Die Beute (4) Wie Dr. M. unsere Fa. übernahm

Arbeitswelt Zwei Männer kämpften um die Macht - am Ende verloren beide. Doch für einen gab es ein unverhofftes Comeback, wie Ribanna Rubens berichtet. 4. Der Machtkampf

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Sollte das Fortbildungsprogramm vordergründig der Steigerung von Leistung und Effizienz dienen, lag dessen hintergründiges Ziel kaum weniger klar auf der Hand - Marius K. die Wertschätzung seiner Mitarbeiter zu verschaffen. In beiderlei Hinsicht erwies es sich als Fehlschlag, wobei der letztere, der Verlust an Ansehen, der gravierendere war. Marius K. buhlte vergebens. Angesichts des Umstands, dass er sich selber betont lernfähig gab, mag es tatsächlich schwierig für ihn gewesen sein, das Ausmaß des Widerstandes gegen sich zu begreifen und den tieferen Nährboden zu verstehen, aus dem dieser sich speiste.

Als Marius K. sein Amt als Geschäftsführer antrat, hatte sich Gunnar P. bereits seit anderthalb Jahrzehnten als starker Mann der Firma unentbehrlich gemacht, jedenfalls soweit diese Charakterisierung zutreffen kann auf jemand, dem noch im Windschatten von K.'s schwachem Vorgänger ein vergleichsweise ungefährdeter Aufstieg gelang. Bei ihm liefen alle Fäden zusammen, und er hatte im Prinzip anstelle von K.‘s Schwiegervater über Jahre hinweg die Entwicklung des Unternehmens bestimmt, dies allerdings aus einer gesicherten Position heraus, die ihm nie das volle Risiko zumutete.

Was die interne Vernetzung betraf, war Gunnar P. eng mit einer Gruppe von Alt- und Langgedienten verbunden, die ganz wie er selbst vor allem das technische Wissen der Firma vertraten und seine unangefochtene Hausmacht bildeten. Zu dieser Expertokratie, deren Einfluss also weniger auf Hierarchie sondern auf Spezialwissen beruhte, gehörten die Konstruktions- und Vertriebsingenieure, verschiedene Mitarbeiter vom technischen Kundendienst, aus Produktion und Endmontage, alles Männer natürlich, die das geballte Know-how der Firma gewissermaßen unter sich aufgeteilt hatten. Mit anderen Worten, der Laden lief prima so lange diese Leute die richtigen Anweisungen gaben und persönlich über alle Abläufe wachten, sobald andere, etwa neue Leute am Werk waren bzw. die Vorgänge auf der Routineebene der Arbeitsorganisation abgewickelt werden sollten, ging nichts mehr oder es passierten ständig Fehler.

Tatsächlich gehörten diesem technischen Zirkel die besten Mitarbeiter an, über die die Firma verfügte. Jeder Einzelne von ihnen, die meisten inzwischen um die 50 oder darüber hinaus, war unwahrscheinlich tüchtig, ging ganz in seinen Aufgaben auf, war chronisch überarbeitet und schob einen Berg von Überstunden vor sich her, so dass sie anderen oft leid taten, wenn sie völlig abgehetzt herumliefen oder von allen Seiten belagert wurden. Legte man ihnen jedoch nahe, ob sie nicht die eine oder andere Aufgabe delegieren, insbesondere zu ihrer Entlastung nachrückende Leute, die es durchaus gab, heranziehen könnten, hielten sie stets die stereotype Auskunft bereit, alles sei für Anfänger und Neulinge viel zu kompliziert, man habe die Zeit für lange Erklärungen nicht und müsse ohnehin alles kontrollieren, da könne man es gleich selber machen, was zur Folge hatte, dass Ungereimtheiten nie beseitigt wurden.

Jeder Versuch, ihnen das Kontraproduktive dieses Verhaltens vor Augen zu führen, wurde als Anmaßung schroff zurückgewiesen.

Auch die Frage, was nach ihnen kommen sollte, wie es weitergehen sollte, wenn mit ihrem Ausscheiden das gehortete Fachwissen verschwand, kümmerte sie nicht. Vielmehr verhielten sie sich so, als wäre die Firma ihre wahre Heimat und die Aussicht diese zu verlassen ein fernes Ereignis, das völlig außerhalb ihres Vorstellungsvermögens lag und nie eintreten würde. Sie alle miteinander hatten das Unternehmen fest im Griff.

Um diesen Kern von Eingeweihten herum schloss sich noch wie ein Schutzmantel eine Riege nachrangiger Kräfte, die, entweder weniger lange im Unternehmen oder in den weniger einflussreichen Bereichen der Administration beschäftigt, die Trabanten bildeten, die ums Zentrum kreisten und unter denen sich die eigentlichen Eiferer befanden, d.h. die, die über die Zugangsrituale wachen.

Typisch für dieses abgeschottete Modell war auch der zähe Einstiegsweg, den neue Mitarbeiter zu nehmen hatten, die in aller Regel erst eine ausgedehnte Initiationszeit absolvieren und mindestens 10 Jahre lang als eine Art Wasserträger hauptsächlich unbedeutende Aufgaben erledigen mussten, bevor sie als akzeptiert gelten konnten, was die technische Innovationskraft behinderte. Nicht nur, dass dieses lange Parken die Betroffenen verdross, die zumeist längst wussten, dass man sich heutzutage derartige Wartezeiten nicht mehr leisten konnte und deren Biss sich schon verschlissen hatte, bevor sie endlich mitreden durften, es entstand auch eine frustrierende Diskrepanz in den Abteilungen, wenn die einen sich reinweg zu Tode schufteten, während die anderen gelangweilt vor ihren blankgefegten Schreibtischen saßen.

Wer nicht in dieses Umfeld passte, nicht die passenden Gepflogenheiten übernahm oder sich mit den Trabanten anlegte, wurde in aller Regel nicht ernst genommen, war Ausgrenzungsattacken ausgesetzt und wurde möglichst kaltgestellt, wobei die Taktiken dieses zu erreichen, schon häufig von subtiler Brutalität waren, wovon in den nächsten Kapiteln noch die Rede sein wird.

Von Verwaltung verstanden sie nichts und mussten dies auch nicht, da sie stets wussten, wo sich alles befand, hielten sich aber dennoch auch auf diesem Gebiet für Spezialisten und reagierten mit geradezu hysterischer Empfindlichkeit auf jeden Versuch, ihre krausen, über Jahre erstarrten Ordnungsvorstellungen anzutasten und zu verändern. Das gesamte technische Dokumentationssystem befand sich in einem katastrophalen Zustand und beruhte angesichts schier unglaublicher Lücken, Fehler und Mängel in der Systematik im Wesentlichen drauf, dass die maßgeblichen Leute die maßgeblichen Dinge im Kopfe hatten und darüber Auskunft gaben, wenn man sie fragte. Einzelne Sachbearbeiter, auch solche aus der ersten Garnitur, sahen sich außerstande oder hielten es für überflüssig, auch nur ihre eigenen Akten zu führen, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie man sich dies in einem geordneten Büro vorstellt. Für langlebige, komplexe Vorgänge setzten sie ganz einfach dicke Umhängemappen ein, in die man neue Korrespondenz einfach hineinwarf und schließlich hineinstopfte, so dass daraus schon nach kurzer Zeit chaotische Papierhaufen entstanden. Wagte jemand die Frage zu stellen, warum der Betreffende nicht einfach das jeweils letzte Dokument als oberstes abheftete, damit die Chronologie quasi von selber gewahrt blieb, erfolgte unausweichlich die ruppige Belehrung, ein armer überlasteter Mann habe nun wirklich keine Zeit zum Lochen von Blättern sondern sei mit wichtigeren Aufgaben beschäftigt. Halleluja …

Wenn ich, was gottseidank selten vorkommt, von diesem Unternehmen träume, dann tauchen vor meinem inneren Auge alptraumartig noch immer diese proppevollen Mappen auf, und wie die einen, die Insider, diese liebevoll hätschelten, damit bloß ja nichts durcheinander geriet, während die anderen, die Außenstehenden, am liebsten alles in die Tonne gehauen hätten, um dieser Lachnummer eines degenerierten Bürobiotops schleunigst ein Ende zu bereiten. Und wer nicht mit dieser Clique verbandelt war, der wusste auch, dass bei einem solchen Ausmaß an argloser Schlampigkeit nur der eiserne Besen hilft. Und über den verfügte Marius K. nicht.

Die eigentlich Leidtragenden dieses Wildwuchses waren aber nicht die Kunden sondern die in der Firma beschäftigten Frauen. Trat nämlich dummerweise der Fall ein, dass ein solcher Vorgang plötzlich für eine Besprechung gebraucht oder das Schreiben vom 4. April letzten Jahres dringend gesucht wurde, fiel diversen Assistentinnen und Sekretärinnen - wem sonst! - die Aufgabe zu, wie Wühlmäuse in stundenlanger, mühseliger Kleinarbeit das Wirrwarr wieder in eine vorzeigbare Form zu bringen, was je nach Eifer und Umfang schon einige Stunden bis zu einem ganzen Arbeitstag in Anspruch nehmen konnte.

Als ich mich einmal über diese absurde Arbeitsökonomie mokierte und die Verschwendung von weiblicher Intelligenz und Arbeitskraft für minderwertige Aufgaben beklagte, die man keinem Azubi mehr zumuten dürfte, führte dies zu einem schon recht heftigen Disput mit meinem Chef, Sebastian M., der meinen Unmut mal wieder überhaupt nicht verstand sondern gleich wieder Renitenz und Emanzentum witterte.

Was ich denn wolle, ereiferte er sich. Die Frauen kriegten doch ihr Geld, egal was sie machten. Und die meisten Frauen hätten auch kein Problem damit, mal bei einer einfachen Tätigkeit auszuhelfen. Außer Ihnen, Frau Rubens, hat sich noch niemand beschwert. Er habe schließlich auch nicht nur angenehme Aufgaben zu erledigen, wetterte er.

Dass ist doch nicht Ihr Ernst, wetterte ich zurück ...

Als diplomierter Volkswirt besaß Marius K. auf dem Gebiet, auf das es in unserer Firma allein ankam, keinerlei Akzeptanz. Andererseits war er als legitimer Statthalter der Eigentümerfamilie aber auch nicht bereit, sich mit einem zweitklassigen Platz im Sonnensystem zu begnügen sondern versuchte der eigenen Position durch eine organisatorische Generalüberholung mehr Gewicht zu verleihen, ohne jedoch so recht zu wissen, woraus diese genau bestehen sollte. Es bildeten sich also zwei Pole, von denen der eine danach strebte, das alles so blieb wie es war, der andere alles größer schöner besser machen, vor allem jedoch die mächtige Technokratie entmachten wollte.

Sein Rivale, Gunnar P., mochte zwar ein ausgezeichneter, vielleicht herausragender Ingenieur sein, zeigte sich jedoch unzugänglich für alles, was außerhalb dieser Sphäre lag und schrak fast schon mit einer Spur von Mimosenhaftigkeit vor allem zurück, was mit den kruden Problemen der zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun hat. D.h. er verweigerte im Prinzip eine neue Positionsbestimmung, die durch das Eintreten von Marius K. in die Geschäftsführung notwendig geworden war und suchte das Problem durch Nichtbeachtung und Aussitzen zu umgehen, wobei ihm die eingespielte Technokratie hilfreich zur Seite stand.

Je nach Standpunkt könnte man sagen, dass Marius K., der ohnehin mehr theoretische Qualitäten als praktische Durchsetzungskraft besaß, gezielt zum Scheitern gebracht wurde, um Verschiebungen im Machtzentrum zu verhindern.

Obwohl ich Gunnar P. erst nach seiner Rückkehr in das Unternehmen kennenlernte und sein zurückhaltendes Wesen durchaus sympathieeinflößend sein mochte, ist er mir als jemand im Gedächtnis geblieben, der sich am liebsten in seinem Büro, hinter seinem sicheren Schreibtisch wie in seiner persönlichen Burg verschanzte und direkte Begegnungen und Kontakte eher vermied.

Auch als ich ihm nach dem Gespräch mit Dr. M. erzählte, es sei wahrscheinlich positiv gelaufen für mich und ich werde in der Firma bleiben, hielt er den Blick beharrlich abgewandt und konnte es sichtlich nicht über sich bringen, ein Wort dazu zu sagen.

Wovor hatte er Angst? Dass ich ihm einen Vorwurf machte?

Es war ein Machtkampf um Anerkennung und Dazugehörigkiet, die Marius K. aber versagt blieb, so dass er sich schließlich auf dem Höhepunkt der Krise dazu hinreißen ließ, seinem Prokuristen zu kündigen, vermutlich in der Hoffnung, sich endlich als Herr in der eigenen Firma zu fühlen, was natürlich eine Illusion blieb.

Es war der Anfang vom Ende, da das Herrschaftsgerüst, das fragile System von Herrschaftswissen ganz einfach an entscheidender Stelle einbrach. Es kam dann, wie es kommen musste - jeder, der die Szene kannte, hätte ihm sagen können, dass er auf verlorenem Posten stand: Das Chefsein beschränkte sich fortan darauf, immer häufiger in Form von lautstarken Auftritten auf sich aufmerksam zu machen und eine gewollte Arroganz heraushängen zu lassen, über die andere sich insgeheim lustig machten, gekrönt vom formalen Gehorsam der Leute, die Anweisungen befolgten, aber ihm nicht halfen Fehler zu vermeiden oder Fettnäpfchen beiseite zu räumen. Und die gab es reichlich.

Er sah sich von Feinden und Verrätern umzingelt, was eine ohnehin vorhandene Neigung ins Kraut schießen ließ, seine formale Macht durch das Produzieren von bürokratischem Leerlauf, durch ausufernde Reglementierung des Formularwesens, der Einführung von aufwendigen Programmen zur Erfassung aller Aktivitäten der Mitarbeiter auszuspielen, was zwar heimliches Murren zur Folge hatte, ansonsten aber widerspruchslos hingenommen wurde.

Derweil ging es mit der Auftragslage, verstärkt durch die allgemein ungünstige wirtschaftliche Lage, steil bergab, während die Mitarbeiterzahl, die auf der Höhe der „Agenda“-Periode stark angeschwollen war, mittels unpopulärer Kündigungen langsam um ein Drittel schrumpfte und unter den früheren Stand zurückfiel.

Er kürzte schließlich die Gehälter, was ihm die Beschäftigten endgültig nie verziehen und für pure Schikane hielten und sie zudem in der Vorstellung bestärkte, es sei allein ihr jetziger Geschäftsführer gewesen, der die Firma zugrunde gerichtet habe, wiewohl deren schleichender Niedergang Ursachen hatte, die viel älter und lange vor der Zeit von Marius K. entstanden waren.

Und noch in der letzten Zeit, da ich ihn kannte, fiel der Ton resignativer Bitterkeit auf, in dem er über seine eigene Position im Unternehmen sprach, verbunden mit einer ihm eigentümlichen Stillosigkeit, mit der er immer wieder sein eigenes Ansehen untergrub, um der verhassten Technokratie eins auszuwischen.

Wer erinnerte sich nicht noch lange an jene zutiefst peinliche Szene, als er auf einer überraschend anberaumten Betriebsversammlung die Absetzung von Paul als Leiter der Konstruktionsabteilung mit gehässigen Worten bekanntgab, während dieser dabeisaß und zuhörte, wie er öffentlich abgekanzelt wurde. Als Beweis seiner Führungskraft hatte Marius K. bereits einen Nachfolger eingestellt, den er mit Vorschusslorbeeren nur so überschüttete und zu einem wahren Herkules im Kampf gegen die Windmühlen unserer Dickschädeligkeit hochjubelte. Doch auch diese Maßnahme blieb faktisch ohne Auswirkungen, da der Neue, ähnlich wie K. selber, in der Firma niemals richtig Fuß fasste und diese nach dem Verkauf sofort freiwillig verließ.

Was immer Paul damals bewog, seiner eigenen „Hinrichtung“ beizuwohnen - so manchem Beobachter mochte sein Verhalten allzu masochistisch erscheinen, es bot Marius K. eine fatale Gelegenheit, sich in das eisige Schweigen der Belegschaft hinein in all seiner Unbeholfenheit und Armseligkeit selber vorzuführen.

Fortsetzung folgt

Hinweis: Namen wurden geändert, Ähnlichkeiten sind Zufall.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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