann befand sich in seinem Schlepptau, den er kurz als Wirtschaftsanwalt und Berater Dr. Sowieso vorstellte.

Nachdem die Nachricht heraus war, das heißt die Nachricht, dass er das Unternehmen mit Wirkung vom kommenden 1. Januar an verkauft hatte, begann letzterer sofort beflissen zu sekundieren, dass es zu dieser Entscheidung keine Alternative gegeben habe.

Andernfalls wäre eine Insolvenz innerhalb kürzester Zeit unabwendbar gewesen, sagte er.

Danach verschwanden sie eiligst, und niemand vermisste sie, da sie jetzt schon der Schnee von gestern waren.

In der einsetzenden Unruhe nahm ich nur am Rande wahr, dass mein Chef, der Prokurist Sebastian M., der in der ersten Reihe gesessen und auch ein paar Worte hatte sprechen wollen, merkwürdig ratlos und verloren lächelnd herumstand und dann ebenfalls abrupt verschwand. Nur wenige Tage zuvor hatte er noch mit Beresa telefoniert und sich Gedanken über die Farbe seines neuen Dienstwagens gemacht.

Mein Chef ist ein Zauderer und fühlte sich zwischen dunkelblau und dunkelgrau hin- und hergerissen.

Ich bin Ribanna Rubens und seit einem Jahr als Direktionsassistentin für ihn tätig. So steht es in meinem Arbeitsvertrag. In der Praxis sagen die meisten, dass ich seine Sekretärin bin.

Die kurze Rede, die er halten wollte, stammte natürlich von mir.

In der Mitte der großen Montagehalle im Erdgeschoss dampften bereits die von einem Partyservice angelieferten Speisen auf Warmhalteplatten vor sich hin, Stapel von Tellern und Besteck luden zur Selbstbedienung ein. Ein paar verstreute Pflanzenkübel schmückten die Halle, lange Tische waren mit weißen Tüchern abgedeckt, der Weinvorrat und ein Bierfass bereitgestellt worden. Die beiden Putzfrauen hatten den ganzen Vormittag gewerkelt, um alles an die richtige Stelle zu bringen und der Umgebung ein wenig Glanz zu verleihen. Doch von Spinatgratin und Tagliatelle mit Lachs wollte niemand mehr etwas wissen, die meisten Leute gingen jetzt einfach nach Hause, noch benommen von dem Schock, und hofften wahrscheinlich, dass ein paar Tage Distanz durch die Weihnachtsfeiertage den Ereignissen ihren Schrecken nehmen würden. Nur ein kleines Grüppchen Unermüdlicher blieb zurück und diskutierte in der weiten, verwaisten Halle zusammengeschart in halblautem Ton die neue Lage.

Unsere Firma war von der Jupp-Unternehmensgruppe aufgekauft worden, deren Führung sich seit einigen Jahren ein gewisser Dr. M. mit einem weiteren Gesellschafter teilte. Manni vom Kundendienst hatte dort vor Jahrzehnten seine Lehre gemacht und wusste von ehemaligen Kollegen noch das eine oder andere Detail zu berichten. Doch das eigentlich Pikante, soweit sich dies aus den spärlichen Auskünften von Dr. Sowieso herausfiltern ließ, bildete die Nachricht, dass auch bei uns ein neuer Geschäftsführer einziehen sollte und zwar jemand, den man bereits kannte, ein gewisser Gunnar P., der als Vorgänger meines Chefs vor nicht mal ganz zwei Jahren nach einem Machtkampf mit Marius K. seinen Platz hatte räumen müssen.

Ein bitterer Abschied für einen Mann, der vorher fast sein ganzes Erwerbsleben in unserer Firma verbrachte.

Nach seinem Rausschmiss zog sich dieser Gunnar P. allerdings nicht einfach aus unserem Gesichtskreis zurück sondern ging den Weg in die Selbständigkeit, nutzte alte Kontakte und sein umfangreiches Fachwissen, um leicht variierte Nachbauten unserer Maschinen anzubieten und machte uns wiederholt Kunden abspenstig.

Wie dieses neue, interessante Arrangement genau zustande gekommen war, vermochte sich niemand so recht vorzustellen und schien einigermaßen rätselhaft zu sein, zumal dieser Wendung etwas halb Tragödienhaftes, halb Makaberes anhaftete, da Marius K. nun ausgerechnet für seinen früheren Widersacher das Feld räumen musste oder, wie konnte das sein, es diesem gar freiwillig überließ.

Nach den Feiertagen, viele hatten noch Urlaub, waren aber trotzdem gekommen, stellten sich die neuen Herren dann in einer weiteren, von Detlef, unserem Betriebsratsvorsitzenden, moderierten Versammlung vor und kündigten bei dieser Gelegenheit sogleich Sanierungsmaßnahmen und unvermeidbare Personalkürzungen an. Ich selber blieb der Veranstaltung wegen eines Termins beim Zahnarzt fern, wurde aber noch am gleichen Nachmittag von Detlef angerufen, der mir mitteilte, dass es bereits eine Liste mit den Namen von zunächst 30 Leuten gab, die sofort gekündigt werden sollten und dass mein Name auch auf dieser Liste stand,

Es gebe aber vielleicht noch Hoffnung, sagte er.

Die andere Nachricht, die er überbrachte, war die, dass unser Unternehmen zwar rechtlich dem Namen nach erhalten blieb, aber doch seinen Standort aufgeben und zum ca. 35 km entfernten Stammsitz der Jupp-Gruppe umziehen würde, und dies schon innerhalb kürzester Zeit.

Als ich am Montag nach Neujahr zurückkam, herrschte in allen Abteilungen eine fieberhaft nervöse Stimmung und die neuen Eigentümer bzw. deren Statthalter gingen aus und ein. Eine rege Flüsterpropaganda machte die Runde, bei der es vor allem um Dr. M. ging, der ein ziemlich harter Hund sein sollte und mit gewissen Bemerkungen zitiert wurde, à la wer die Musik bezahlt, der bestimmt auch was gespielt wird - was die einen eher belustigend und anachronistisch fanden, viele andere aber tief beeindruckte. Auch wurde, wohin man kam, von allen Seiten, mal mehr aufgekratzt, mal düster ahnungsvoll, die gleiche Anekdote kolportiert, wonach Dr. M. gleich bei seinem ersten Rundgang durch unsere Firma auf zwei Arbeiter aufmerksam wurde, die herumgestanden und sich unterhalten hätten, man denke nur, während der Arbeitszeit, was ihn sofort verärgerte und zu einem missbilligenden Kommentar veranlasste.

Für die Betroffenen sei es entsetzlich peinlich gewesen, tuschelte man nicht ganz ohne Häme, wie begossene Pudel hätten sie dagestanden.

Dagegen schien vor allem der neue Geschäftsführer, der sein früheres Büro, das heißt das von meinem Chef wieder bezogen und dorthin seinen alten Mahagonischreibtisch hatte zurückbefördern lassen, eben jener Gunnar P., ein Garant für eine gewisse Kontinuität zu sein, um zu der einsetzenden Angst vor Veränderungen ein Gegengewicht zu bilden. Während man in den vergangenen zwei Jahren nach einem Verbot von Marius K. allenfalls gelegentlich im Flüsterton wie über einen Verfemten von ihm sprach und tunlichst jede offene Stellungnahme vermied, erinnerte sich jetzt plötzlich jeder an Gunnar P., ständig war von Gunnar P. die Rede, alle kannten auf einmal Gunnar und jeder wusste irgend etwas über Gunnar zu berichten, mit dem man schon dieses oder jenes Erlebnis gehabt und sich dabei prächtig miteinander amüsiert hatte.

Marius K. war nicht mehr anwesend, statt seiner saß ein Herr Philipp A. als leitender Controller der Jupp-Gruppe höchstpersönlich im Chefsessel, von wo aus er den bevorstehenden Umzug logistisch ordnete und überwachte. Bald kannte ihn jeder, ein auffallend hagerer, manchmal etwas süffisant lächelnder Mann mittleren Alters mit einer Goldrandbrille auf der Nase, zu dessen Eigenheiten es gehörte, sich stets mit einer gewissen Eindringlichkeit nach dem Befinden seiner Gesprächspartner und -partnerinnen zu erkundigen.

Wie geht es Ihnen denn heute, beeilte er sich, scheinbar fürsorglich, jeden Hinz und Kunz, der ihm zufällig über den Weg lief, zu fragen und fasste dabei sein Gegenüber scharf ins Auge.

War es pure Rhetorik oder ernst gemeint, allen ging die Frage tierisch auf die Nerven, denn natürlich ging es niemandem gut, konnte es niemandem gutgehen in einer Situation, in der sich der Geschäftsbetrieb auflöste und jeder unruhig auf die nächsten Kündigungstermine wartete.

Sebastian M., mein Chef, und auch Eva, die zweite Chefsekretärin, waren bereits freigestellt worden, wegen ihrer zu großen Nähe zur früheren Geschäftsleitung, wie es hieß, und aus dem gleichen Grund soll auch ich meine Stelle verlieren. Meine Nachfolgerin, eine brav und denkbar unschuldig auftretende junge Frau namens Stefanie, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen hat, ist bereits aus unserem neuen Stammhaus eingetroffen, bezieht aber netterweise Evas Büro, so dass ich zunächst bleiben darf, wo ich bin. Da Stefanie nicht nur meine sondern vorläufig auch die Aufgaben von Liz, der Personalsachbearbeiterin übernehmen soll - da diese sich nach Erhalt ihrer Kündigung krankgemeldet hat, ist sie vollauf beschäftigt, so dass ich bis auf weiteres sogar provisorisch weiter meiner Arbeit nachgehen darf. Es klingt verrückt, aber schon immer empfand ich eine Abneigung gegen den Namen Stefanie. Frauen, die Stefanie heißen, sind mir fast immer unsympathisch - öffentliche Ikonen wie Steffi Graf vielleicht ausgenommen, auch wenn die Trägerinnen für ihren Namen nichts können.

Detlef sagt, es werde darüber gesprochen, dass ich in den Kundendienst wechseln soll, was ein großer Schock für mich ist.

Fortsetzung folgt

Hinweis: Namen wurden geändert, Ähnlichkeiten sind Zufall.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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